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Nr. 52

1908

Ein gutes neues Jahr!

Our Zeichnung „Silvester-Phantom" von Paul Rieth)

Nun ist die Zeit, wo einem Jeden Jeder
Was Gutes gönnt — sich selbst natürlich auch! —
Und Solches mündlich teils, teils mit der Feder
Dem Nächsten mitteilt nach bewahrtem Brauch!
„Herzlichen Glückwunsch" sendet man auf Karten,
Per Tele-gramm und -phon und auch im Brief —
O Mensch, wie bist Du kindlich und naiv,

Just an Neujahr das Glück Dir zu erwarten!

Das Glück! Na überhaupt: Was ist

das Glück denn?

Ein Schein, ein Trug, ein Wahn,

ein Traum, ein Wunsch!
Oer Weise lächelt still ob der Verrückten
Und tut noch etwas Arrak in den Punsch!

Er weiß, wie einst ums goldne Kalb noch Moses,
Tanzt jauchzend um des Glückes goldncs Schwein
Der Neuzeitmensch — sein Steckenpferd allein
Hält Jeder für ein Glück — und für ein großes!

Der Manit natürlich sieht das Glück meist weiblich,
Ein kemininum stellt sich's männlich vor —
Man träumt ein Liebesglück, das unbeschreiblich,
In rosigem und himmelblauem Flor!

Ein Schätzlein träumt der Jüngling sich, ein holdes,
Das Mädel bald 'neu Leutnant, schön und stramm,
Bald einen steuerkräft'gen Bräutigam
Mit Auto, Haus und vielen Stangen Goldes!

Oie Eitle träumt von einer Spitzentaille
Und einem Hut, der ihr entzückend steht,

Oer Künstler träumt von einer Goldmedaille,
Von Ruhm und Tantiemen der Poet.

„Ach, wenn ich nur ein süßes Baby bloß hätt'
— O welch ein Glück!" So seufzt die

Zunge Frau,

Ein armes Weib hat dreizehn Stück genau
Und stöhnt: „O Glück, wenn ich nur

zwölfe los hätt'!"

In unbegrenzter Dummheit meint die Jugend:
„Ach wär' ich glücklich etwas älter doch!"

Das Alter sagt in seinen Spiegel lugend:

„O welch ein Glück, hätt' ich die Jugend noch!"
Der arme Teufel — hätt' er augenblicklich
Ein Zwanzigmarkstück, wie er glücklich wär'!
Hingegen aber macht den Milliardär
Nur eine weitre Milliarde glücklich!

Der Eine sucht in bacchischem Getue
Das Glück, bei Weibern und beim vollen Krug;
Der Andre denkt: Hält' ich nur meine Ruhe
Vor meiner Frau, das wär mir Glucks genug.
Des Einen ganzes Glücksbegehren gipfelt
Im Wunsch nach Aemtern, Würden,

Rang und Pracht;
Ein andrer Narr wär' glücklich schon gemacht,
Würd' ihm sein Knopfloch endlich bunt bezipfelt!

Ein Jeder hält was Andres für was Gutes —
Das führt den Weisen zu dem Axiom:

Es gibt kein Glück, kein wahres, absolutes;
Das Glück ist nur ein lächelndes Phantom,

Ein Schemen, das mit lockender Geberde
Auf einer Seifenblase gaukelnd schwebt —

Und daß man überhaupt was heiß erstrebt,
Das einzig macht das Glück aus auf der Erde!

Drum jagt nur weiter in beglücktem Nasen
Nach dem, was Ihr des Lebens Krone nennt.
Auf Steckenpferden jagt »ach Seifenblasen,

Die Wonne sei Euch massenhaft gegönnt!

Ob Ihr in Hütten, ob auf goldnen Thronen
Entgegenharrt dem ersten Januar —

Ich wünsch' Euch nicht „viel Glück"

zum neuen Jahr,
Ich wünsch'Euch Bessres: „viele Illusionen"!

Kiedermeier mit si

Der

Einbruch bei der schönen Ulina

von Henry F. Urban (New-^ork)

Publislied 26. Dezember 1908. Privilege of Copy-
right in the United Stales reserved under the Act
approved March 3., 1905, by Henry F. Urban.

Die schöne Nina Wells, die Operetten-Sän-
gerin, hatte eine große Sorge: ihr Presse-Agent
James Meyer (wegen seiner gewaltigen Nase
der Nasen-Meyer genannt) machte nicht genug
Reklame für sie. Da arbeitete der Agent, den
sich ihre Rivalin Eva Garrison hielt, ganz anders.
Ununterbrochen speiste er das Publikum mit
den auserlesensten Lügen über Eva, die er den
Zeitungen sandte, und ununterbrochen sprach
das Publikum von Eva. Wenn das noch drei
Monate so weiter ging, wurde Eva (diese Eva
mit der Krähenstimme) eine bedeutendere Sängerin
als Nina, übte eine größere Zugkraft aus und
verdiente folglich mehr. Das ging nicht. So
telephonierte sie also eines Morgens ganz in

der Frühe (nach ihrer Auffassung-es war

in Wahrheit 12 Uhr Mittag) an den Nasen-
Meyer, er möge sie doch sofort einmal besuchen.
Sie habe etwas Geschäftliches zu besprechen.
Und Meyer kam.

„Ach — Sie sehen wieder himmlisch aus,
Fräulein Wells," sagte Meyer, „und Sie duften
wie fünftausend Rosen, das Stück zu einem
Dollar fünfzig Cents. Was kann ich für Sie tun?"

Nina saß im Schaukelstuhl — in einem herr-
lichen rosafarbigen Morgengewand mit Creme-
spitzen und grauseidenen Strümpfen (Meyer
konnte das sehen, weil sie im Schaukelstuhl
ein Bein über das andere geschlagen hatte), mit
einer goldenen Aureole ihres gefärbten Blond-
haars um das reizende Gesicht herum und mit
einem frisch aufgetragenen zarten Rot auf den
Backen.

„Mein lieber Herr Meyer," erwiderte sie
lächelnd, „ich bin mit Ihnen unzufrieden, sehr

unzufrieden. Seit vier Wochen haben Sie nichts
Neues über mich in die Zeitungen gebracht. Sie
scheinen irgendwo eine Erbschaft gemacht zu
haben."

„Ach nein, leider nicht. Ich muß mir mein
Brod als Journalist und Presse-Agent sauer
zusammenlügen. Aber ich gebe zu, ich habe
Sie ein wenig vernachlässigt. Das läßt sich
nachholen. Ist Ihnen vielleicht irgend etwas
Sensationelles widerfahren?"

„Nicht das Geringste. Sie müssen schon selber
Ihr fruchtbares Gehirn anstrengen."

„Hm — hm — warten Sie mal. Wollen
Sie mit Ihrem Automobil einen armen Mann
überfahren? Das ist jetzt sehr beliebt — und
so königlich bezahlen, daß er heiraten kann?"

„Nichts — zu verbraucht! Ersinnen Sie
etwas Besseres! Etwas, worüber Eva Garrison
sich totärgert!"

„Hm — hm — warten Sie mal. Im Hotel
Waldorf-Astoria hat man eine dreizehnjährige
Tochter von Anna Held entdeckt, die sie ganz
in der Stille aus Paris mitgebracht hat. Nicht
übel. Haben Sic — —"

„Herr Meyer — ich bin eine tugendhafte
Operetten-Sängcrin!"

„Ach richtig. Schade! Und doch — solche
Kinder sind nicht zu verachten. Denken Sie
mal, was die Schuhmann-Heink, die deutsche
Altistin, jährlich aus ihren berühmten achtKindcrn
herausschlägt. Aber ich hab's, Fräulein Wells,
ich hab's. Ich lasse bei Ihnen einbrechen."

„Vor zwei Monaten ist bei der Bella Tanguay
eingebrochen worden!"

„Ja — aber bei Ihnen wird wirklich ein-
gebrochen — verstehen Sie? Ich engagiere einen
Mann, der wirklich bei Ihnen einbricht, in der
Nacht, in Ihr Schlafzimmer, während Sie im
Bett liegen."

„Haben Sie Fieber?"

„Sie wachen auf, er entflieht. Sie reißen
das Fenster auf, schreien um Hilfe, die Polizei
kommt, Riesen-Aufregung, er wird gefaßt, Ihre
Schmucksachen sind fort, darunter die kostbaren
Perlen von der Lola Montez, die sie vom König
von Bayern geschenkt erhalten hat."

„Aber die Perlen sind von Tissany!"

„Ich weiß . . . wir lassen sie einfach von
Lola Montez stammen, von einem König. Alles
was von einem König kommt, hat bei Demo-
kraten den hundertfachen Wert."

„Welch eine abenteuerliche Idee! Und der
arme Teufel, der den Einbrecher spielt? Sie
werden Niemanden finden, der sich deswegen
ins Zuchthaus stecken läßt."

„Oh . . . das ist eine Kleinigkeit. Wenn er
Ihnen vorgeführt wird, erklären Sie, das sei
nicht der Einbrecher. Der Richtige ist ent-
wischt . . . Sie verstehen? Da Sie der einzige
Zeuge sind, der Hauptzeuge, so genügt das.
Oder wenn Ihnen das zu realistisch ist, so
warten Sie noch ein paar Minuten, bis er fort
ist, und rufen dann erst zum Fenster hinaus.
Dann wird überhaupt Keiner gefaßt. Und was
die Schmucksachen anbetrifft, so nimmt er sie
in Wirklichkeit garnicht mit. . . Sie verstehen?
Die Sensation für die Zeitungen und das
Publikum bleibt dieselbe. Großartig. . . wie?
Ganz großartig. . . nicht?"

„Es ist furchtbar aufregend, Herr Meyer ...
meine Nerven..."

„Was heißt Nerven? Die Nerven legen Sie
für diese Gelegenheit ab. Wir machen das am
Sonntag, sagen wir um 12 Uhr nachts, wo noch
Leute auf der Straße sind, wo es also rascher
einen gehörigen Auflauf gibt, und sogar Poli-
zisten erscheinen werden, die sonsteine um diese
Zeit zu finden sind. Denken Sie an Eva
Garrison. Das wird Ihnen Mut geben."

„Und es kann nicht schief gehen?"

„Unmöglich! Am Montag Morgen bekommt
Eva Garrison das Gallenfieber und kann drei
Abende nicht auftreten. Verlassen Sie sich drauf.
Ich bringe den Einbrecher vorher zu Ihnen

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Biedermeier mit ei: Ein gutes neues Jahr!
Gustav Schroeter: Vignette
Henry F. Urban: Der Einbruch bei der schönen Nina
 
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