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Die neue „Kamarilla"

«Was sind denn das für nette Tierchen?" — «Lu len bürg hat Junge bekommen!"

Erich Wilke

Glückliches Berlin!

Berlin ist in die Reihe der Weltstädte ge-
treten; seine Mauern sind geweiht. Paris ist
gestürzt, Berlin steht aufrecht da. Denn Er ist
da, der Herrscher des mächtigsten Reiches unter
der Sonne, Cipriano Castro der Große. Als
Sein Fuß zum ersten Mal Berliner Erde be-
trat, hatte sich ein Vertreter Scherls auf dem
Bahnhof eingefunden. Er berichtet darüber:

„Als der Präsident aus seinem Salonwagen
stieg, berührte er mit seinem rechten Fuß zuerst
den Bahnsteig; der linke folgte nach. Meinen
ehrerbietigen Gruß erwiderte er nach venezo-
lanischer Landessitte, indem er seinen Hut fester
aufsetzte und dabei ausspie. Wie leutselig und
herablassend der Herr Präsident ist, beweist der
Umstand, daß sein Speichel sich in nichts von
demjenigen eines gewöhnlichen Untertan unter-
schied. Vo.l den vier Knöpfen seines Ueber-
zichers waren drei zugeknöpft. In der rechten
Hand hielt er einen Stock, mit der linken holte
er ein Taschentuch aus der Tasche. Gerade in
dem Augenblicke, in dem er vom Bahnsteig in
die Treppe eckbog, schneuzte sich der Herr Prä-
sident ganz n-rcy europäischer Art.

Meine tiefe Verbeugung erwiderte er huld-
vollst, aber venezolanisch, indem er die Sohle
seines linken Fußes in eine kräftige stoßweise
Berührung mit meinem Magen brachte; das er-
setzt in Venezuela unseren Händedruck. Ich küßte
ehrerbietig seinen linken Fuß, nur den linken;
den rechten betrachtete ich mit auffallender Kühle,
denn ich weiß, was ich meinem Vaterlande gegen
einen Mann schuldig bin, der noch vor einigen
Jahren das Deutsche Reich brüskierte. Stolz
will ich den Berliner!"

Patriotismus in bar

Seitden: durch die Zeitungen Gerüchte geben,
daß dasOberhofmarschallamt einige Königsschlösser
am Rhein verkaufen wolle, um die großen Aus-
gaben der kaiserlichen Schatullkasse zu decken, ver-
geht kein Tag, ohne daß hochgesinnte Patrioten
den: Marschallamt Offerten machen:

Die Firma A. Wertheim will das krön-
prinzliche Palais kaufen, um es zu einer Filiale
ihres Warenhauses umzubauen.

Der Norddeutsche Lloyd will das ganze
Erdgeschoß des königlichen Schlosses für einen
hohen Preis mieten, wenn er die Erlaubnis erhält,
Läden auszubrechen, und wenn sämtliche Mieter
dieser Läden das Prädikat eines königlichen Hof-
lieferanten erhalten.

— Die Gebrüder Herrnfeld wollen den
weißen Saal mieten, um dort Vorstellungen zu
geben. Die Hoffestlichkeiten brauchen deshalb
nicht auszufallen, sie müssen nur auf die Abende
des jüdischen Neujahrsfestes und des Versöhnungs-
tages gelegt werden, an denen die Gebrüder
Herrnfeld nicht spielen.

Der Cipriano Castro will das Palais
Kaiser Wilhelms I. kaufen, um dort seine Ruhe
als Altsitzer zu genießen, wenn er aus Venezuela
herausgeworfen ift. Er ist sogar bereit, den Kauf-
preis zu bezahlen, vorausgesetzt, daß ihm 75 %
Skonto bewilligt werden.

Herr Hagenbeck will die Pfaueninsel kaufen,
um sie zu einen: Paradies umzuschaffen, das gegen
Eintrittsgeld zu besichtigen ist. Die Tiere kommen
aus seinem Tierpark Stellingen; für die Rollen
des Adam und der Eva sind die durch die Will-
kür der Polizei brotlos gewordenen Künstler der
Berliner Schönheitsabende gewonnen.

Friclo

Der neue plutarch

Einige Diplomaten gratulierten Abdul
Hamid zu seiner Thronrede.

„Du hast viel, sehr viel darin versprochen,
wirst Du das alles halten?"

„Ich habe beigefügt, mit Allahs Hilfe,
was 9<tnn i ch dafür, wenn der mich vielleicht
'mal im Stich laßt!"

„reicht so happig!"

muß man den deutschen Künstlern Zurufen!
Sie werden nach und nach so anspruchsvoll, daß
man schon bald keinen künstlerischen Wett-
bewerb mehr ausschreiben kann, ohne Geld da-
für auszugeben. Das zeigte sich eben wieder be-
sonders kraß in Köln. Die „Gewerbeförderungs-
anstalt" daselbst hatte einen Plakatwettbewerb er-
lassen, mit dem kolossalen ersten Preis von
*00 und zwei kolossalen zweiten Preisen
zu je 50 Mark! Und was war der Dank für
diesen Mäcenasinismus? Spott und Hohn! Die
Künstler sandten 4* Entwürfe ein, aus denen —
man falle nicht vom Stuhle ob dieser frivolen
Scheusäligkeit! — die Veranstalter und Preis-
richter des Wettbewerbes in respektlosester weise
karikiert waren! Man sollte das nicht für
möglich halten, aber es geschah wirklich! Und
als es zur Klage kam, wurden die Schuldiget:
freigesprochen! Gibt es noch Richter in Deutsch-
land ?

Um den Beleidigten Genugtuung zu verschaffen,
eröffnet die Münchner „Jugend" hiemit einen Wett-
bewerb zur Erlangung von Entwürfen für ein
Monumentalbild (*0:25m), das jenen Vor-
fall und die Bildnisse der Kölner Mäcenasse der
Nachwelt überliefert.

I. Preis: ein Liter Bier, eine Semmel und
zwei Weißwürste und die Erlaubnis, das Bild
gebührenfrei auf eigene Kosten ausführen zu
dürfen; II. Preis: ein Liter Bier (wurstlos) nebst
Semmel; III. Preis: eine Wurst (bierlos) nebst
Semmel; IV. Preis: eine Semmel (bier- und
wurstlos).

Die ersten vier Preisträger haben außer einer
Einschreibgebühr von je 20 Mark keine weiteren
Zahlungen zu machen. Die Ser nächsten 5, lobend
erwähnten Entwürfe bezahlen noch je fünfzig
Mark Entschädigung an die Preisrichter, und die
Autoren der nicht qualifizierten Entwürfe
eine Strafgebühr von je *00 Mark, die im Nicht-
einbringungsfalle auch durch vierwöchige Straf-
arbeit bei der Kölner Straßenreinigung abgebüßt
werden kann.

Linlieferungstermin: Faschingsdienstag *909.

„Jugend"

SS--"
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Redaktioneller Beitrag: Nicht so happig!
[nicht signierter Beitrag]: Glückliches Berlin!
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
Frido: Patriotismus in bar
Erich Wilke: Die neue "Kamarilla"
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Text "Der neue Plutarch"
 
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