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— Max Kleiter —

das für Bergpartien wie geschaffen war, stieg sie mit langsamen
Schritten, ties und regelmäßig atmend, den Waldweg hinan, den
ciscnbcschlagcnen Bergstock wie ein Tourist handhabend. Offenbar
hatte auch sie den schönen Tag ausnützen wollen, sich zeitig wecken
lassen und den Aufstieg unternommen.

Duxens Herz begann zu Klopsen. Das war eine Chance ohne-
gleichen, und er war ganz der Mann, sie auszuniitzen. Er machte
sofort sein Programm: Die Dame ging langsamer als er, und so würde
im Verlauf der nächsten fünf Minuten unfehlbar der Moment kommen,
wo er an ihr vorbei käme. In diesem Augenblick wollte er sie, die
vom Wege aufblicken würde, höflich grüßen. Darinka würde seinen
Gruß erwidern, weil man im Wald doch gar nicht anders kann.
Dessen ungeachtet würde er sie nicht sofort ansprechen (daraus bildete
er sich am meisten ein, weil er diese Zurückhaltung für äußerst vornehm
hielt), sondern zunächst weitersteigen, ohne sich umzudrehen. Dann aber,
etwa fünfhundert Schritte weiter oben, wollte er sich am Rand des
Weges lagern, ruhig abwarten, bis ihm Darinka nachkam und sie
dann von oben, aus der sicheren Position des örtlich überlegenen Gegners
ansprechen, mit irgend einer anmutigen und ritterlichen Wendung, die
sich aus der Situation ergeben und die ihm gewiß einfallen würde.

Dies war der Plan . .. Als er aber zum erstenmal an Darinka
vorüberging, da schaute diese nicht auf, sondern geflissentlich zur Seite.
Dux mar entschlossen, zu grüßen. Indessen ist cs sehr schwer, ja für
einen wohlerzogenen Menschen geradezu unmöglich, eine Dame zu
grüßen, die einen nicht anschaut. Dux stieg weiter und verschob
seinen Gruß.

Tausend Schritte weiter oben lagerte er sich am Rand des Weges,
das Scherzwort vorbereitend. Die Dame kam heran, mit gesenkten
Augen, mit einen: ernsten Gesicht und ging zum zweitenmale, ohne ihn
anzuschauen, an ihm vorüber. Dux brauchte das Scherzwort nicht erst
zu unterdrücken; cs siel ihn: nämlich keines ein.

Er stand auf und ging ihr nach; kam ein drittesmal an ihr
vorüber, und wieder hatte sie keinen Blick für ihn, keine dieser kleinen
Ermutigungen, ohne die man einer Frau nicht nahe kommt. Er machte
sich Vorwürfe, daß er ihr nicht gleich bei der ersten Begegnung mit
lauter Stimme einen Guten Morgen geboten hatte; sie hätte cs ihm
unmöglich verübeln können. Jetzt freilich mar es zu spät.

Er blieb wieder stehen, diesmal, weil er wirklich keinen Atem
hatte, und ließ Darinka zum drittenmal passieren. In diesem Stadium
zu grüßen oder gar sie anzusprechen, wäre natürlich dumm gewesen.
Dux, als ein Mann von Erziehung, beschränkte sich infolgedessen darauf,
ein finsteres Gesicht zu machen und die Dame teilnahmslos anzustarren
wie eine gleichgültige Fremde. Jetzt aber schien es ihm, als ob Darinka
ein ganz, ganz kleines Lächeln in den Mundwinkeln unterdrückte.
Machte sie sich bereits über Dux lustig? Schließlich, es wäre denkbar.
Denn gleichwie ein Pferd sofort spürt, ob einer reiten kann oder nicht,
so spüren die Frauen sofort die Sicherheit oder Unsicherheit eines Lieb-
habers heraus. Weh dem Manne, der so ungeschickt ist, bei Beginn
einer Bekanntschaft seine Unsicherheit merken zu lassen. Er wird rück-
sichtslos abgeworfe».

Traurig stieg Dux weiter, hinter der noch immer fremden Dame
her. Sie jetzt ansprechcn, nach diesen fehlgeschlagenen Versuchen, hieß
sich lächerlich machen; sie nicht ansprechcn, erst recht. Das klügste wäre,
er ginge zurück. Dazu aber konnte er sich nicht entschließen. Vielmehr
stieg er mechanisch weiter, mit langsamen Schritten, immer hinter dieser
schönen schwarzen Frau, die ihn wie an einem unsichtbaren Faden
nachzog. Warum hatte er sie nicht angcsprochen, mit jener hübschen
Frechheit, die ihm, im Verkehr mit Frauen, doch sonst immer zu Gebote
. stand? O, er wußte warum. Weil er Darinka liebte. Ja, er liebte
sie. Er begehrte sie nicht, wie die anderen Frauen, sondern sein Herz
war ergriffen. Es war jetzt soviel Zärtlichkeit in seinem Herzen, seit-
dem er im Ansprechen nicht reüssiert hatte; er staunte selbst, wie viel.

Darinka glaubte sicherlich, Gott weiß, was. Indessen, er war sich in
diesem Augenblicke bewußt, daß feine Absichten die allcrrcinstcn waren.
Die große Läuterung der Liebe war in seine Seele gekommen. Er wollte
gut und fromm werden wie irgend ein Marlitt'scher Held, er wollte
Darinka zum Altäre führen, dem zarten Knaben ein zweiter Vater
sein, und ein musterhaftes Familienleben beginnen . . . Nichts lockte ihn
in diesem Augenblicke mehr als ein musterhaftes Familiculcbcn.

Jedoch er kan: nicht dazu, all diese schönen Träume zu verwirk-
lichen. Denn plötzlich ertönte ein Schrei, ein Frauenschrei, und als er
ansblickte, sah er Darinka zehn Schritte vor sich in einer großen Be
drängnis. Sie trat angstvoll von einem Fuß auf den anderen und
schaute hilfesuchend zurüar. „Ein Stier!" sagte sie erschrocken zu Dux,
der nüt beschleunigten Schritten herankam. Und wirklich sah er im
selben Augenblick ein ungeheures Rindvieh, das mit gesenkten: Kopf,
dumm vor sich hinglotzend, den Waldweg absperrte.

Dux wußte, was er zu tun hatte. Sterben ist nichts, einer schönen
Fran gefallen, alles. Er ging auf das Rindvieh los, seinen Spazierstock
mit Nashorngriss erregt schwingend. Das Rindvieh drehte sich um und
ging schwerfällig in den Wald zurück. Jetzt wandte sich auch Herr Dux
um, und, mit einem graziösen Lächeln, seinen Hut ziehend, sagte er,
bescheiden, wie es die großen Helden sind:

„Mein.. Gnädige, die Bahn ist frei!"

Aber sie hatte keine Lust, weiterzugehen. „Am End' kommt
wieder ein Stier!" sagte sie zögernd. „Ich geh lieber zurück." Dux
redete ihr nicht zu, den Weg sortzusetzen und erbat sich bloß die Er-
laubnis, sie zu begleiten. „Man kann nicht wissen," sagte er, „viel-
leicht geht er Ihnen nach — der Stier nämlich." Sie lächelte und sagte,
daß sie sich vor nichts auf der Welt so fürchte als vor Stieren. Dux
gab ihr Recht. Er erzählte, aus seiner Praxis, einiges über die aagressiveu
Gewohnheiten dieser Tiere. Aber das Thema reichte nicht aus, und
so verlängerte er es, indem er von den Stieren auf die Stierkämpfe zu
reden kam, von denen er einmal einen mit angesehen hatte, von den
Stierkämpfen auf Spanien, dann auf Reisen im allgemeinen, und vom
Reisen in einem natürlichen Uebcrgaug auf die Liebe. Er sprach von
Frauen, verglich und charakterisierte die Frauen der einzelnen Nationen,
lobte alles, was Darinka besaß, tadelte alles, was ihr abging, und
schloß, als sie beim Hotel anlangten, es gäbe überhaupt nur eine Frau,
die den ganzen weiblichen Liebreiz, seine Quintessenz gleichsam, in sich
vereinige: Die Südslavin. „Das bin ich!" sagte Darinka lachend, und
Dux, mit einem forciert unschuldigen Gcsichtsausdruck: „Nein, nicht
möglich!"

Sie reichte ihm ihre weiße weiche Hand, die er lächelnd küßte.

Am Abend machte sie ihn mit ihrer Suite bekannt. Die Frauen
empfingen ihn mit großer Huld, er sagte jeder etwas Angenehmes und
wurde in kurzem ein Liebling der Gesellschaft. Die Scheibe hatte jetzt
einfach zwei Schwarz — Darinka und Dux —; die Leibwache einen
neuen Anführer. Nur der feine Knabe, der wirklich Darinkas Sohn
war und den Keuchhusten hatte, verhielt sich Dux gegenüber ablehnend,
aus einer instinktiven Rivalität heraus. Denn bisher war er in dieser
Frauenherde der einzige Mann gewesen, nun aber war ein wirklicher
gekommen, der ihn verdrängte. Das Kind rächte sich dafür, indem es
Dux bei Tisch durch wohlgezielte Fußtritte in die Schienbeine Schmerz
bereitete und den Husten in seiner Gegenwart boshaft vergrößerte.

Herr Dux kam über diese Unbequemlichkeiten und andere ähnliche
des Familienlebens umso leichter hinweg, als ihn der feine Knabe nichts
anging, denn Darinka war nicht verwitwet, sondern verheiratet, und
zwar nicht mit einem römischen Grafen, wie der junge Mann vermutet
hatte, sondern mit einem Ochsenmäster aus Agram. Schwarz trug sic
unter dem Vorwände des Ablebens einer Tante, eigentlich nur weil es
ihr gut stand und sie interessant machte, worauf sie offenbar ausging.
Wie immer dem fein mochte, Dux brauchte nicht fron:::: und gut zu
werden und Darinka, die er liebte, nicht zu heiraten, lind eigentlich
war es ihn: lieber so. Denn seine diesbezüglichen Ansichten hatten sich
seit jener plötzlichen Intervention des Stieres erheblich geändert.

Uebrigens intervenierte der Stier noch weiter, und nachdem er
damals, aus dem Waldweg, dafür gesorgt hatte, daß die beiden einander
kennen lernten, führte er sie an den folgenden Tagen immer näher zu
einander. Um sein Auftreten in der Familie zu rechtfertigen, hatte
Darinka die Geschichte nüt dem Stier erzählt, und Dux hatte sofort
bemerkt, daß sie dabei die Gefahr ebenso wie seinen Mut liebevoll ver-
größerte. Brüllend trat der Stier aus dem Gebüsch — der alten Mutter
zuliebe, die strenge Grundsätze hatte; sein Auge rollte blutunterlaufen
— einer boshaften Schwägerin zu Ehren, die Darinka auf die Finger
sah; und mit Hinblick auf eine etwas verwachsene ältere Schwester
mußte das aufgeregte Tier den Grund stanrpscn. Dux aber las aus
allen diesen Details, die Darinka in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft
erfand, lediglich das Interesse heraus, das sie inspirierte, und hütete
sich, die schöne Frau zu desavouieren, obwohl er ansonsten ein wahr-
heitsliebender Mensch war. Bloß wenn die Frauen seinen Mut und
seine Geistesgegenwart priesen, wehrte er lächelnd ab. Indessen diese
Bescheidenheit, die dem Helden ziemt, gewann ihn: erst recht alle Herzen.

Der eigentliche Kampf zwischen Dux und den: Stier entwickelte
sich freilich erst, als an einem Samstagabend Darinkas Gatte ankam

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Max Kleiter: Das Alter
 
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