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A. Schmidhammer

Hus Konstantinopel

Die Berichte über die Eröffnung des türkischen Parlamentes waren unvollständig: wie wir aus bester Quelle erfahren, waren auch die
nunmehr emanzipierten Türkinnen, natürlich unverschleiert, anwesend. Die Sitzung verlief anfangs ruhig. Aber kaum hatte der Abgeordnete
Abdul Mekir seine Rede begonnen: „Ich bin stets in Wort und Tat für eine Vermehrung unserer Armee eingetreten!", da erscholl von seinen
79 Frauen der Ruf: „Er renommiert!"

Geistlicher Bannstrahl

Geschleudert von Kassian Rluibenschadel, Tuifelemaler

(Der Gemeindeverwaltung von Türkheim (bayr. Schwaben) wurde von dem Vorstand des dortigen liberalen Vereins eine 400 Bände starke Bücher-
sammlung unter der Bedingung zum Geschenk angeboten, daß sie der allgemeinen Benützung zugänglich gemacht werde. Durch den Protest der Geistlichkeit
bewogen, lehnte die Gemeindevertretung die Schenkung glattweg ab.)

Geliebte Brüder in dem Herrn, vernehmt es mit Empörung:

So ein erzinfamer Sündenlackel

Hat es gewaget, in der frommen Schäflein Hürde einzubrechen

mit einem riesengroßen Bücherxackel!
Nunmehro fahr' mit einem heiligen Kreuzmillionendonnerwetter,

o blutiges Herrgöttle im Fimmel,
Geschwind in alle seine pleno tiwlo vermaledeiten Knochen

diesem argen Lümmel!

Das Volk braucht keine Bibliothek zu seiner Bildung, auch nicht

zu seinem Zeitvertreibe,

Sintemalen doch die meisten Bücher haben den fff Gottseibeiuns im Leibe!
wer etwas wissen will, der frage ruhig an in seines Wissens Durst

beim nächsten pfaffel,

Auf diese weis' erklimmt am Sichersten und Besten er dereinst die steile Himmelsstaffel
wenn aber Jemand ohne Lesen kann schon gar nicht existieren,

Dann soll er fleißig doch die Jentrumsblatteln abonnieren!

Wohlerzogen

Die Welt wird immer liberaler und demo-
kratischer; die Vorzüge der Geburt, für die
niemand kann, verlieren an Wert und die-
jenigen Vorzüge, die das Individuum sich selbst
erwirbt, steigen in der allgemeinen Schätzung.
Ein Symptom dieser erfreulichen Wendung ist
es auch, daß die Behörden jetzt anfangen, auf
die Wohlerzogenheit der Bürger zu achten.

Die königliche Regierung zu Liegnitz näm-
lich, deren Spezialität die Verbreitung von
Volksbildung durch geeignete Bücher ist, hat
angeordnet, daß bet der Auswahl von Büchern
für Volksbibliotheken nicht allein das Urteil
von Geistlichen und Lehrern berücksichtigt werde;
es sollen auch „wohlerzogene Männer und
Frauen aus den verschiedensten Be-
rufen und Ständen" herangezogen werden.

Bravo! Aber wer ist wohlerzogen? Man
könnte dies je nach der Häufigkeit des Kirchen-
besuchs entscheiden; aber das ist kein Beweis
für die Erziehung; denn es gibt Leute, denen
die Frömmigkeit nicht anerzogen, sondern an-
geboren ist. Die können wir nicht brauchen.
Konservative Gesinnung spricht ja gewiß auch
mit; aber die Gesinnung läßt sich nicht messen
und wägen. Es muß einen sinnfälligeren Maß-
stab geben. Und den gibt es:

Wohlerzogen ist derjenige Untertan männ-
lichen oder weiblichen Geschlechts, der, wenn
er die Allerhöchsten Herrschaften grüßt, mit dem
rechten Arm einen Winkel von genau 45 Grad
bildet. Allen diesen Leuten werden die Be-
hörden in ihren Korrespondenzen von jetzt ab
statt des Prädikats „Wohlgeboren", das
Prädikat „Wohlerzogen" geben.

Buikutt behmisthe

Könn' me jeden deitsche Hund
Leide nit erschlagen,

Geh'n me ihne wenigstens
Mit Buikutt an Kragen!

Will sich revanschirowat
Hund — su füll er's machen!

Wird se edle Wenzlitschek
Nit darum verkrachen!

Frißte eben Zettel lang
Selbe Präge Schinken,

Kann auch Bier aus Rachedurst
Ganz allani trinken!

pokorny Prokop,
„Jugend"-Kurrespundent böhmische
0

Die Vergriügutigstour

Aber, Huber, wie siehst Du denn aus?"

„Ich habe eine Vergnügungstouv durch
Oesterreich-Ungarn gemacht und dabei immer
deutsch gesprochen. Die Folgen siehst Du!"

6gon von bgonstein - t^iltelburg's
Erkenntnis

(Aus einer in der Frkf. Ztg. Veröffentlichten Statistik
geht hervor, daß unter Deutschlands diplomatischen Ver-
tretern im Ausland sich rund hundert Adelige und nur
vier Bürgerliche befinden.)

.Die deutsche Politik nach außen
Ist faul! Biel wird verkehrt gemacht!
Woher das kommt? Ich Hab' mit Grausen
Schon oft darüber nachgedacht.

Nun endlich roch ich 'mal den Braten
Und seh' des Unheils Quelle ein:

Pfui Teufel, unsere Diplomaten
Sind nicht mehr alle rasserein!

Im Ausland unsre Reichsvertreter,

Sie gehen rückwärts wie ein Krebs:

Nur hundert Adelsschwerenöter
Und ganze vier vom Bürgerplebs.

Kein Wunder ist's, wenn auf dem Hunde
Die Politik nach außen dann:

Die bürgerlichen Schweinehunde,

Die vier, sind einzig Schuld daran!

Helios

das

Zur ge fl« Beachtung I

Mit dieser Nummer beschließt die „Jugend
vierte Quartal 1908.

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Register
[nicht signierter Beitrag]: Wohlerzogen
Monogrammist Frosch: Die Vergnügungstour
Helios: Egon von Egonstein-Tittelburg's Erkenntnis
Arpad Schmidhammer: Aus Konstantinopel
Pokorny Prokop: Buikutt behmische
Kassian Kluibenschädl: Geistlicher Bannstrahl
 
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