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heimlicher JTltar

Don Fritz Erdner

Vergrab dein tiefstes Leid, vergrab es tief,
Wo's keines Lichtes Strahl erreichen kann
Und keines Menschen Blick, auch deiner nicht

Und schreite deine Tage straff entlang
Und schaffe, was der Ruf der Stunde heischt,
Und lächle still, als hättest du kein Leid.

Denn sieht's das Aug' der Sonne, so versteint's,
Wie jener Elfen zartes Nachtgeschlecht,

Die aus der Erde mütterlicher Hut
An seine Glut der rohe Tag gezerrt;

Und auch die Menschen, die's erspäht, in Stein
Jäh müssen sie sich wandeln, ja du selbst,
Erschien es dir im grellen Sonnenschein
Medusenhaft, du selbst ertrügst es nicht.

Doch wenn die tiefe Nacht am tiefsten ist,

Wenn Sonn' und Mond nicht leuchten, nicht ein Stern
Am Himmel blinkt und rings im tiefen Schlaf
All deine Lieben ruhen, Weib und Kind,

Dann leise, lautlosleise grab's hervor;

Und laß aus deinen Augen rinnen drauf
Nur eines Tropfens Spende, heiß und still,

Nicht mehr; und grab' es heimlich wieder ein,

Vor Tag, eh' dich die Dämmrung überrascht,

Tief, wo kein Strahl des Lichts es schauen kann
Und keines Menschen Blick, auch deiner nicht.

Und geh' gelassen deinen Tag entlang,

Trag' seine Lust und Lasten strack und stark
Und lächle still, als hättest du kein Leid.

'iß Ruth bat mich nach dem Souper, sie noch
auf einer Fahrt zu begleiten. Oer Kellner
hatte schon vorher den wagen holen lassen; Miß
Ruth nannte einen mir unbekannten Straßen-
namen, und so stiegen wir, in unsere Pelze ge-
hüllt, ein.

„Ich habe — ,Ihn^ — heute morgen bei einem
Atelierbesuche gesehen: Er ist 20 Jahre alt, hat
schwarze Augen und Haare und Regerlippen; er
ist Modell." ~

Ich schwieg stille und wartete, daß Miß Ruth
weiter erzählte; man durfte sie nie mit Fragen
unterbrechen; selbst wenn sie schwieg — da noch
weniger sogar. Und so fuhr sie auch urplötzlich
fort zu sprechen:

„Aber er ist sehr dumm. Ich frug, wo ich
ihn wieder sehen könne. Er verstand mich wohl
nicht, denn er sagte mir, daß er jeden Donners-
tag Abend in einen: Gasthaus-Saale ringe, was
nützt mir das? Dann kam auch der Maler
wieder zu mir, und ich konnte nichts mehr mit
Bob ausmachen, wollen Sie mir helfen?"

„Gut," stöhnte ich, denn nun war mein Stich-
wort gefallen, und ich mußte reden. „Ich werde
Bob auffordern, ein Drink mit uns in einem
anderen Lokale zu nehmen."

„Danke," sagte Miß Ruth. Da waren wir auch
schon angekommen. Ich lieg den wagen an der
Straßenecke warten, und nachdem wir noch ein
paar Schritte in einer schmutzigen Dorstadtstraße
gegangen waren, trat ich, meine Dame am Arm,
in eine kleine Artistenkneixe. Der Wirt führte
uns unter tiefen Bücklingen auf den besten Platz
in dem niederen, langgestreckten Lokale. Um nicht
noch mehr aufzufallen, legten wir unsere Ueber-
kleider nicht ab; dabei war die blitze unerträglich.
Durch den grauen Zigarrendunst hindurch sah ich
eine Anzahl halbnackter Männer mit lauernden
Augen auf Ruth Hinstarren. Ein paar bemalte
Artistinnen warfen geringschätzige Blicke auf die
Konkurrenz.

M!§§ Ruti)

Don Fred Henry

„wo ist Bob?" frug ich den Wirt. — „Bob!"
brüllte dieser, „komm einmal her, die Herrschaften
wünsche:: Dich zu sprechen."

Aus einer Ecke des Raumes hinter einer
großen spanischen wand schob sich ein kraft-
strotzender Bursche hervor, nur mit einer kurzen
prall sitzenden Tricothose bekleidet. Als er Ruth
sah, beeilte er sich und kam auf sie zu. Die
Weiber stießen ihre Liebhaber roh lachend mit
den Ellenbogen ait, und aus dem Hintergründe
der Wirtschaft kam ettt gellender pfiff. Bob
warf sich tit die Brust und blickte herausfordernd
in dem Saale herum. Da sahen die Männer
gleichgültig auf die Seite; aber alle Frauenzimmer
sogen sich gierig in feinen Augen fest. Es war
ganz stille geworden. Man hörte nur die tiefen
Atemzüge von einem lächerlich breitgebauten Ath-
leten, der unwahrscheinlich schwere Gewichte
steminte. Ietzt rief eine heisere Stimine: „Drei-
bundertdreißig Pfund". Niemand sah dem schwer
Arbeitenden zu; da ließ er donnernd die Eisen
auf den Boden niedergleiten und der Bann war
gelöst. Bravorufe, gemeines Gelächter, alle waren
wieder mit sich selbst beschäftigt. Run konnte ich
Bob sagen, er solle sich zu uns setzen. Unter
dem Lärme, der uns rings umtobte, konnte ich
ihm zu verstehen geben, daß er Miß Ruth sehr

gefalle, sehr-—. Er versprach mit einem

Händedruck in einer halben Stunde mit uns zu
koinmeii. Dabei verschlang er meine Gefährtin
mit den Augen.

„Ist er nicht köstlich," fragte Ruth, „wie ein
Tier" und verfolgte den Burschen mit prüfenden
Blicken.

Eine alte Leinendecke, blauweiß gestreift ehe-
mals, wurde auf eine noch ältere Kokosmatte ge-
legt, und Bob stellte sich herausfordernd mitten
darauf.

Langsam kam aus der Ecke des Saales, wo
vorher gepfiffen wurde, ein blonder Kerl im Alter
von Bob, aber noch stärker gebaut. Die beidei:

gaben sich die Hände und das Ringen begann
Zuerst nur rollten sie wie zwei junge Katzen auf
dem schmutzigeil Tuche. Bob entzog sich durch
seine Gewandtheit immer wieder den gefährlichen
Lagen, in die ihn sein Gegner brachte. Roch
nach einer Diertelstunde war der Kampf unent-
schieden, und es trat eine kleine Pause ein. Der
Klavierspieler kam uild sammelte; an unserem
Rebentische wollten drei kartenspielende Arbeiter
ihm nichts bezahlen. Der Hund des Einen knurrte
der: Musikanten sogar drohend an; böse Worte
fielen, da warf Ruth, die einen allgemeinen Krawall
befürchtete, in den Blechteller ein Goldstück, und
die Ruhe war hergestellt. Nur der kleine Forterrier
war noch nicht zufrieden, denn als das Ringen
von Neuem begailn, versuchte er immer wieder
mit den Beiden zu spielen. Ein wohlgezielter Tritt
voil Bob schleuderte ihn aber unter den Tisch,
wo er winselnd liegen blieb. Ruth folgte in
namenloser Erregtheit dem Kampfe. Der Blonde,
durch Bob's Gewandtheit geärgert, griff in bru-
taler IDut an; laut pfeifend zog er den Atem
durch die Zähne. Dadurch wurden die Andern
aufmerksain gemacht und kamen herbei, so daß
die Ringenden ganz dicht umgeben waren von
einem Kreise aufgeregter Zuschauer. Ruth saß
mit vorgebeugtem Oberkörper an dem Tische und
starrte Bob an, der aus einer verzweifelten Lage
heraus einen wütenden und begehrlichen Blick auf
sie warf. Der arme Iunge fürchtete wohl, daß
die schöne Eilgländerin ihre Gunst nur dem Sieger
schenken würde, und er fühlte sich erliegen.

' „Roch fünf Minuten," sagte der Mann mit
der heiseren Stimme; er hatte sich neben mich
gesetzt; „zwei gute Ringer, Herr, und ganz
gleich."

Ich war wie betäubt; die wahnsinnige Hitze,
das sinnlose Klavierspiel, der leise winselnde
Hund und der Schmutz des Teppichs, alles widerte
mich an; dazu noch das immer leidenschaftlicher
werdeilde Ringen der Beiden.

Daul Rieth —
Register
Paul Rieth: Vignette
Fritz Erdner: Heimlicher Altar
Fred Henry: Miss Ruth
 
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