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Nr. Sö

Der kleine Page

Zum Pagen sprach die Fürstin Olwette:
„Komm' heut' um Mitternacht zu mir ins Bett!"
llnd rauscht vorüber, üppig und pompöse.

Der Kleine aber ward betrübt und böse —
Der hohe Auftrag tat ihm riesig leid:

Er hatte diese Nacht doch keine Zeit,

Die wollt' er ja zu einem Traum benützen
Voll Olivettens weißen Fingerspitzen .. .

Oskar Icllüick

Resignation

Als die Sehnsucht angefangen,

Bin ich aus dem Haus gegangen;

Wie war ich jung!

Die steilsten Gipfel Hab' ich erklommen
Und die breitesten Gräben genommen
Mit kühnem Sprung.

Heut treibt mich nimmer ein Verlangen,
Meine Wünsche sind schlafen gegangen,
Alles ist kalt.

Zerrissen der Purpur, den ich gewoben,
Meine Träume in Nichts zerstoben,

Wie bin ich alt. . .

Erwin weilt

Mädchenherz

Und schiltst du sie mit heft'gem Wort,

So wird sie ungerührt erscheinen.

Und sagst du ihr, du zögest fort,

So wird sie Schuld und Reu verneinen.
Und kränkst du sie und spottest sehr,

So sagt sie dir, sie liebe einen; —
Doch klagst du ihr, du littest schwer,

So wird sie weinen.-

Georg Lomcr

Tag und h^acht

Glaube nicht nur dem Sonnenlicht:

Ganze Wahrheit zeigt es dir nicht!

Bist wohl zur Hälfte lichtdurchtränkt,

Aber zur Hälfte auch eingesenkt
Ins Heimlichgrosze Reich der Nacht —
Weißt du, was mehr dein Wesen macht?
Wenn dli den Zauberbccher trankst,

Müd in den Schoß der Mutter sankst:
Schwindet da nicht in ihrem Kuß
All dein Tagsein, Not und Genuß,

Kampf und Können ltnb Trotz und Trieb
Zu leichten Nebeln, bis nichts mehr blieb?
Und hobst du dein Haupt, und schautest du
In des Mutterauges bannende Ruh':

Wird dir da nicht urmächtig bewußt
Manche Trauer und manche Lust,

Manch eine Furcht oder Zuversicht,

Die du nicht kennst im strömenden Licht?
Tag bringt Tat, und Nacht singt Sein,
Beide schließen dein Leben ein —

Lausche der Wahrheit, wo immer sie rief!
Klar ist der Tag: doch die Nacht ist tief.

Hanns von Gumppcnbcrg

Fritz Gäßl —

Pastorale

Von Rarl Ettlingev

„Fräulein!"

„Gnädige Frau?"

„Ich habe gräßliche Kopfschmerzen. Sie
können heute Abend meinen Konzertplatz be-
nützen. Es ist mir unmöglich, hinzugehen!"

„Danke vielmals, gnädige Frau!"

„Daß Sie mir aber spätestens um zehn Uhr
zurück sind. Hören Sie?"

„Gewiß, gnädige Frau!"

„Und legen Sie vorher Elschen zu Bett!
Hier haben Sie das Billett!"

„Danke sehr, gnädige Frau!"

Während die Gouvernante die Treppe gu
ihrem Zimmer hinauf eilte, warf sie einen Blick
auf das Billett. Erstes Parkett, zweite Reihe.
Da mußte sie wohl ihr weißes Kleid anziehen,
obwohl es in Strömen regnete. Auch sorgfältig
frisieren mußte sie sich — schade, nun würde
sie viel zu spät kommen.

„Mein Gott," dachte sie, indeß sie Toilette
machte, „meinetwegen mache ich mich wirk-
lich nicht schön! Ueber diese Kindlichkeiten bin
ich mit nieinen fllnfundvierzig Jahren hinaus.
Aber auf einem so vornehmen Platz muß man
schon in Staat erscheinen. Ich darf die Gnädige
nicht blamieren. — Wie lange war ich eigentlich
in keinem Konzert mehr? Reichlich fünf Jahre
werden es wohl sein. Früher, als ich noch bei
Bankdirektors war, kam ich öfters in den
Konzertsaal oder ins Theater. Ich hatte die
erwachsene Tochter zu begleiten. Aber jetzt. . .
Ich hätte doch nicht eine Stellung zu einem
sechsjährigen Kind annehmen sollen, so sehr ich
die Kleine liebe. Merkwürdig, je älter ich
werde, desto herzlicher kann ich zu Kindern
sein" . . .

So! — schnell noch die Ohrringe angelegt
— sie glitzern, als ob sie echt wären — und
hinunter zu Elschen.

„Fräulein, Du bist aber heute schön!"

„Ja, Elschen, ich gehe ins Konzert. Komm,
laß Dich hübsch brav ausziehen!"

„Du sollst aber bei mir bleiben!"

„Morgen, mein Herzchen! Siehst Du, nun
bist Du schon im Hemd! Jetzt hebe ich Dich
ins Bett —"

„Ich kann allein hineinklettern!"

„Auch gut! Und nun schön beten I"

Elschen faltete die Hände und betete. Zer-
streut gab ihr die Gouvernante den Nachtkuß.
Sie sah heimlich auf die Uhr: schon viertel
nach acht. Sie drehte das Licht aus.

„Du Fräulein?"

„Ja Elschen?"

„Erzähle mir eine Geschichte!"

„Aber liebes Kind —"

„Nur eine ganz kurze! Bitte, bitte, Fräulein!"

1908

Die Gouvernante erzählte ihr die Geschichte
von Schneeweißchen und Rosenrot.

„Gute Nacht, Fräulein!"

„Gute Nacht, Elschen!"

Sie setzte eilig den Hut auf, warf den Mantel
über, nahm den Schirm und lief zur nächsten
Trambahnhaltestelle.

-S rk *

„Pardon, meine Dame, während des Klavier-
konzerts darf Niemand hinein! Sie müssen
warten, bis die Sinfonie anfängt! Bitte, cUir
Billet!"

Als der Saaldiener ihr Billet sah, wurde er
galanter. Er bot ihr einen Stuhl an. „Das
Stück muß gleich fertig sein!"

Sie setzte sich und versuchte, der Musik zu
lauschen. Aber die Töne klangen zu verworren.

Der Saaldiener plauderte mit der Garde-
robefrau, die müde gähnte. Auf dem Flur
brannten nur ein paar Notlampen, trüb und
stickig. „Gleich dürfen's hinein, gnädiges Fräu-
lein!"

Bon drinnen scholl lautes Händeklatschen,
die Türen wurden geöffnet, die Gouvernante
trat ein. Unsicher ging sie durch den heller-
leuchteten Saal. Sie hatte das Gefühl, nicht
in diese vornehme Gesellschaft zu passen. Sah
man es ihr nicht an, daß sie das Billet geschenkt
bekommen hatte?

Bor ihr saß eine elegante Dame in tief aus-
geschnittenem Kleid, die sich mit ihrem befrackten
Nachbarn unterhielt.

„Gott sei Dank, daß sie heute mal die Sechste
spielen!" sagte der Herr. „Immer nur die
L-moll, das wächst einem ja zum Hals heraus!"

„Mir ist auch die Sechste die liebste!" er-
widerte die Dame. „Die Neunte ist mir zu
endlos!"

Da trat der Kapellmeister an das Dirigenten-
pult, hob den Taktstock, klopfte leise und gab
das Zeichen zum Einsatz.

„Er dirigiert auswendig!" flüsterte die Dame.

Mt! -

.... Durch Wälder und Wiesen rollte der
Wagen. Der gnädige Herr rauchte behaglich
eine Zigarette, neben ihm saß die Gnädige und
fächelte sich mit dem perlenbesetzten Fächer Küh-
lung zu. Ihnen gegenüber Elschen und die
Gouvernante. Wie das goldene Kinderhaar in
der Sonne blitzte!

„Sieh nur mal, Fräulein, die Leute da aus
dem Feld! Was machen die denn?"

„Die säen Korn, aus dem das Brot be-
reitet wird."

„Und Kuchen auch?"

„Gewiß, Elschen, auch Kuchen!"

„Die Leute sind brav!" erklärte Elschen
befriedigt.

„Du, Mama?"

„Ja, was ist denn schon wieder?"

„Sind wir bald da?"

„In einer Viertelstunde!"

Elschen schwieg und schmiegte sich enger an
die Gouvernante. Sie war begeistert. Zum
ersten Male durfte sie mit in die Sommerfrische.
So lange war sie noch nie in einem Wagen
gefahren. Und sogar Papa war mit dabei!

„Sieh nur, Fräulein, die vielen Blumen!
So viele! Pflückst Du mir welche, wenn wir
da sind?"

„Ja, eine ganze Hand voll!"

„Darf ich auch mitpflücken?"

„Wenn Du Dick nicht schmutzig machst, und
Mama es erlaubt."

„Erlaubst Du's, Mama?"

„Aber ja! So frage doch nicht so viel!"

Der Wagen hielt vor der Sommervilla.
Peter sprang vom Kutscherbock und öffnete den
Wagenschlag. Die Herrschaften stiegen aus, die
Gouvernante hob Elschen aus dem Wagen.

Man ging in das Haus. Das Personal
war schon am Tag vorher eingctroffen und hatte
Alles in Stand gesetzt.

7178
Register
Hanns Theodor Karl Wilhelm Frh. v. Gumppenberg: Tag und Nacht
Fritz Gässl: Vignette
Karl Ettlinger: Pastorale
Oskar Jellinek: Der kleine Page
Georg Lomer: Mädchenherz
Erwin Weill: Resignation
 
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