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Sie, die das Le6en versäumen —

Sie liegen bei dämmernder Ampel Schein

— Sie, die das Leben versänmen —

Auf weichen Polstern, schlürfen den Wein
Bedächtig, und sinnen und träumen.

Der Scheite Knistern im Kamin
Zerbricht das bebende Schweigen. —

Der Mundschenk nur geht her und hin
Glasfüllend mit stummem Verneigen.

Sie löschen die flackernden Lichter aus,
Wenn die Wellen der Nacht verschäumen,
Und gehen langsam und still nach Haus

— Sie, die das Leben versäumen — —

Reinhard Rocstcr

Der Freund

Mir ward ein Freund hinieden!

Als mir mein bestes Tun mißglückt,

Hat er mein Aug' gemieden
Zartfühlend und bedrückt.

Doch als mein Glück gestiegen.

Da war der Wackre wieder da,

Und schwelgt' in meinen Siegen
Mit Klang und Gloria!

Gott lohn' ihm seine Treue,

Die, was mir nottnt, stets versteht —
Und wahr' ihn vor der Reue,

Wenn's wieder schlechter geht!

Hanns von Gumppenberg

-A6en-

Die Sonnenrosse weiden
Auf dunkelblauem Veilchenplan.

Es hält der Tag vorm Scheiden
Im raschen Jagen lächelnd an.

Zwischen zwei ewigen Reichen
Ein Traumeslächeln. —- Die Dämmrung fällt.
Von den ruhenden goldenen Speichen
Strömt Frieden in die Welt!

Frida Schanz

6er 6raf hem^

von Albert von Trentini

6?Uis zu seiner Hochzeit war er immer einsam
gewesen, der Gras Henry. Das will viel
sagen, denn er heiratete in seinem 47. Jahre.
Er hatte ein kleines Palais in Wien, in Frank-
reich Güter. Die Eltern waren ihm früh gestorben,
er lebte mit seinen Geschwistern, bald in Wien,
bald irt Paris; ein bißchen auch in Elury, wo
die Güter standen. Aber weder hier, noch dort
sah man ihn in der Gesellschaft, und nur ganz
wenige wußten, daß er existerte. Das waren die
Schaffner im Expreßzug, mit dem der Gras I^enry
alle Jahre sechsmal nach oder von Frankreich
fuhr, und ein paar halbverwandte Freunde.
Aber die Letzteren besannen sich wirklich nur
dann darauf, wenn sie Schulden hatten, denn der
Graf Henry war reich und gab, so oft man ihn bat.

Seine Einsamkeit genoß er. Er brauchte sie.
Er war kein Genie, kein Gelehrter, nicht einmal
ein Sonderling. Aber er hatte niemals übrige
Zeit. Er verwendete sie auf Kleinigkeiten, auf
rührende Bagatellen; er photographierte Alles,
was ein Amateur nicht photographierte, sammelte
Siegel und päpstliche Münzen, schrieb eine ewige
Familiengeschichte, und restaurierte mit peinlicher
Gründlichkeit und Liebe seine 87 Ahnenbilder,
jedes Jahr vier.

vom Leben hatte er unbestimmte Ansichten,
von den Frauen keine. Er war strenggläubig,
von musterhaftem Wandel, wohltätig, und vor
allem ein Mensch, der die Bahn seiner Grund-
sätze niemals verließ, weil er nicht gewußt hätte,
wie er das anstellen sollte. Ein einzigesmal hatte
er ein Abenteuer erlebt. Eine pariser Kokotte
hatte ihn in einem Kaffehaus kurzerhand hopp-
genommen. Er schenkte ihr seine Börse, brachte
es aber über verlegene Blicke und knabenhafte
Versicherungen nicht hinaus. Das war schon
lauge, lange her; aber er wurde noch immer rot,
wenn er daran dachte.

Da, als er ^7 Jahre hatte, war plötzlich der
Teufel in ihn gefahren. Er wollte heiratest.
Fünf Wochen nach diesem Entschlüsse war er
mit der 2\ jährigen Gräfin Mlly Gosna verlobt,
vier Monate nachher verheiratet.

Die Hochzeit wurde in Foxberg gefeiert: hundert-
drei Gäste, drei Tage lang. Ganz Oesterreich-
Ungarn vom Grafen aufwärts war dabei. Die
Hochzeitsreise ging nach Kairo, Tunis u. s. w.
Bach drei Monaten kam das Paar nach Wien
ins Palais.

Der alte Kammerdiener Paul, den fein Herr
auf diese Reise mitgenommen hatte, erzählte nach-

1106

Erich KleinhempeJ (Dresden)

her, daß der Graf Henry, weil er doch früher
immer allein gewesen war, seit seiner Uochzeit
aus dem Erstaunen nimmer herausgekommen sei.
Aber, wie war der Graf Henry erst überrascht,
als er, im Palais ankommend, erfuhr, daß seine
Geschwister auslogiert worden waren; und als
er mit verblüfften Augen sehen mußte, wie das
alte, unbequeme Haus mittlerwelle zu einem
höchst koinfortablen, fast weichlichen Ouartier war
umgewandelt worden.

Aber er stammelte nicht einmal: „wieso?
warum?" und die junge Gräfin Olly, welche
geschickt alle diese Veränderungen befohlen hatte,
stieg leichten Schrittes die roten Treppen und
sagte: „wie geiuütlich und nett das ausgefallen ist."

Und nun herrschte die kleine, junge Gräfin
Dlly. Es war kein Anlaß da, all ihrer Liebe
zum Grafen Henry zu zweifeln. Sie nannte
ihn „mein lieber Heinzi", verriet nie, wie schlecht
man sie zu Hause in Gosna-Foxberg behandelt,
wie oft sie verzweifelt geschrien hatte: „Jeden,
Jedell heirate ich, wenn er nur kommt!", und
wie glücklich sie war, nun Königin über einen
ergebenen, ungeheuer aufmerksamen Mann, ein
Haus, einen Familienbesitz, sehr viel Geld und
die Zukunft zu sein.

Jung war sie, lebendig und temperamentvoll.
Aber nicht im geringsten sentimental. Illusionen-
los. Und so paßte sie wenigstens in Einem zum
Grafen Henry: auch sie konnte vom Schicksal nie
überrascht werden.

Ja, das ging nun freilich anders zu, als zu
Lebzeiten des ledigen Grafell Henry. Das Haus
stand sperrangelweit offen. Jeden Tag Empfang,
tausend Bekannte, tauselld Besuche. Kleine,
mittlere, große Diners. Intime, offizielle, Ab-
fütterungs - Soupers. Jeden Tag Theater oder
Ball oder soir^e auswärts. Jeden Tag Korso,
Prater fahrt, Bazar, Wohltätigkeitsmusik. Und
die Gräfin Mlly arrangierte, schickte den Grafen
Henry auf Bestellullgen, schaffte ihm einen neuen
Frack, einen neuen Smoking an, machte selbst
stundenlang Toilette, war niemals müde, immer
quecksilbern. Sie hatte keine Minute Zeit für den
Grafen Henry allein. Und so paßte sie auch in
einer zweiten Beziehung gut zu ihm: sie war
ohne Unterlaß beschäftigt.

Aber der Graf Henry! Ja, der Graf Henry
schwieg halt. Er hatte oft ein recht trauriges
Gesicht auf, wenn er gerade mit Blumen in den
Salon seiner Frau kam, und sie ihm entgegen-
stürzte: „Mein lieber Heinzi, Du bist schlecht
rasiert. Mach' schnell, der wagen ist da." Ein
recht weinerliches Gesicht, wenn er den Abend
gerne mit seiner Frau verbracht hätte, und sie
resolut zu ihm sagte: „Aber, mein lieber Heinz:,
Register
Erich Kleinhempel: Zierleiste
Reinhard Koester: Sie, die das Leben versäumen
Hanns Theodor Karl Wilhelm Frh. v. Gumppenberg: Der Freund
Frida Schanz: Abend
Albert v. Trentini: Der Graf Henry
 
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