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Nr. 16

1909

Stromfahrt

Das war ein wunderlicher Traum!

Ein Nachen hing am Weidenbaum —

Risch! fällt die Kette auf den Kies,

Ein Jauchzer gellt — ich weiß nur dies:
Die Lust, die will ich büßen!

Das Tal in Sommerherrlichkeit,

Die Welle rauscht: Wir wandern weit!

Ein Kirchlein winkt mir ab und an
Mit rotem Helm und Wetterhahn.

Aus niedern Hütten steigt der Rauch;

Ein Mähder schafft, mich streift der Hauch
Der frischgelegten feuchten Mahd.

Auf breiten Zeigen wogt die Saat
Und träumt von goldnen Garben.

Schön ist der Forst, der dunkle Forst I
Ein Bussard fliegt gemach zum Horst;

Der schwarzen Tannen stumme Pracht
Hat sich im Strom ein Bild gemacht.

Die Erle steigt zum Uferrand,

Ein Reiher fischt am seichten Strand;

Es äugt das Reh aus sichrer Hut,

Die Birke biegt sich auf die Flut
Und trinkt mit durst'gen Zweigen.

Vorbei! Ein Städtchen steigt empor,

Ein altes Nest mit Wall und Tor.

Ich las davon so irgendwo,

Nun seh' ich's trotzen sonnenfroh!

Du steinern Wort, erzähl' einmal,

Von heißer Lust, von Haß und Qual!

Von Mörsersturm und Festgeläut —

Still, ich Hab' nicht zum Lauschen Zeit!
Schon wölbt das graue Brückentier
Den Rücken dräuend über mir,

Am wucht'gen Pfeiler streift mein Kahn —
Wie sieht die Welt sich seltsam an!

Ein Karren rattert plump und schwer,

Und Menschlein trotten hin und her
Mit Sorgen und Gebresten. —

Das war ein wunderlicher Traum!
Verwandelt plötzlich Zeit und Raum:

Auf breitem Strome treibt mein Boot,

Vom blassen Abendgold umloht.

So mit der grünen Flut allein
Hör' ich am Grund ein Singen fein:
Tausend Bäche aus Hain und Schlucht
Schaffen wir des Stromes Wucht,

Tausend Quellen aus Nord und Süd,

Weiß jede ein anderes Wanderlied!

Die erste singt: Unterm Glelschertor
Stürmt' ich rauschend und brausend hervor,
Felsen stürzend mit tollem Mut
War ich jetzt Schaum, jetzt springende Flut.
Nicht Wehr noch Schranke hemmte den Schritt,
Steg und Stamm, ich riß sie mit!

Aber im Bergsee, tief und klar
Sah ich, wie schön die Heimat war,

Ich kann sie nicht vergessen. . .

Die zweite singt: Im Walde dicht,

Unterm Eichbaum quoll ich ans Licht.
Verborg'ner Kammern heimliche Pracht,

Des Berges Hort, von Zwergen bewacht,
Alles schien mir arm und gering,


— G. Schroeter —

Als mich der goldene Tag umfing!

Mein Becken speiste Moos und Blatt,

Die scheue Hirschkuh trank sich satt.

Ich weiß von einer Mühle im Grund,

Mir hat eine Maid mit rotem Mund
Ein Tränlein mitgegeben. —

Es dunkelt sacht. Gewaltig ziehn
Die Wasser ihre Straße hin.

Ob nicht die Nixe nach mir schielt,

Die tief am Grund mit Kieseln spielt? —
Da plötzlich steigt voll Glanz und Pracht
Ein Märchen auf aus Strom und Nacht:
Der Riesenstadt verklärtes Bild,

Der manche stumme Sehnsucht gilt!

Der Prunkpaläste reiche Schau,

Der hohen Dome Wunderbau

Mit Steingenelk, mit Kreuz und Stern!

Und Marmorsäulen ragen fern. . .

Ein Jubelschrei! — In Sonnennot
Verblaßt das Bild, sein Glanz ist tot
Und Fahrt und Traum zu Ende.

Alfred Huggenbcrger

Heimat!

von Anron Frcitzcrrn von perfall

Worin das Glück der Kindheit, ihr unver-
gänglicher Reiz für alle Zukunftcn liegt?

In der Sorglosigkeit, meint man, der man-
gelnden Erfahrung, die später alles beschmutzt
und verdächtigt. —

Das stimmt nicht. Die Sorgen des Kindes
sind gewöhnlich sogar intensiver, als die der
Erwachsenen. Auf die Unbedeutsamkeit der
Veranlassung kommt es dabei nicht an, ledig-
lich aus den G-ad der Empfindung. Das Miß-
glücken eines Kunstbaues aus Sand und Schmutz
kann bei ihm ebensolche Unlust, dasselbe Ohn-
machtsgefühl auslöjen, wie bei dem Künstler ein
verfehltes Werk, und ich kannte einen Knaben,
der über den Tod seines Lieblingshundes von
einem Schmerz ergriffen wurde, der dem eines
Vaters über den Verlust seines Sohnes nicht
nachstand.

Gar nicht zu reden von den Kränkungen und
Seelenqualen, die ein plumpes Gemüt ihm an-
tun kann. —

Mit der mangelnden Erfahrung ist es auch
nicht so weit her. All die schmerzhaften Hemm-
nisse des Lebens drängen sich ihm frühzeitig

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auf, um so intensiver, da ihre Gründe nicht be-
griffen werden können.

So sehe ich das Glück des Kindes ganz
anderswo, und, ausschließlich darin — das
Kind ist ein Künstler, es schafft und formt sich
seine Welt, gleichviel ob es aus einem Stüch
Holz sein Hotto macht, auf dem es Reitlust ge-
nießt, sich eine Papierdüte aussetzt und sich als
General fühlt, oder ob es aus der banalsten
Mutter eine Idealgestalt, aus dem philiströsesten
Vater einen Halbgott macht, oder aus einer
strohgedeckten Armeleutehütte, in der des Lebens
Not und Qual wohnt, sein Iugendparadies.

Die Künftlerschaft des Kindes ist die Ur-
sache seines Glückes; und daß jeder Mensch
einmal ein solch kleiner Künstler war, das ist
der Grund der wehmütigen, rllckblickenden Sehn-
sucht, nach der goldenen Zeit, die den Meisten
aus ewig verloren — und darum ist der echte
Künstler das ewige Kind, darum spricht Christus,
diese zarteste, sublimste aller Künstlerseelen:
„Lasset die Kleinen zu mir kommen, denn ihrer
ist das Himmelreich," — und ein andermal „wenn
ihr nicht werdet wie die Kinder — könnt ihr
nicht eingehen in mein himmlisch Reich."

An die Idee der Kindheit schließt sich die
der „Heimat." Wächst dieser Begriff nicht in
die Kinderseele hinein, sich darin mit Tausend
Wurzelsäden sestkrallend, wird er nie mehr kraft-
voll lebendig.

Mich hat ein günstiges Geschick mitten unter
das reichhaltigste Material gesetzt. Ich brauchte
nur die Hände auszustrecken, nur die Augen
aufzuschlagen, das krauseste Material, das förm-
lich nach Formung schrie.

Ein uraltes Schloß, so ein Jahrtausend,
in seinen Grundoesten wenigstens, von Brand
und Krieg verstümmelt, wieder geflickt, — ein
Flügel hieß der „Neue", weil er erst 200 Jahre
alt war, — alle Launen und Wechselfälle eines
Jahrtausend im Antlitz; der Dachstuhl ein ge-
fällter Wald, die Gewölbe massiv gespannt,
Urväterhausrat, Geschmack und Geschmacklosig-
keit durcheinander, Vogelbälge, geschwärzte Ge-
weihe, Waffentrümmer, schwarze Bilder, aus
denen nur mehr ein Harnisch, oder eine weiße
Krause blitzte. Der Park, ein üppiger Urwald
mit versumpften Teichen, der Garten englisch,
peinlich gepflegt mit beschnittenen Rasen, ein
Rosen-, Holler- und Goldregenparadies! Rings-
um das Dorf, strohgedeckte Hütten, Misthaufen,
Malven, Nelken, Sonnenblumen und Kürbis.
Drüber hinaus Feld und Wald, weit, weit bis
zu den schneebedeckten Alpen.

Zu weit für den kleinen Künstler, — in der
Beschränkung liegt sein Erfolg.

Erst die große getäfelte Stube mit dem
schwarzen Kachelofen. Er hatte einen dicken
glänzenden Leib, der auf zwei ganz dünnen
Beinchen lzwei Eisenstäbej stand, mitten in dem
glänzenden Leib war ein schwarzes Loch und
darin sangen und dufteten die Bratäpfel, ein
kleines und ein großes Bett, über letzterem ein
Kupferstich mit Stockflecken, die Mutter mit
dem Kinde. In einer Mauernische brannte
hinter einem Glastür! das Nachtlicht. Die
Kerze mit dem Flammkops, die Lichtputzscheere,
eine Schublade voll Spielkram, immer offen.
Zum Fenster mit den Eisenstäben sahen Tannen-
wipfel herein, mit schweren Zapfen. Das ist
Alles, — > icht mehr. Da schnull ich am Daumen
und sorme und bilde!

Dann geht's eines Tages die ausgetretene
Stiege herunter zu neuen Wundern.
Register
Anton Frh. v. Perfall: Heimat!
Alfred Huggenberger: Stromfahrt
Gustav Schroeter: Vignette
 
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