Ein Lied
S,
'i ^
Fritz Frier (München)
Lotterhosischen Bettes, indem sie das rechte Bein über das linke schlug
und mit den gefalteten Händen ihr rechtes Knie umspannte. Und sie fragte
in einem Ton, als wenn sie das Alltäglichste von der Welt vorbrächte:
„Wissen Sie, was die Liebe ist, Herr Oberlehrer?" °
Der Oberlehrer wußte es wirklich nicht. Und wenn er es gewußt
hätte, wäre es ihm jetzt unmöglich gewesen, es zu sagen. Da er beharrlich
sprachlos blieb, so beantwortete sie endlich ihre Frage selbst:
„Die Liebe ist eine günstige Gelegenheit, verbunden mit etwas
Wagemut."
Und sie lächelte.
In seinen Ohren begann es zu brausen. Es zuckte ihm in den Fingern,
und er wollte schon ohne Rücksicht ans den fehlenden Hemdenknopf nach
den kleinen Händen greifen, in denen allerhand verführerische Grübchen
zutage traten. Aber im letzten Augenblick besann er sich noch. Die Ver-
suchung des heiligen Antonius siel ihm ein. Mein Gott, was wollte diese
Frau von ihm?! War er nicht ein Mann von moralischen Grundsätzen?
Und jetzt saß auf seinem Bettrand zu nachtschlafender Zeit eine zierliche
Kleine mit kurzem Seidenröckchen und ausgeschnittenem Mieder, lächelte
ihn an und sprach von Liebe!
Sie aber fragte weiter:
Wissen Sie, wer ich bin, Herr Oberlehrer?"
Er schüttelte hilflos sein ehrbares Haupt. Nein, er wußte auch
tU1' ^Da beugte sie sich ein wenig gegen ihn vor, und mit rosenduftender
Stimme hauchte sie ihm zu: f
„3d} bin Ihre Jugend, die »och emmal zuruckkehrt t» der Faschings-
nmht- kE eg rojc ci]( Schwindel über den höchst verständigen Lotter
bos Fugend! - Tausend Feuer zuckten aus dem einen glückhaften Wort.
-Hatte er denn eine Jugend gehabt?! - Und letzt! - Was meinte sic
damit, daß sie seine Jugend war? - Sollte das cme Aufforderung sein?
- Und nun erwies es sich, daß der heilige Antonius wesentlich heiliger
und widerstandsfähiger gegen die Versuchungen der eitlen Well gewesen
war als sein ehrbarer Nachfolger. Der Oberlehrer unterlag, und was
schlimmer war, er unterlag sogar gern. Hcmdenknopl hm, Hcmdcnknopf
her! Erziehung hin und Tugend her!
Mit beiden Händen packte er die Appetitliche an den Armen und
zog sic zu sich herab. Sie sträubte sich nicht. Im Gegenteil. Blitzschnell
beugte sie sich nieder, und blitzschnell küßte sie ihn auf den Mund - das
heißt eigentlich nur auf den roten Teutonenbart, der den keuschen Pada-
gogenmund bedeckte. Denn so plötzlich hatte der überraschte Oberlehrer
die Lippen nicht frei machen können. Ebenso schnell aber loste sie sich
auch wieder von ihm los, um ihre alte Stellung auf dem Bettrand einzu-
nehmen. Aber wie das mit einem Kuß so geht: er kann in dem Benehmen
selbst wohlgesetzter Männer die merkwürdigsten Veränderungen Hervor-
rufen. Und so kam cs auch hier. Der verständige Oberlehrer benahm sich
ganz und gar unverständig. Er richtete sich im Bett auf, ohne im geringsten
an seine mangelhafte Toilette und den fehlenden Knopf zu denken, er
haschte nach den Grübchenhänden der Rokokodame und war glückselig,
als er sie ergriffen hatte und mit teutonisch feurigen Küssen bedecken
konnte. Dabei beschwor er die Besitzerin dieser Grübchenhände in beweg-
lichen Worten, ihre Maske abzulegen und sich in ihrer unverhüllten
Lieblichkeit zu zeigen. Sie weigerte sich. Aber es war doch ein Weigern,
in dem eigentlich schon das Gewähren lag. Immerhin — sie weigerte sich.
Da wurde er dringender, ja er versuchte selbst, ihr den schwarzen Sammet
vom Gesicht zu reißen. Sie mehrte sich, es wurde wie ein Kampf zwischen
ihnen. Lr packte sie fester, sie schrie auf. Doch es war ein lustiger Schrei
voller Lachen. Lotterhos achtete nicht darauf.
Doch da — das Herz stand ihm still — ans dem Nebenzimmer tönten
schwere Schritte — und eine kräftige Männerstimme rief zornig:
„Was ist denn das nun wieder für ein Unfug?! Das ist ja unerhört!"
Zu Tode bestürzt hörte Lottcrhos diese grimmigen Worte. Wenn
man ihn in dieser Situation überraschte, ihn, den Ehrbaren, den Edlen?!
War das dort nebenan der Mann der Kleinen — oder ihr Kapalier?
Erschrocken sank er in seine Kissen zurück, und für einen Augenblick
kniff er die Lider fest zu, als könnte er sich damit vor allem Schlimmen
retten. Als er sie wieder aufschlug, war das Dämchen verschwunden. Das
elektrische Licht brannte noch. Vor ihm auf der Decke lag seine Ab-
handlung über den Einfluß der Sinneswahrnehmungen auf die Ideen-
assoziationen u. s. w. Aus dem Nebenzimmer aber tönte wieder die laute,
zornige Männerstimme:
„Welch Esel von Hausknecht hat denn meinen Musterkoffer so unge-
schickt hingesetzt, daß die Flasche hier zerbrochen ist. Gerade mein bestes
Parfüm ist ausgelaufen — die weiße Rose von Schiras!"
In dem Gehirn des Oberlehrers begannen sich die zerrütteten Ge
danken allmählich wieder zu ordnen. Also daher der süße Rosendust!
Nebenan wohnte ein Reisender in Wohlgerüchen! — Er hatte geträumt,
und der Traumgott hatte ihm die Rokokodame vorgegaukclt, die er aus
dem Treppcnslur getroffen hatte, als ihm zum ersten Äial der Geruch des
verschütteten Parfüms die Nase kitzelte. Sehr einfache Ideenassociation!
Und doch. . . !
Der höchst ehrbare Oberlehrer seufzte tief auf. Es kam ihm jämmerlich
zum Bewußtsein, daß er wieder einmal eine wunderschöne Gelegenheit
verpaßt hatte — wenn auch dieses Mal ohne seine Schuld. Und leise,
daß es nur ja keiner hörte, murmelte er in den roten Teutonenbart mit
einer Stimme, in der es wie von Tränen zitterte:
„Eigentlich doch jammerschade, daß die Jugend nur ein Traum war!"
S,
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Fritz Frier (München)
Lotterhosischen Bettes, indem sie das rechte Bein über das linke schlug
und mit den gefalteten Händen ihr rechtes Knie umspannte. Und sie fragte
in einem Ton, als wenn sie das Alltäglichste von der Welt vorbrächte:
„Wissen Sie, was die Liebe ist, Herr Oberlehrer?" °
Der Oberlehrer wußte es wirklich nicht. Und wenn er es gewußt
hätte, wäre es ihm jetzt unmöglich gewesen, es zu sagen. Da er beharrlich
sprachlos blieb, so beantwortete sie endlich ihre Frage selbst:
„Die Liebe ist eine günstige Gelegenheit, verbunden mit etwas
Wagemut."
Und sie lächelte.
In seinen Ohren begann es zu brausen. Es zuckte ihm in den Fingern,
und er wollte schon ohne Rücksicht ans den fehlenden Hemdenknopf nach
den kleinen Händen greifen, in denen allerhand verführerische Grübchen
zutage traten. Aber im letzten Augenblick besann er sich noch. Die Ver-
suchung des heiligen Antonius siel ihm ein. Mein Gott, was wollte diese
Frau von ihm?! War er nicht ein Mann von moralischen Grundsätzen?
Und jetzt saß auf seinem Bettrand zu nachtschlafender Zeit eine zierliche
Kleine mit kurzem Seidenröckchen und ausgeschnittenem Mieder, lächelte
ihn an und sprach von Liebe!
Sie aber fragte weiter:
Wissen Sie, wer ich bin, Herr Oberlehrer?"
Er schüttelte hilflos sein ehrbares Haupt. Nein, er wußte auch
tU1' ^Da beugte sie sich ein wenig gegen ihn vor, und mit rosenduftender
Stimme hauchte sie ihm zu: f
„3d} bin Ihre Jugend, die »och emmal zuruckkehrt t» der Faschings-
nmht- kE eg rojc ci]( Schwindel über den höchst verständigen Lotter
bos Fugend! - Tausend Feuer zuckten aus dem einen glückhaften Wort.
-Hatte er denn eine Jugend gehabt?! - Und letzt! - Was meinte sic
damit, daß sie seine Jugend war? - Sollte das cme Aufforderung sein?
- Und nun erwies es sich, daß der heilige Antonius wesentlich heiliger
und widerstandsfähiger gegen die Versuchungen der eitlen Well gewesen
war als sein ehrbarer Nachfolger. Der Oberlehrer unterlag, und was
schlimmer war, er unterlag sogar gern. Hcmdenknopl hm, Hcmdcnknopf
her! Erziehung hin und Tugend her!
Mit beiden Händen packte er die Appetitliche an den Armen und
zog sic zu sich herab. Sie sträubte sich nicht. Im Gegenteil. Blitzschnell
beugte sie sich nieder, und blitzschnell küßte sie ihn auf den Mund - das
heißt eigentlich nur auf den roten Teutonenbart, der den keuschen Pada-
gogenmund bedeckte. Denn so plötzlich hatte der überraschte Oberlehrer
die Lippen nicht frei machen können. Ebenso schnell aber loste sie sich
auch wieder von ihm los, um ihre alte Stellung auf dem Bettrand einzu-
nehmen. Aber wie das mit einem Kuß so geht: er kann in dem Benehmen
selbst wohlgesetzter Männer die merkwürdigsten Veränderungen Hervor-
rufen. Und so kam cs auch hier. Der verständige Oberlehrer benahm sich
ganz und gar unverständig. Er richtete sich im Bett auf, ohne im geringsten
an seine mangelhafte Toilette und den fehlenden Knopf zu denken, er
haschte nach den Grübchenhänden der Rokokodame und war glückselig,
als er sie ergriffen hatte und mit teutonisch feurigen Küssen bedecken
konnte. Dabei beschwor er die Besitzerin dieser Grübchenhände in beweg-
lichen Worten, ihre Maske abzulegen und sich in ihrer unverhüllten
Lieblichkeit zu zeigen. Sie weigerte sich. Aber es war doch ein Weigern,
in dem eigentlich schon das Gewähren lag. Immerhin — sie weigerte sich.
Da wurde er dringender, ja er versuchte selbst, ihr den schwarzen Sammet
vom Gesicht zu reißen. Sie mehrte sich, es wurde wie ein Kampf zwischen
ihnen. Lr packte sie fester, sie schrie auf. Doch es war ein lustiger Schrei
voller Lachen. Lotterhos achtete nicht darauf.
Doch da — das Herz stand ihm still — ans dem Nebenzimmer tönten
schwere Schritte — und eine kräftige Männerstimme rief zornig:
„Was ist denn das nun wieder für ein Unfug?! Das ist ja unerhört!"
Zu Tode bestürzt hörte Lottcrhos diese grimmigen Worte. Wenn
man ihn in dieser Situation überraschte, ihn, den Ehrbaren, den Edlen?!
War das dort nebenan der Mann der Kleinen — oder ihr Kapalier?
Erschrocken sank er in seine Kissen zurück, und für einen Augenblick
kniff er die Lider fest zu, als könnte er sich damit vor allem Schlimmen
retten. Als er sie wieder aufschlug, war das Dämchen verschwunden. Das
elektrische Licht brannte noch. Vor ihm auf der Decke lag seine Ab-
handlung über den Einfluß der Sinneswahrnehmungen auf die Ideen-
assoziationen u. s. w. Aus dem Nebenzimmer aber tönte wieder die laute,
zornige Männerstimme:
„Welch Esel von Hausknecht hat denn meinen Musterkoffer so unge-
schickt hingesetzt, daß die Flasche hier zerbrochen ist. Gerade mein bestes
Parfüm ist ausgelaufen — die weiße Rose von Schiras!"
In dem Gehirn des Oberlehrers begannen sich die zerrütteten Ge
danken allmählich wieder zu ordnen. Also daher der süße Rosendust!
Nebenan wohnte ein Reisender in Wohlgerüchen! — Er hatte geträumt,
und der Traumgott hatte ihm die Rokokodame vorgegaukclt, die er aus
dem Treppcnslur getroffen hatte, als ihm zum ersten Äial der Geruch des
verschütteten Parfüms die Nase kitzelte. Sehr einfache Ideenassociation!
Und doch. . . !
Der höchst ehrbare Oberlehrer seufzte tief auf. Es kam ihm jämmerlich
zum Bewußtsein, daß er wieder einmal eine wunderschöne Gelegenheit
verpaßt hatte — wenn auch dieses Mal ohne seine Schuld. Und leise,
daß es nur ja keiner hörte, murmelte er in den roten Teutonenbart mit
einer Stimme, in der es wie von Tränen zitterte:
„Eigentlich doch jammerschade, daß die Jugend nur ein Traum war!"