Nr. 11
JUGEND
1909
Wir sind jung, mein Freund, und sehen vor
uns noch viele Jahre. Arbeiten werden wir
und werden froh sein können. Auch wenn wir
wissen, das; wir Menschen an den Dingen haften,
die uns an unsre Zeitlichkeit knüpfen. Ich
glaube, daß ich immer am Faschingstage dies
Erleben in mir tragen werde. Das Jahr und
blühende Gärten und die Musik führen zu andern
Ländern. An Tagen nur steigt dann Erinnerung
heraus und erzählt uns von Menschen und dem
Leid der verborgenen Seelen. Dann wird uns
Ernst umspielen, wenn auch die Wunden nicht
immer bluten.
Wir, mein lieber Freund, gehen so neuen
Wenden entgegen. Sie sind glücklich, ich weis;
es. Auch ich bin es. Und Glück wird gekränzt
durch Rosen, die aus der Tiefe der Gräber
sprießen —. Denn Friede ist es, in den alles
Menschensein eingeht.
Leben Sie wohl, lieber Freund. Dies war
es, warum ich lange schwieg.
Ihre Herma W.
Dcr falsche Prophet
Ich sehe verzückte Vasallen
Mit Augcnverrenkung sich peinigen,
Dir trunkene Hymnen zu lallen,
Und will es voraus dir bescheinigen:
Du wirst dich mit Einigen einigen,
Dann aber mit Allen zerfallen,
Nie wieder vom Argwohn dich reinigen.
Nur trügende Nebel zu ballen,
Und, wenn dich die Deinigen steinigen,
Anstatt in bewimpelte Hallen
In einsame Wildnisse wallen.
Kein Märtyrer wird sich beteiligen:
So geht es den eiligen Heiligen.
j.i,,iw>8 riiMn
Der SonnraInachnuttagoausflug
Wenn sie es gewußt hätte, wie weit es sei,
wäre sie nie mitgegangen, sagte meine Frau.
„Aber Schatz, es muß gleich da sein, wir
gehen doch schon über drei Stunden. Ich werde
übrigens die Bäuerin, die dort kommt, sragen,
wie weit es noch ist."
„Könnt ihr uns sagen, liebe Frau, wie weit
wir noch nach Sannt Peter haben?"
„Nach Sancht Peater? A guate Stund
öpper woll."
Nie mehr gehe sie mit, wenn sie nicht vor-
her bestimmt wisse, wie weit es sei.
„Das ist unmöglich, eine Stunde! Die muß
sich unbedingt geirrt haben. Ich werde jemand
anderen sragen."
Nach einer Viertelstunde Marsch rückte aus
der Straße ein schwarzer Punkt an. Nach
einer weiteren Viertelstunde war's ein Bauern-
wcib.
„Könnt ihr »ns sagen, liebe Frau, wie weit
wir noch nach Sankt Peter haben?"
„Sancht Peater? A so a leichte Stund
weard's scho branchn."
Meine Frau setzte sich auf einen Meilenstein.
Das sei wieder so eine Rücksichtslosigkeit von
mir, aber die letzte, die allerletzte, die sie sich
gefallen lasse. Eine Unverantwortlichkeit, wo
ich doch wisse, daß ...
„Beruhige Dich doch, Ima, das muß ein
Irrtum sein, so gewiß wie etwas, wir gehen
feit der ersten Bäuerin ja schon eine halbe
Stunde. Vielleicht gibt cs zwei Sankt Peter
gl diesem Sautal."
„Weil Du auch nie die Leute ordentlich
fragen kannst. Und dann solch dumme Weiber
statt einen vernünftigen Menschen."
Wir waren erst vier Monate verheiratet,
ich schwieg also. Dann trabten wir weiter.
Nach einer halben Stunde kam uns ein Bauer
entgegen.
„Den werde aber ich fragen."
„Gewiß, mein Kind."
„Grüß Gott, lieber Mann, ist das auch der
rechte Weg nach Sankt Peter?"
„Scllawoll, Freiln. Dö Straßu geaht akrat
af Sancht Peater."
„Nein, ich habe Sie doch gefragt, wie weit
es noch nach Sankt Peter ist?"
„Wia weit? Sall kimmt grad drauf an,
wia ma geaht."
„So frage ihn doch Du, Fritz, Du siehst
doch, daß er mich nicht versteht."
„Meine Frau meint nur beiläufig, lieber
Mann, wenn man so geht, wie ich."
„Beileifig? Ja beileifig weard's halt sein
a bißl mehr als a schwachs Stllndl aus oder ab."
Meine Frau gibt heute mir die Schuld,
das; unser Letzter den ersten Kurs Gymnasium
bereits zum drittenmal repetiert.
pacifikus Äaßlattcrcv
„Und sic ritten rohes Jlciscb mürbe..
(Wahres Geschichtchen)
Sc. Durchlaucht Prinz X mit Gefolge besieht
sich das neue Museum zu Berlin und kommt da
auch an die sechs berühmten Wandgemälde
Wilhelm v. Kaulbachs. Als ihm bedeutet wird,
daß das eine davon die kjnnnenschlachl darstelle,
fragt der hohe Mäcen und Aesthet verwundert:
„Aeh, äh, sagen Sie mal, äh, wo sind denn da
eijeutlich, äh — die Roastbeefs?"
Kindermund
Fritz und Karl liegen noch im Bett; ehe sie
sich zum Aufsteheu bequemen, entspiunt sich ein
Kampf, der mit den Worten des älteren Fritz
endet: „Du, — Du Haft mich beleidigt, ich bi»
der große Kaiser, und Du sagst zu mir Mnrkel-
schwein!"
(Wenn der Frühling kommt
Drei Zwerglein läuten den Frühling ein
Mit lvcißcn und gelben Glöckchen fein,
Drei Elfen tanzen im Sonnenlicht,
Lauschen, was der Märzivind spricht.
Kommt der Kttfcrmann vor sein Haus,
Putzt sich die Brillengläser ans:
„Was sangt ihr für 'neu Spektakel an,
Daß unsereins »immer schlafen kann?
Ei — da guckt ja ein Veilchen herfür!"
Schleunig kehrt er sich gegen die Tür:
„Alte! Hab' ich's nicht immer gesagt!
Hurtig die Läden auf, es tagt!"
Wupp! Schon schlupft die durchs enge Loch,
Hinter ihr her drei Nachbarn noch,
Alle fünf tun vor Freude dumm,
Laufen wie närrisch im Kreis herum,
Tollen und überkugeln sich satt,
Bis einer ein Beincheu zu wenig hat.
Frau Ameise fängt nebenan
Just ihren Bau zu flicken an.
„Dies vornehme Pack — man ärgert
sich schwer —
Weiß nicht, daß Kisten und Kammern leer,
Faulenzt schon am ersten lieben Tag,
Mich wundert's, wie das noch kommen i»ag>"
Hoch im Apfelbaum sonnt sich ein Fink.
„Pinke pink! Pinke pink!
Der Kurier ist schon abgesandt,
Er holt mir mein Weibchen ans Mohrenland!"
Ammern und Spatzen lärmen laut:
„Kommt alles wie wir's voraus geschaut,
Heut der Schlehdorn, der Kirschbaum morgen
Fahrt immer dahin, ihr dämlichen Sorgen!"
Professor Rabe, weiß nicht warum,
Denkt heut auch nicht ans Studium.
„Wissen darf's nun 'inal Jedermann,
Daß unsereiner auch singen kann!
Globu! Kraha! — Das klang aber fein,
Uebers Jahr werd' ich bei der Oper sein."
Der Winter hockt am Schattcnrain,
Stopft sein Stummelpfeifchen sich ein,
Tut erst, als ging' ihn alles nichts an —
Aber schon fängt er zu laufen an!
Hopphopphvpp! lieber Stock und Stein,
Ein Schmetterling gaukelt hinter ihm drein.
Alfred Hutztzenberger
Liebe Jugend!
Bei einer Exkursion, die ein sächsischer lsoch-
schullehrer mit seinen Schülern unternahm, traf
es sich, daß ein kleines Städtchen zum Nacht-
quartier auscrschen wurde. Da ein einzelner
Gasthof die fünfzig Leute voraussichtlich nicht auf-
nehmen konnte, wurden morgens zwei gleich-
lautende Telegramme an die beiden Gasthöfe des
Drtes geschickt:
„Komme heute abend mit 25 Studenten. Bitte
Zimmer und Abendessen Herrichten. Geheimrat t}."
Bei der Ankunft im ersten Gasthof wurde dem
vorausgehenden Geheimrat der Bescheid:
„Nee, mei Gutester, uf den Leim bin ich Sic
»ich gehuppt; denn meinen Schwager im Goldenen
Stern haben Sie doch mit dem gleichen Telegramm
veralbern wollen!"
240
JUGEND
1909
Wir sind jung, mein Freund, und sehen vor
uns noch viele Jahre. Arbeiten werden wir
und werden froh sein können. Auch wenn wir
wissen, das; wir Menschen an den Dingen haften,
die uns an unsre Zeitlichkeit knüpfen. Ich
glaube, daß ich immer am Faschingstage dies
Erleben in mir tragen werde. Das Jahr und
blühende Gärten und die Musik führen zu andern
Ländern. An Tagen nur steigt dann Erinnerung
heraus und erzählt uns von Menschen und dem
Leid der verborgenen Seelen. Dann wird uns
Ernst umspielen, wenn auch die Wunden nicht
immer bluten.
Wir, mein lieber Freund, gehen so neuen
Wenden entgegen. Sie sind glücklich, ich weis;
es. Auch ich bin es. Und Glück wird gekränzt
durch Rosen, die aus der Tiefe der Gräber
sprießen —. Denn Friede ist es, in den alles
Menschensein eingeht.
Leben Sie wohl, lieber Freund. Dies war
es, warum ich lange schwieg.
Ihre Herma W.
Dcr falsche Prophet
Ich sehe verzückte Vasallen
Mit Augcnverrenkung sich peinigen,
Dir trunkene Hymnen zu lallen,
Und will es voraus dir bescheinigen:
Du wirst dich mit Einigen einigen,
Dann aber mit Allen zerfallen,
Nie wieder vom Argwohn dich reinigen.
Nur trügende Nebel zu ballen,
Und, wenn dich die Deinigen steinigen,
Anstatt in bewimpelte Hallen
In einsame Wildnisse wallen.
Kein Märtyrer wird sich beteiligen:
So geht es den eiligen Heiligen.
j.i,,iw>8 riiMn
Der SonnraInachnuttagoausflug
Wenn sie es gewußt hätte, wie weit es sei,
wäre sie nie mitgegangen, sagte meine Frau.
„Aber Schatz, es muß gleich da sein, wir
gehen doch schon über drei Stunden. Ich werde
übrigens die Bäuerin, die dort kommt, sragen,
wie weit es noch ist."
„Könnt ihr uns sagen, liebe Frau, wie weit
wir noch nach Sannt Peter haben?"
„Nach Sancht Peater? A guate Stund
öpper woll."
Nie mehr gehe sie mit, wenn sie nicht vor-
her bestimmt wisse, wie weit es sei.
„Das ist unmöglich, eine Stunde! Die muß
sich unbedingt geirrt haben. Ich werde jemand
anderen sragen."
Nach einer Viertelstunde Marsch rückte aus
der Straße ein schwarzer Punkt an. Nach
einer weiteren Viertelstunde war's ein Bauern-
wcib.
„Könnt ihr »ns sagen, liebe Frau, wie weit
wir noch nach Sankt Peter haben?"
„Sancht Peater? A so a leichte Stund
weard's scho branchn."
Meine Frau setzte sich auf einen Meilenstein.
Das sei wieder so eine Rücksichtslosigkeit von
mir, aber die letzte, die allerletzte, die sie sich
gefallen lasse. Eine Unverantwortlichkeit, wo
ich doch wisse, daß ...
„Beruhige Dich doch, Ima, das muß ein
Irrtum sein, so gewiß wie etwas, wir gehen
feit der ersten Bäuerin ja schon eine halbe
Stunde. Vielleicht gibt cs zwei Sankt Peter
gl diesem Sautal."
„Weil Du auch nie die Leute ordentlich
fragen kannst. Und dann solch dumme Weiber
statt einen vernünftigen Menschen."
Wir waren erst vier Monate verheiratet,
ich schwieg also. Dann trabten wir weiter.
Nach einer halben Stunde kam uns ein Bauer
entgegen.
„Den werde aber ich fragen."
„Gewiß, mein Kind."
„Grüß Gott, lieber Mann, ist das auch der
rechte Weg nach Sankt Peter?"
„Scllawoll, Freiln. Dö Straßu geaht akrat
af Sancht Peater."
„Nein, ich habe Sie doch gefragt, wie weit
es noch nach Sankt Peter ist?"
„Wia weit? Sall kimmt grad drauf an,
wia ma geaht."
„So frage ihn doch Du, Fritz, Du siehst
doch, daß er mich nicht versteht."
„Meine Frau meint nur beiläufig, lieber
Mann, wenn man so geht, wie ich."
„Beileifig? Ja beileifig weard's halt sein
a bißl mehr als a schwachs Stllndl aus oder ab."
Meine Frau gibt heute mir die Schuld,
das; unser Letzter den ersten Kurs Gymnasium
bereits zum drittenmal repetiert.
pacifikus Äaßlattcrcv
„Und sic ritten rohes Jlciscb mürbe..
(Wahres Geschichtchen)
Sc. Durchlaucht Prinz X mit Gefolge besieht
sich das neue Museum zu Berlin und kommt da
auch an die sechs berühmten Wandgemälde
Wilhelm v. Kaulbachs. Als ihm bedeutet wird,
daß das eine davon die kjnnnenschlachl darstelle,
fragt der hohe Mäcen und Aesthet verwundert:
„Aeh, äh, sagen Sie mal, äh, wo sind denn da
eijeutlich, äh — die Roastbeefs?"
Kindermund
Fritz und Karl liegen noch im Bett; ehe sie
sich zum Aufsteheu bequemen, entspiunt sich ein
Kampf, der mit den Worten des älteren Fritz
endet: „Du, — Du Haft mich beleidigt, ich bi»
der große Kaiser, und Du sagst zu mir Mnrkel-
schwein!"
(Wenn der Frühling kommt
Drei Zwerglein läuten den Frühling ein
Mit lvcißcn und gelben Glöckchen fein,
Drei Elfen tanzen im Sonnenlicht,
Lauschen, was der Märzivind spricht.
Kommt der Kttfcrmann vor sein Haus,
Putzt sich die Brillengläser ans:
„Was sangt ihr für 'neu Spektakel an,
Daß unsereins »immer schlafen kann?
Ei — da guckt ja ein Veilchen herfür!"
Schleunig kehrt er sich gegen die Tür:
„Alte! Hab' ich's nicht immer gesagt!
Hurtig die Läden auf, es tagt!"
Wupp! Schon schlupft die durchs enge Loch,
Hinter ihr her drei Nachbarn noch,
Alle fünf tun vor Freude dumm,
Laufen wie närrisch im Kreis herum,
Tollen und überkugeln sich satt,
Bis einer ein Beincheu zu wenig hat.
Frau Ameise fängt nebenan
Just ihren Bau zu flicken an.
„Dies vornehme Pack — man ärgert
sich schwer —
Weiß nicht, daß Kisten und Kammern leer,
Faulenzt schon am ersten lieben Tag,
Mich wundert's, wie das noch kommen i»ag>"
Hoch im Apfelbaum sonnt sich ein Fink.
„Pinke pink! Pinke pink!
Der Kurier ist schon abgesandt,
Er holt mir mein Weibchen ans Mohrenland!"
Ammern und Spatzen lärmen laut:
„Kommt alles wie wir's voraus geschaut,
Heut der Schlehdorn, der Kirschbaum morgen
Fahrt immer dahin, ihr dämlichen Sorgen!"
Professor Rabe, weiß nicht warum,
Denkt heut auch nicht ans Studium.
„Wissen darf's nun 'inal Jedermann,
Daß unsereiner auch singen kann!
Globu! Kraha! — Das klang aber fein,
Uebers Jahr werd' ich bei der Oper sein."
Der Winter hockt am Schattcnrain,
Stopft sein Stummelpfeifchen sich ein,
Tut erst, als ging' ihn alles nichts an —
Aber schon fängt er zu laufen an!
Hopphopphvpp! lieber Stock und Stein,
Ein Schmetterling gaukelt hinter ihm drein.
Alfred Hutztzenberger
Liebe Jugend!
Bei einer Exkursion, die ein sächsischer lsoch-
schullehrer mit seinen Schülern unternahm, traf
es sich, daß ein kleines Städtchen zum Nacht-
quartier auscrschen wurde. Da ein einzelner
Gasthof die fünfzig Leute voraussichtlich nicht auf-
nehmen konnte, wurden morgens zwei gleich-
lautende Telegramme an die beiden Gasthöfe des
Drtes geschickt:
„Komme heute abend mit 25 Studenten. Bitte
Zimmer und Abendessen Herrichten. Geheimrat t}."
Bei der Ankunft im ersten Gasthof wurde dem
vorausgehenden Geheimrat der Bescheid:
„Nee, mei Gutester, uf den Leim bin ich Sic
»ich gehuppt; denn meinen Schwager im Goldenen
Stern haben Sie doch mit dem gleichen Telegramm
veralbern wollen!"
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Alfred Huggenberger: Wenn der Frühling kommt
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
[nicht signierter Beitrag]: Kindermund
[nicht signierter Beitrag]: Und sie ritten rohes Fleisch mürbe...
Pacificus Kaßlatterer: Der Sonntagsnachmittagsausflug
Ludwig Anton Salomon Fulda: Der falsche Prophet
Otto Tilkes: Das stramme Weib
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[nicht signierter Beitrag]: Kindermund
[nicht signierter Beitrag]: Und sie ritten rohes Fleisch mürbe...
Pacificus Kaßlatterer: Der Sonntagsnachmittagsausflug
Ludwig Anton Salomon Fulda: Der falsche Prophet
Otto Tilkes: Das stramme Weib