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Aus dem Dunkel

Und einmal kommst du doch nach Haus,
Den Kopf in meinen Schoß zu legen;
Ich ahne nichts von deinen Wegen —
ahne doch und harre aus.

Ich weiß, so klingt das Leben aus:

Wie Vögel heim zum Neste fliegen.

Vom Kämpfen müd, und müd dom Siegen,
So kommst du doch zu mir nach Haus.

Anny v. Mendelssohn

Der Krat

von Rudolf Greinz

Schon seit mehr als dreißig Jahren hauste der Hochwürdige
Herr Martin Tschött als Kurat, Lokalkaplan und Pfarrprovisor
in seiner weltfernen Tiroler Berggemeinde. Er war mit ihr
so eng verwachsen wie der Grund und Boden mit den Bauern-
häusern, die darauf gebaut sind. Bei beit Leuten hieß er Kurz-
weg der Krat. Er verlangte sich auch keinen andern CÜtel.
Und sie sagten alle Du zu ihm, wie auch er mit einem jeden
seiner Seelsorgekinder auf dem Duzfuß stand.

Der Krat war schon ein tüchtiger Siebziger, mittelgroß
und ziemlich hager. Zum Fettwerden ist auch keine sonderliche
Gelegenheit in solch einer armen Tiroler Berggemeinde. Seit
Jahren trägt er den gleichen schäbigen Talar, der ihm nur bis
zu den Knieen reicht und schon in allen Farben schillert. Das
Fuchsige ist jedoch die Hauptfarbe. Es ist vielleicht gut, daß
der Krat nie von seiner Gemeinde und deren nächsten Umgebung
fortkommt. Denn sonst könnte er am Ende mit seinen: an allen
Ecken und Enden zerflickten und zerfransten Gewand gar noch
Anstände haben. Um Welt und Politik hat sich der Krat nie
gekümmert. Auch die Theologie hat er stets nur praktisch ge-
trieben, indem er nach Kräften seine Bauern zu einem ordent-
lichen Lebenswandel anzuhalten bestrebt war.

In seiner gemütlichen Stub'n steht ein alter schäbiger
Diwan. Der Krat sitzt nur selten darauf. Meist benützt er einen
womöglich noch verbrauchteren alten Lehnstuhl. Auf dem Di-
wan hat er jedoch einige dicke theologische Folianten der Reihe
nach an der Rücklehne aufgestellt. Für diese scheint hauptsächlich
das Möbel vorhanden zu sein. Unter den Büchern befindet sich
ein größeres Werk über pastoraltheologie, auf das der Krat mit
besondern: Stolz hinzuweisen pflegt. „Dös Buach hat mi volle
zwanzig Gulden kostet und no viar Gulden extra für'n Buach-
binder!" pflegt er zu erzählen. Diese Daten sind nebst dem
Namen des Besitzers auch genau auf dem Titelblatt vermerkt.
Sonst sieht das Werk aber so neu aus, daß man wohl an-
nehmen darf, der Krat sei nie über den Titel hinausgekommen.

In der letzten Zeit, schon seit bald zwei Jahren war der
Krat nie recht besonders beisammen. Das Fußwerk ließ aus,
's verflixte G'stell, wie der Krat selber es bezeichnete. Er
hatte schon ein paarmal an das Konsistorium nach Brixen ein-
gegeben, man möge ihm einen Kooperator zur Aushilfe schicken;
denn mit seiner Gicht habe es nun schon bald gar kein richtiges
Herschauen mehr. Das Konsistorium hatte aber taube Ghren
und ließ den alten weltverschlagenen Kraten Eingaben machen,
bis ihm endlich die Geduld riß.

Als er von Brixen auf alle seine Eingaben keinen Koope-
rator bekam, setzte sich der Krat.Martin Tschöll eines Tages
hin, nahm einen besonders großen Bogen und schrieb dem
Fürstbischof persönlich einen Brief. Und zwar einen kotzen-
groben Brief, der keine Spur von demütiger Unterwerfung und
schuldigem Gehorsam enthielt. Der Krat war ganz erleichtert,
als er das Schreiben abgeschickt hatte. Nun wußten es die in
Brixen einmal gehörig!

Seitdem waren mehrere Wochen vergangen, ohne daß er
von Brixen eine Antwort erhalten halte. Die schienen ihn über-
haupt gar nicht mehr zu beachten. Auch wenn er grob wurde.
Und heute hatte es den alten Kraten besonders. Er saß in
seinem Lehnstuhl und hatte die schmerzenden Hax'n in eine Decke
gehüllt. Draußen war ein schwüler heißer Sommertag. wahr-
scheinlich gibt's wieder a Wetter ab, dachte sich der Krat. wenn
ein Gewitter im Anzug war, daun konnte ihn die Gicht mör-
derisch turmantern?)

Im Hausflur wurde heftig geläutet. Bald darauf öffnete
die Häuserin die Stubentür und ließ einen stattlichen geist-
lichen Herrn eintreten. Es mochte ein höherer Fünfziger sein.

*) quälen.

i 19

Julius Gerstmann —

Der elegante Talar umschloß eine mächtiqe Leibe-,
fülle. Das Gesicht des Ankömmlings war rot
und aufgedunsen, aber sonst ganz gutmütig.

„Gelobt sei Hcsus Christus!" sagte der Lin.
tretende würdevoll.

„In Ewigkeit, Amen!" erwiderte der Krat
und sah seinen Besucher neugierig an.

„Heiß ist's heuteI" seufzte der Andere.

„J g'spür' ml viel da herinnen!" meinte der
Krat. „Sie entschuldigen schon, daß i net aufsteh'
Aber heut' hat's den Sakra g'seh'n mit meinem
Gehwerk. Nehmen's do' Platz!" lud er den An-
kömmling ein.

Dieser ließ sich schnaufend nieder. „Ich komme
nämlich von Brixen und bin der Kanonikus
Schwöllsattel!" stellte sich der Besucher vor.

„Ah, der Schwöllsattel sein Sie! Dös g'freut
mi!" sagte der Krat. „I Hab' Ihnen schon
g'lesen im geistlichen Schematismus."

„Ich mache im Aufträge von Fürstbischöflichen Gnaden ge-
rade eine kleine visitationsreise —" fuhr der Kanonikus fort.
„Und da — hm — da meinten Fürstbischöfliche Gnaden^
weil ich gerade in der Nähe wäre, so solle ich einmal bei Ihnen
Nachsehen, wie es stünde. Hm. Ja. So."

Eine kleine Pause entstand. Der Kanonikus räusperte
sich. Der Krat saß freundlich lächelnd in seinem Lehnstuhl,
ohne ein Wort zu sagen. „So, so, nachschaug'n solln's ama!
bei mir?" meinte er dann über eine kleine weile. „Ja, da
gibt's nit viel nachz'schaug'n. Sechen's wohl, wia's mir geaht.
A Hilf' tät' i halt brauch'n, an Kooprater."

„Hm. Ja. So —" räusperte sich der Kanonikus neuerdings.
„Sie haben da an Fürstbischöfliche Gnaden einen Brief ge-
schrieben ..."

„Ja. vor a etlene woch'n schon. Aber i Hab' no koa
Antwort kriagt drauf!" meinte der Krat freundlich.

„Sie werden auch keine bekommen!" sagte der Kanonikus
mit Nachdruck. „Jener Brief war in einem Ton gehalten, den
ich — hin — ja — geradezu für impertinent grob und un-
gehörig erklären muß!" Der Herr Kanonikus lehnte sich in
seinem Sessel zurück und blickte voll Entrüstung auf den Uebeltäter.

„Ja, ja. A bissele grob wird er schon g'wesen sein der
Briaf!" pflichtete der Krat gutmütig bei. „wissen's, es
geaht halt amal an jeden Schaf die Geduld aus!"

„Der Brief war nicht nur ein wenig, er war sogar sehr
grob!" entrüstete sich der Kanonikus. „Sie haben wohl ganz
vergessen, lieber Amtsbruder, welchen Grad der Ehrfurcht und
des Gehorsams Sie Seiner Fürstbischöflichen Gnaden schulden!"

„Naa, i Hab nix vergessen. Aber die Geduld ist mir aus-
gangen. I Hab' mir denkt, richtest im Guaten nix, nachher
vielleicht richtest mit der Grobheit mehr aus. Und mir scheint,
da Hab' i aa mehr ausg'richtet I" Der Krat blinzelte den geistlichen
Würdenträger aus seinen Aeuglein listig an.

„Bilden Sie sich nur das nicht ein, Herr Amtsbruder!"
verwahrte sich dieser. „Ich bin nicht gekommen, Ihren Wunsch
zu erfüllen, sondern lediglich Ihren Fall zu konstatieren."

„Also nachher konftatiarn's!" sagte der Krat ruhig, indem
er sich nach vorwärts beugte und dem Kanonikus lustig in's
Gesicht schaute.

Die Häuserin hatte inzwischen einen wein gebracht. Der
Herr Kanonikus Schwöllsattel, der sehr durstig war, leerte hastig
zwei Gläser nacheinander. Dann meinte er: „Ich konstatiere,
daß Sie den Umständen entsprechend gut beisammen sind. Die
Gemeinde ist ja übrigens klein und Ihre Seelsorge auf eine
ganz geringe Tätigkeit beschränkt." ^

„Moanen Sie mit der Seelsorg' das Dörfl, oder die Ge-
meinde?" erkundigte sich der Krat.

„Die Gemeinde natürlich."

„So? Nachher hab'n Sie koan' blau'n Dunst von der
ganzen Sach'!" sagte der Krat und schlug mit seiner rechten
Hand, die schon leicht zittrig war, kräftig auf den ^isch.
„wissen Sie, wia weit der letzte Hof, der zur Gemeinde no
dazua g'hört, entfernt is? Fünf Stund'! Und glauben die
wirklich, daß i dö fünf Stund' no giahn kann?"

„Von Ihrem Standpunkt aus mögen Sie ja — hm —
ja — nicht so ganz unrecht haben, lieber Amtsbruder. Aber
— ja — hm — ja Sie müssen eben doch bedenken, daß 5ie
sich in erster Linie demütig den Bestimmungen Ihrer Vor-
gesetzten zu fügen haben."

„Hören's mir auf!" rief der Krat nun ganz obstinat.
„Ges in der Stadt habt's ja gar koa Verständnis nit für unser-
oans! was wißt's denn ös von a Seelsorg' da in die Berg'
herin. Ges habt's es bequem. Ges tuat's oanfach von der
Kanzlei aus die Seel'n regiar'nl"

„Ich muß Sie doch bitten, lieber Amtsbruder!" rief der
Kanonikus, der im Gesicht womöglich noch röter geworden war.
Register
Anny v. Mendelssohn: Aus dem Dunkel
Julius Gerstmann: Zierleiste
Rudolf Greinz: Der Krat
 
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