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Nr. 42

Liebe Jugend

Gelegentlich eines Derwandtenbesuches komme
ich eines Nachmittags als Fremdenführer nach
Potsdam. Nach Besichtigung von Sanssouci er-
kundigte ich mich bei einem an der Rückseite des
Schlosses mit lanaer Ordensschnalle und unnah-
barein Gesicht sitzenden Kastellan nach dem nächsten
Wege zum Pfingstberge. „was wollen Sie denn
dort'?" fragt er mich ziemlich ungnädig. Auf
meine verschüchterte Antwort, daß ich den Damen
die berühmte Aussicht zeigen wolle, brummt er
vor sich hin: „Nanu, j e tz t Aussicht? Die Iarde
exerziert nur vormittags."

Fräulein Adele lebte mit ihrer Schwester Alice
zusammen, und da die beiden Damen sehr sparsam
waren, so hatten sie nur ent Gebiß, das diejenige
von ihnen anlegte, die ausging.

Es war am Samstag um 6 Ahr und Fräulein
Adele saß angezogen auf dem Kanapee und wartete
ungeduldig, daß Alice käme.

Endlich tritt diese eilig ein und legt sofort
das Gebiß aus dem Mund, das Adele ergreift
und in ihren Mund praktiziert. Dabei ent-
schuldigt sich Alice fortwährend, daß sie so spät
gekommen sei. „Ja, und ich war bei dem Onkel
Bäckermeister, und da hat es so schönen Küchelt
gegeben."

„£71101, hum," sagt da Adele, am Gebisse
lutschettd. „Pflaumenkuchen, da muß ich gleich
Kingehen."

*

Im Damenpensionat einer süddeutschen Residenz
bekommt eine höhere Tochter Besuch von ihrem
Detter, einem Ouintaner aus dem Kadettenkorps.
Bald sind mehrere Freundinnen um den jungen
Marssohn herum und zeigen ihm alle Herrlichkeiten
des Dauses. Sie gelangen auch in das Schlafzimmer.
„Siehst Du," sagt Lousine Editha, „hier schlafen
wir und beim Auskleiden geht es oft recht lustig
her. Dann tanzen wir noch einen Reigen." Er-
staunt reißt der angehende Soldat, der es nicht
anders kennt, als daß auch nachts ein Dorgesetzter
bei seinen untergebenen Sxartanerjünglingen im
selben Raume mitschläft, seine großen Kinder-
augen auf und bricht entrüftet in den Ruf aus:
„Aber schläft denn bei Luch kein Leutnant?"

Eine junge Kunstmalerin, die frisch aus Nord-
deutschland angekommen ist, fährt mit ihrem
Detter, der auch Kunstmaler ist, durch das
Münchener Siegestor. Der Detter erklärt ihr mit
Pathos: „Hier beginnt Schwabing!" Da fragt
sie ihn, sich interessiert umschauend: „Und wo
lebt man sich aus?"

Unpolitische Lieder

i.

Das adlige Rhinozeros

wenn das Rhinozeros ein „Von"

Vor seinem werten Noamen trägt,

So heißt es „von Rhinozeros",

Doch dämlich bleibt es unentwegt.

Und wenn das höchste Rindvieh auch
Und der erlauchtste Hammelssproß
Ihm noch so eng befreundet wär',

Es bleibt doch ein Rhinozeros.

Ja, hätte Schöps der Große gar
Dem Ahn den Adel zuerkannt:
Unglückliches Rhinozeros,
wirst dennoch nie ein Elefant!

Georg költicber

JUGEND

Epigramme

(Don Rark Sttkinqer

De» Frommen, der verzeiht, versteht,

Kannst du mit der Laterne suchen.

Denn oft besteht das ganze Gebet
Der Orthodoxen im — Verfluchen.

Sinenr „pikanten" (Romancier

Ewig bleibst du nur ein Modegrößchen,
Denn zum ernsten Künstler fehlt dir viel.
Deine Muse trägt zwar Spitzenhöschen,

Aber sie ist leider Gott's steril.

Auhekedürftig

Da mancher Freund mir das Leben vergällt.
Fand ich es glücklich heraus:

Am besten kommt man auf dieser Welt
Mit seinen Todfeinden aus.

(ließet: ein philosophisches Merk

Drei Bande über das Gottesproblem.

Die Lektüre war wirklich nicht angenehm.

Doch dafür ward mir nun auch klar — juchhe! — ;
Der liebe Gott zerfallt in a) und b).

*

i£ine unappetitliche Geschichte

lle Blumen im Garten steckten die Köpfe zu-
sammelt und flüsterten. Mit dem Roseltstock,
ihrem Stolz und Liebling, ging etwas vor. Er
sah schlecht aus, seine Blätter krümmten sich, als
ob sie Schmerzen hätten, und hatten eilte eigene
graugrüne Farbe altgeilommen, ultd auch die
Knospen ließen die Köpfe hältgen.

was war dein arlnelt Rosellstock passiert? —
Eilies Morgens, als er so recht in voller Pracht
und Schöltheit dastand, hatten sich ein paar klein-
winzige grüne wesen auf seinelt Blattspitzelt nieder-
gelassen. Ganz bescheidelt ultd harmlos, sodaß
der Rosenstock sich lticht viel um sie kümlnerte.


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Der Mann im Mond

M. Baurnfeind

1908

Nach ultd nach aber hatten sie sich häuslich ein-
gerichtet, hatten einen Hausstand gegründet und
Kinder bekommelt — Kinder über Kiltder und
Kiitdeskinder — es war garniert zu sagen, wie
schltell und wie viel! Auf alleit zarten Blättchen
auf den jmtgen Trieben, auf den Kuospelt faLj
sie dichtgedrängt und ließen es sich schllleckell.

Mit Entsetzen hatte der Rosenstock endlich die
fürchterliche Einquartieruitg erkanitt.

„Abscheuliche Brut," schrie er, „macht, daß
Ihr fortkomlnt! O wie ich mich schäme! Jetzt
weiß ich, wer Ihr seid, ach. ich mag Luern Namen
garnicht aussprechen, so eklig wird mir dabei!"

„Nomina sunt odiosa!“ sagten die Grünen
bedächtig. „Auch wir sind Geschöpfe Gottes." —

„Marienkäferchen, kannst du mir nicht helfen?"
bat der Rosenstock.

„Ich will sehen, was sich tun läßt," sagte
das kleine rote Käferchen mit ben zwei schwarzen
Punkten auf ben Flügeldecken. Kam herbei und
vertilgte so viel es konnte von der grünen Plage,
aber weniger wurde darum doch nicht, und der
Rosenstock wollte schier verzweifeln. —

„warunt stellst du dich so an, als ob wir
Gott weiß was wären?" sagten die Grünen,
„wir sind ruhige, seßhafte Leute; daß wir so
viel Kinder kriegen, dafür Fomten wir nichts.
Achte nur einmal darauf, wie andere uns wert-
schätzen ultd Hochhalten." —

Ultd der Rosenstock sah mit Staunen, wie ein
paar Mal des Tages große Karawanen von Ameisen
an seinein Stamm empor wanderten, die Zweige
entrang eilten und sich freundlich alt die Grünen
heranmachten. Mit ihren Füßen umklammerten
sie ben Hinterleib der Braven, streichelteit sie und
melkten sie schlecht tntb recht wie Kühe im Stall.
Hatten sie sich sattgetrultkeu an dein süßen Saft,
so nahmelt sie uod? ein Uebriges mit für ihre
Larvenkinder ultd für die Königiit imb wunderten
volt dannen, wie sie gekommeit waren. —

„Jetzt da hört's aber auf!" schrie der Rosen-
stock. „Haben diese — nein, ich kann den Namen
nicht über die Lippen bringen — diese — Schmarotzer
eine veritable Meierei und Milchwirtschaft auf
mir etabliert! Hier kanlt nur Einer helfen, sonst
schäme ich mich zu Tode!"

Und der Eine kam. Mit feiner großen blauen
Schürze ultd dein weißeit Strohhut. Ueber dem
Stoppelkinn hiltg ihm die qualmende Pfeife und
in der Hand trug er einen Kübel.

Und auf einmal ging es, schwapp, über den
Rosenstock nieder und noch einen Guß und noch
einen. —

Der Rosenstock war nahe daran, ohnmächtig
zu werden, und schüttelte sich, brrr, denn das Zeug
stank greulich nach Tabakbrühe. Aber plötz-
lich hielt er an sich: was war mit der grünen
Gesellschaft vorgegangen? —

Einen großen Haufen schien der Wasserguß
schon mit fortgeschwemmt zu haben, die anderit
aber waren betäubt, erstickt, erschlagen, ver-
ltichtet — —

„ Gott sei Dank!" sagte der Rosenbusch
und lächelte seinelt guten alten Pfleger dankbar
an, obwohl der ihm noch ein paar tüchtige
Tabakwolkelt ins Gesicht paffte. —

Am andern Morgen stand der Rojenstock
rein ultd schön, wie neugeboren. Ein paar
Knospen hatten sich aufgetan und sandten
ihren köstlichen Duft wie Opferwölkchelt gell
Himmel. —

„Seht, wie frisch unser Rosenstock heut
wieder ist," flüsterten die Blumen im Garten,
„er scheint seine Kraitkheit überwunden zu
haben."

„Na," sagte der Klatschlnohn spitzig, „eine
Krankheit war es nun grade nicht; er hatte
— nein, ich mag nicht darüber sprechen, es
ist — eine unappetitliche Geschichte."

Clara Hcpner

1 m







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Die werdende Diva

Zwei Herren
Gesellschaft:
,,2ln der ist ja
! Schl, kommt nicht!
Jllf den Stuhl

990
Register
Clara Hepner: Eine unappetitliche Geschichte
Moritz Bauernfeind (Baurnfeind): Der Mann im Mond
Georg Bötticher: Das adlige Rhinozeros
Karl Ettlinger: Epigramme
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
 
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