Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Sonnenwende

Wie matt Dein Lieben!

Dein Herz wie alt! —

Die Funken zerstieben. . g Hi

Der Herd wird kalt.

In heißen Essen
Geschmiedetes Glück
Wird rostzerfressen.

Was blieb zurück?

All Dein Vollbringen,

Was hat's vollbracht?

Stand Ein Gelingen
In Deiner Macht?

Die Götter ließen
Dich unverdient
Manch Glück genießen —

Hast Du's gesühnt?

Nun Sonnenwende!

Der Sommer sank —

Trag still das Ende!

Dies sei Dein Dank!

A. I>© Nora

Lied eines Gefangenen

Die Dämmerung hält ihren Gang
Und webt im Abendglockenklang.

Konimt auch zu mir, geht nicht vorbei
Und fragt, warum ich einsam sei?

Und fragt, warum die blasse Hand
Das Aug verdeckt und abgewandt?

Und fragt, warum ich denn so still,

Ob ich ihr garnichts sagen will?

Und fragt und wartet, — das Licht wird trüber,
Und grüßt mich bang und geht vorüber.

x.

Großmutters Hände

Daß er doch Dankesworte fände,

Dein alter undankbarer Mann!

Ich sehe Deine armen Hände
Mit Rührung und mit Ehrfurcht an.

O diese feinen ros'gen Finger,

Als ich zuerst ins Haus Dir fiel!

Ich dacht, es wärn die süßen Dinger
Zum Küssen nur und Pfänderspiel.

Ja, nimmer sollten sie sich regen
In harter Arbeit; lieber werd
Ich selber Trepp und Kammern fegen,

Am Zuber stehen und am Herd.

Und wenn erst unsre Babies quarrten
Und machten Mühe Dir und Not,

Ich wollt des kleinen Kroppzeugs warten
Vom Abend- bis zum Morgenrot.

Ich war in Deine lieben Hände
Wie in Dein lieb Gesicht vernarrt.

Von schwerer Arbeit ohne Ende
Sind heute sie verschrumpft und hart.

Und lauter Liebe unermessen
Steckt in den tausend Fältchen drin.

Ich fürcht, ich Hab zu oft vergessen,

Was ich den Händen schuldig bin.

Ad. Ey


■t#r

H Nisle f

Im Schein der Blitze

von Hermann Bang

Ich kann meine Gedanken nicht von dieser
Kirche und diesem Blitz abwenden.

Doch die Blitze, die haben nun einmal ihre
eigene Macht und ihre eigenen Wege.

Aber auch die Blitze vom vorigen Jahr habe
ich nie vergessen können. Die Blitze in Böhmen.

Sie schlugen mitten in einen Leichenzug ein.
Gerade als ein Leichenmg mit Sarg und Priester
und Glocken und Familie über die Landstraße zog.

Ganz plötzlich schlug der Blitz mitten in den
Zug ein. Und hätte er doch wenigstens in den
Sarg eingeschlagen. Denn er, der zwischen den
vier Brettern lag, war ja nun einmal tot und
hatte seine Tage beschlossen.

Aber dieser wunderliche Blitz schlug unter
ihnen ein, die mitgingen.

Und er flog aus und ein und hin und her,
so, als wäre er rein verrückt oder garnicht vom
Himmel gekommen, sondern geradewegs aus der
heißen Hölle ausgesandt.

Er tötete drei Menschen.

Und die andern, das Gefolge, flohen und
liefen nach allen Seiten, fort vom weg, quer
feldein — entsetzt, kreideweiß, heimwärts.

Und den Sarg hatten sie hingeworfen, und
mitten auf der Landstraße zurückgelassen.

Ach, welches Bild für einen großen Zeichner:
all diese Fliehenden und Entsetzten und Lächer-
lichen. voran der Priester mit erhobenem Talar,
bis über die Kniee gehoben, und die Chorknaben,
davonlaufend, mit den Käuchergefäßen, die in
ihren fänden baumeln; und zuletzt die Witwe.
Sie kommt nicht mit, aber sie rudert vorwärts
mit ausgespreizten, erstarrenden Armen, — und
plötzlich reißt sie den Witwenschleier ab, in ihrem
Entsetzen und um rascher vorwärts zu kommen.

Und alle die andern — im Galopp, Dicke und
Dünne, sinkende und Lahme, Junge und Alte,
die Aelteften voran — nur weg und fort .. .

Aber der Sarg mitten auf dem weg oder am
Straßenrand halb im Graben — von Blitzen
umzuckt.

Den Blitzen, die auch — die Leidtragenden
beleuchten, die davonrennen — —

Aber natürlich haben die Menschen recht.

„Man geht mit einer Leiche."

Gott bewahre mich, wer Zeit dazu bat und
in einer kleineren Stadt wohnt und einen größeren
Bekanntenkreis hat, „geht" ein paarmal im Monat
oder einmal in der Woche mit — man tut es, um
eine Ehre zu erweisen. Man tut es, um seine
Freundschaft zu zeigen (vielleicht für die Witwe),
man tut es vielleicht auch, um „dabei zu sein",
um sich zu zeigen.

Alan geht mit — zum Friedhof und zum
Grabe des andern. Und wenn der verstorbene
in sein Grab gesenkt wird, dann stampft man
auf die Erde mit seinen zwei eigenen lebendigen
Füßen und denkt, daß die Fleischsuppe gut tun
wird. Man ißt gerne Fleischsuppe nach Begräb


mffen, weil sie gewiss«,
maßen den Magen i»
My' - Bewegung erhält und q°.

' ^ ^ / gen Erkältungen schlitzt

Hiat: geht zum Grabe
mit aber man geht
md;t zu seinem eige.
net; Grabe und in L
2-od hinein.

mctn fatm sich,

seinem Nachbarn die lebte
Ehre zu erweisen, einem
Schnupfen aussetzen
mag tzingehen. Aber man
setzt sich doch wahrlich
nicht dem Blitze 'aus
und dem - Selbftmit-
gehen in die Ewigkeit!

Nein, keineswegs!

, wir schulden ja alle
(obgleich wir es nicht
gerne glauben wollen) dem Himmel einen Tod
Aber „einen auf einmal", wenn wir bittm
dürfen.

Und doch, wie begreiflich auch das Ganze war
es war etwas an diesem vom Blitz zerschmetterten
Leichenzug und dem hingeworfenen Sarg und den
drei Getöteten, die plötzlich mit gebrochenen Augen
dem zürnenden Fimmel ins Antlitz starrten, und
den Chorknaben, die in den Meßgewändern flohen

— es war etwas an all dem, was meine Ein-
bildungskraft in Bewegung setzte-

Und nun der andere Blitz. Der in die Kirche
einschlug. Dort in Lemberg.

Es war hohe Messe. Festmesse, vierhundert
Jahre lang halten die Mauern der Kirche die
Gebete der Gemeinde geschützt, vier Säkula waren
ihre Glocken ertönt.

Ein solcher Tag wird gefeiert.

In Prozession war man zur Kirche gezogen.
Bischöfe und Domkapläne gingen an der Spitze.
Geistliche und Chorknaben und braune Mönche
und schwarze Mönche und weiße Mönche gingen
nach. Die Gläubigen folgten in langen Scharen

— um dem zu danken und zu lobpreisen, der das
Leben und der Tod ist, der leben wird.

Auf allen Altären brannten Lichter, und auf
allen Lippen waren Gebete.... Gebete, daß Er
alle hier auf Erden wohlgeleite, und wenn ihr
Tag gekommen war, sie in Frieden heim zu sich
in den Fimmel führe.

Der Lobgesang stieg in der Kirche an, doch
stärker stieg das Ungewitter.

Blitze blendeten und verdunkelten die Lichter
der Altäre.

Aber Priester und Andächtige sangen nur lauter:
denn wo sollten sie wohl sicher sein, wenn nicht
hier? —

Doch die Blitze wurden stärker, und in ihrem
Licht sah es aus, als ob alle die heiligen Männer
auf ihren heiligen Altären ihre Holzgesichter ver-
zerrten.

Da, im selben Augenblick kracht ein Dröhnen,
als wollten die Mauern einstürzen und die Erd-
rinde sich öffnen, und mitten im Schiff der Kirche,
unter den zusammengedrängten wunderten liegen,
vom Blitz getroffen — vier Getötete, leblos, ent«
feelt auf dem Boden der Kirche

Ja, welches Bild für einen großen Zeichnerl

Denn wohin flohen die entseelten Tausende?

warfen sie sich vor den Altären nieder, den
Altären dessen, der Herr über Tod und Leben ist?
Klammerten sie sich an die Kreuze, die, wenn des
Tages Kummer vorüber ist, den weg zur ewigen
Seligkeit weisen? Umschlangen sie die Kruzifixe?
Kiefen sie die heiligen an, oder sanken sie in die
Kniee mit emporgestreckten fänden und schlangen
die vertrauensvollen Arme um das Knie der
heiligen?

wohin sie flohen?

Zu den Türen!

Sie stießen, sie strampelten, sie stampften alles
nieder, sie gingen mit den Fäusten los —• nul
vorwärts — nur hinaus, hinaus zu den Türen.
Index
Karl Julius Adolf Ey: Großmutters Hände
Herman Bang: Im Schein der Blitze
X.: Lied eines Gefangenen
Heinrich Nisle: Vignette
A. De Nora: Sonnenwende
 
Annotationen