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Paul Rieth (München)



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Gedicl)te

von Reinhard Röster

Die Eine

Alle haben ein Helles Schleischcn im Haar
In der fröhlich lachenden Mädchenschar,

Die mit Tanz und hellerjubelndem Lied
Weit hinaus in den blühenden Frühling zieht.

Nur die eine zaudert so still und stumm,
Möchte leise weinen und weiß nicht warum —
Möchte tanzen und singen im Ringelreihn,
Möchte lachen und froh wie die andern sein.

Schmucklos schmiegt sich ihr Blondhaar

hell und schlicht

An das traurig fragende Kindergesicht.

Sieht sich zagend um in der lachenden Schar:
— Haben alle ein helles Schleischen im Haar.

*

Ronzerr im park

Müd der sommerlichen Gluten
Gleiten stillen Zugs die Schwäne.
Traumhaft plätschern der Fontäne
Abendlich gewellte Fluten.

Auf den mondlichthellen Wegen
Flüstert sanftes Seidenrauschen —

Die verirrten Sinne lauschen
Ferner Träume Flügelschlägen.

Und ein Licht von seltsam holden
Frauenaugeu blüht aus ihnen —
Weinend singt der Violinen
Lied von Tristan und Isolden.

Aphorismen

von Dr. Bacr (Dberdorf)

Unbegreiflich für viele Egoisten und Phari-
säer, — daß kleine Leute auch große Schmerzen
haben können.

Solange es in deutschen Landen noch
als Kompliment gilt, für einen „Ausländer"
gehalten zu werden, — haben wir noch nicht
Zeitschriften genug für deutsche Kultur und
Geschmack rc.

Doralisas Heirat

Don Else Re,na

Prinzessin Doralisa träumte und gähnte, natür-
lich hinter der vorgehaltenen stand, denn
man gehörte nicht umsonst der Nebenlinie eines
regierenden stauses an. Man wurde sogar stoheit
tituliert. Aber die kleine Prinzessin war gar
nicht stolz auf ihren hohen Rang. IDie hätte
sie das auch aufangen sollen in dieser weltver-
lorenen Einsamkeit, wo man außer mit den An-
gehörigen des kleinen stofstaats eigentlich nur mit
Pferden und stunden Umgang hatte, denn stunde
und Pferde liebte stoheit die Mama und Pferde
und stunde liebte stoheit der sterr Papa. — —
Prinzessin Doralisa träumte und gähnte, aber
dieses Mal vergaß die kleine, beringte stand, sich
vor den rosigen Mund zu legen, in dem sämtliche
zweiunddreißig Zähne wohlerhalten blitzten.

Doralisa war so, was man im bürgerlichen
Leben ein niedliches Ding genannt hätte. Aber
als Prinzessin mußte man sie für eine Schönheit
ansprechen. Natürlich blond, hellblond, mit sehr
blaueir Augen, die in stillen Stunden, wenn Dora-
lisa vor dem Schlafengehen im spitzenbesetzten
stemd vor dem riesigen Pfeilerspiegel stand, seufzend
als zu ausdruckslos befunden wurden.

Die kleine Prinzessin urteilte so unrichtig nicht.
Denn im Dergleich zu ihrer feurigen Seele waren
die hellblauen Augen entschieden stumpf und aus-
druckslos, sie spiegelten nichts von ihren sehn-
süchtigen wünschen wieder, nichts von dem leb-
haften Temperament, über das Prinzessin Dora-
lisa in stillen Stunden verfügte. Es verschwand
sonst meistens unter der Glasur höfischer Erziehung,
wenn die junge stoheit mit der erlauchten Mama
im Park spazieren ging, so sah Doralisa ganz
so aus, wie eine richtige Prinzessin vorschrifts-
mäßig auszusehen hat: lang, schlank, blond und
nichtssagend.

Sie hatten alle nichtssagende Gesichter an dem
kleinen stof in der weltverlorenen Einsamkeit.
Dom sterzog Papa angefangen bis zum kleinsten
Küchenjungen. Aber Jaromir Boleslav verreiste,
wenn ihm die Geschichte zu bunt, oder besser, zu
einförmig wurde. Unterwegs, so bei ganz be-
stimmten Gelegenheiten, konnte stoheit Papa
sogar sehr vielsagend aussehen, aber dann war
Doralisa nicht dabei und Mama sterzogin auch
nicht. Papa studierte französische Numismatik
und dafür hatten seine Damen kein Interesse,
wozu hätten sie also mit nach Paris reisen sollen?

Aber Doralisa sehnte sich manchmal weg von
der weltverlorenen Einsamkeit, es gab Stunden,
da sie ihre stofdame gut bürgerlich haßte, wenn
diese durch das langgestielte Lorgnon auf den stillen
Weiher blickte und ihre Prinzessin auf die Licht-
effekte aufmerksam machte.

Doralisa war keine Natur-Schwärmerin, wie
alles, was man im Uebermaß genießt, hatte sie
im Laufe der Jahre die malerisch verträumte
Szenerie satt bekommen, in der sich ihr junges

Prinzessinneuleben abspielte. Die Schwäne auf
dem Weiher waren ja unleugbar ganz nett da-
Schloß entzückend mit seinem Blick in grau-blau
schimmernde fernen, — Doralisas sterz jedoch er-
füllte das alles nur mit Sehnsucht nach irgend
etwas, was sie selbst noch nicht kannte. Und die
Menschen um sie herum waren jahraus, jahrein die-
selben: Der alte stofmarschall, der wie allehofmar-
schälle in den Büchern über das Zipperlein klagte
und nur seinen gastronomischen Liebhabereien lebte
die beiden stofdamen, die eine ganz verblüht, die
andere etwas weniger; der Pfarrer, der im Neben-
amt als Naturheilkundiger fungierte; der beinahe
taube Leibarzt; die Dorleserin, eine englische Miß,
die selig war, an einem stof zu leben, und in
der Stille sehr harmlose Memoiren schrieb; ein
von irgend einer Universität abgelegter Professor:
das waren die Typen, die sich seit ihrer Kindheit
wie Marionetten in dem Gesichtskreis Doralisas
bewegten. Man ritt, man spielte Tennis, bei
unvorteilhaftem Wetter Ping pong in der Diele,
Bridge an kühlen Abenden und Skat, wenn der
Pastor kam. Die Jugend wurde nur durch ein
paar Stallbediente vertreten, aber die rechneten
naturgemäß nicht mit. Sie gehörten zum Volk,
und das Dolk war für die kleine Prinzessin nicht
mehr als ein leerer Begriff.

Doralisa träumte und gähnte, mit vorge-
haltener stand, wahrscheinlich um doch etwas
Abwechslung in die Sache zu bringen. Denn
nach Abwechslung sehnte sich Doralisa fieberhaft.
Sie sehnte sich nach einem Menschen, der weder
blonde staare noch blaue Augen hatte, von Pferden
nichts verstand und Tennis haßte, der an hohen
Festtagen keine Uniform trug, der nicht nervös
war, auf gutes Essen keinen wert legte und
richtige Zigaretten rauchte, keine nikotinfreien,
wie der stofmarschall und der Pastor.

Sie ahnte nicht, daß die einschneidendste Ab-
wechslung ihres Lebens dicht bevorstand. Sonst hätte
sie noch intensiver geträumt und etwas weniger ge-
gähnt: Man wollte sie verheiraten. Die einleiten-
den Auftakte waren bereits hinter den Kulissen
gespielt, der Dorhang konnte in die stöhe gehen;
mit anderen Worten: der Prinz wurde erwartet.

Aber kein gewöhnlicher Prinz, ein richtiger
Erbprinz, denn Doralisa besaß von ihrer Grob'
mutter her Millionen und die konnte man ttt v.
gut gebrauchen, außerdem stand die Nebenlinie
im Rufe ausgezeichneter Gesundheit und das war
aus dynastischen Gründen nicht zu verachten, her'
zogin Mama bereitete die junge Prinzessin zw
und schonend auf das Kommende vor. Sie spra ?
von dem heiratsfähigen Alter Doralisa's uno von
den gewissen Pflichten, die auch Frauen auf oen
Throne nicht erspart bleiben, von der Auffnschm g
alter Dynastieen, von dem angeborenen schoill e
Beruf des Weibes — und wurde von der pm'
zeffin nicht im entferntesten verstanden. Sw hü
nur immer gehört, daß Berufe für's ^Dolk sei
und daß eine Prinzessin nichts zu tun hätte, als] y
. standesgemäß zu benehmen. Aber alle diese unun^
tigen Bedenken verblaßten vor der Freude daru -

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Register
Reinhard Koester: Die Eine
Reinhard Koester: Konzert im Park
Paul Rieth: Zierleiste
Else Rema: Prinzessin Doralisas Heirat
Dr. Baer: Aphorismen
 
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