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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 14.1909, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 17
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Nr. 17

JUGEND

1909

.Ich Hab kan Schatz nicht — schon seit vier
Monate,' Hab ich gsagt.

Da hätten S', gnä Frau, die Freud sehen
sollen vom Franzli

,So war!' hat er gsagt. .Das hatt ich mir
nicht zum denken traut, daß a so a packschierliches
Madel keinen Schah nicht hat. Also — da bin
ich, Nauderl, lieben S' halt mich, wann S' kan
bessern haben,' hat er gsagt und hat mir die
Pfand geben, und die Anna hat als senge durch«
gschlagen. No — und Sonntag saan mir zusamm
ansgange». Zuerst saan mir in Wurstlprater
ins Stadtwäldchen und haben uns amisiert. Der
Franzl mar wirklich ein Gaavalier. Im Floh-
thcater waren wir und bei der Frau ohne Unter
leib. Muß das auch grauslich sein, wenn der
liebe Herrgott einen so erschafft! Dann, wie
wir schon mild waren, sind wir in das Restaurant
,Zum schönen Kaminfeger'. Der Franzl hat
gfragt, was ich essen will. Ich Hab gsagt: ,Nur
an Lierspeis' und an schwachen G'sxritzten'. Ich
trink kan Wein — ich weiß warum. Ich Hab
gsegen, daß ihm das gut gfallen hat, daß ich so
bescheiden bin, wo ich doch hält auch an Rost-
braten anschaffen können.

Mich hat fort mein Gewissen druckt. Und
auf einmal hat mir der Franzl g'sagt: ob daß
ich will sei Frau wcrn?

Da Hab ich noch schnell eins trunken und
Hab g'sagt: .Ich muß Ihnen sagen, Herr Franz

— ich bin heute nicht nur ein glückliches Madel

— ich bin auch Mutter.'

Darauf war er ein bissel still, und mir hat
das Herz geklopft — gnä Frau, so, daß mir die
Lierspeis nicht mehr geschmeckt hat — es war
auch mit Margarin gemacht.

>Is es ein Madl oder ein Bub?', hat er gesagt.

,Lin Madel — und ein Bub.'

Darauf ist der Franzl aufgcstanden und hat
gesagt: .Pardon, ich muß ein bißl auf die Luft

— hier herin is 's so heiß.'

Da bin ich dann g'sessen und Hab in Aengsten
• gewartet. Nach einer viertelstund ist er wieder
kommen und hat g'sagt: .Wissen S', Nanerl,
ivann's schon so is — wann's halt kan Pattern
nicht haben, Ihnere Kinder, so wer ich halt der
patter sein, und wir werden f in Gottes Namen
aufziehn.'"

„Ist denn das auch schon gewiß, Nani, daß
der Franz Sie heiratet?"

„Ganz gewiß, gnä Frau. Wann gnä Frau
erlauben, so bleib ich noch sechs Wochen, damit
ich Geld Hab zur Hochzeit. Das hah ich mir
immer vorgenommen: ich Heirat nur in an weißen
Kleid mit Kranz und Schleier. Ls ist ja der
allerschönste Tag im Leben. — Der Franz hat
g'sagt, das wär so schön, daß ich so aufrichtig
war zu ihm — das wird er mir nie vergessen."

„Freilich, Nani, vor seinem Mann soll man
keine Geheimnisse haben."

Darauf wurde Nani still und ging ins Zimmer.

Franz hielt sein versprechen. Lr bestellte die
Aufgebote und spielte den liebenswürdigen Bräu-
tigam. Der Komet Aurelie berührte in seinem
Kreislauf unser» Horizont und war bereit, Nanis
Stelle wieder einzunchnien.

Lin paar Tage vor der Hochzeit suchte mich
Nani in meinem Zimmer auf.

„verzeihen, gnä Frau — aber ich bin so un-
ruhig — ich möcht gern was sragen."

„Was wollen Sie denn?"

wenn gnä Frau mir sagen wollten: fragt
der Pfarrer bei der Trauung, wie viel Kinder
daß die Braut hat?"

„was fällt Ihnen denn ein, Nani?"

„weil — nämlich — zwischen die zwei, da
Hab ich noch eins ghabt — das ist als a kleiner
gstorben — und das möcht ich niemanden sagen,
als der gnä Frau. Drei« — das ist doch zu viel."

Das Rendezvous

Lange Stunden steh' ich am Portale,
Schaue scheuen Blicks nach der Estrade:
Treffen wollt' ich nach dem Mahle „Male",
Daß ich sie zur Schokolade lade!

Schwierig fällt's, die Kleine aufzugabeln,
Und ich fluche schon nach allen Noten —
Soll ich ihr ein paar Vokabeln kabeln,
Weil die Eltern streng verboten Boten?

Ach, ich wollte doch um diese Stunde
Im Verborg'nen die Erfahrung machen,
Wie ein Küßchen meinem Munde munde
Von den Lippen, die scharlachen lachen!

Endlich kommt sie! — Mit ihr in die Ferne
Will ich wandern und im Wald, im grünen,
Bis sich spät in der Zisterne Sterne
Widerspiegeln, der Blondinen dienen!

Beda Hafen

Liebe Jugend!

Die Mitglieder eines Seminars an einer
kleinen süddeutschen Universität beschließen, eine
Tanzerei zu veranstalten und hierzu den dortigen
Studentinnenverein offiziell einzuladen. Um keine
Unterschiede merkbar werden zu lassen, soll von
förmlicher Balltoilctte, Frack rc. abgesehen werden.
Natürlich müssen auch die Studentinnen davon
unterrichtet werden. So prangt in der unteren
linken Lcke der feierlichen Karte in lapidarer
Kürze: „Bitte Rock!"

Im heiligen russischen Reich sind die Brücken,
die im Lande hier und da über einen Strom
führen, um ihrer selbst willen da, und wer das
weiß, versucht die Götter nicht und fährt lieber
geradewegs durch den Fluß.

So tat auch Iwan, mein alter, erfahrener
Postillon, wäbrend Gegori, ein dummdreister
Neuling auf dem Kutschbock, mit Pferden und
Reisenden mitten auf der Brücke versank.

„Dummkopf l" rief der Alte dem Jungen zu,
„Du siehst, daß da eine Brücke ist, und fährst
doch drüber l"

Der Sündendock

Satt

Und angeckelt

Vom Schmutz und Elend der Großstadt
Flieh ich ins Freie,

Bedeckt und beladen

Von all der Anderen Schuld —

Die sie auf mich geworfen,

Dieweil ich im Traun:

Ihre Mitte durchschritt —

Und ich triefe von Sünde
Und Unreinlichkeit.

Wo die Bäume stehn

Mit dem leuchtenden Lenzlaub,

Dem österlich-grünen,

Darunter jach,

Unaufhaltsam der Fluß
Aufraunend dahinschänmt —

Knie ich zur Erde:

Benetze mit Naß
Mir Stirne und Hand
Und bete znm flüchtigen,

Stets sich verjüngenden.

Stets gegenwärtigen
Flußgolt ini Wasser:

Reinige mich!

Heilige mich! . . .

Dann spring ich empor

Und schüttle den Staub von den Füßen

Und wandre —

Flußauf, immerzu,

In: Rücken die Stadt,

Hinein in die Berge.

Wo die Wildbächc springen
Und die Qnellwasser singen,

Hab von Winden umgrollt
Ich Siindc und Schuld
Wie ein Jungborn beschwingt
In die Tiefe gerollt.

Ludwig Scharf

Liebe Jugend!

Line Landplage für alle Mediziner, sind be-
kanntlich die „Konsultationsschindcr"; Leute, die,
ob sie nun gehend, stehend, liegend, sitzend, auf dem
watzmann oder im Schwimmbad, bei einer Abfüt-
terung oder in der Pinakothek einen Arzt treffen,
diesem ihr Leid klagen und eine an passam-Unter-
suchuug Vorschlägen. Immer haben sie etwas, was
der „Herr Doktor schnell mal »achsehen lönnte";
aber in die Sprechstunde kommen sie nie. — Lin be-
rüchtigter „Acrzteschreck" dieses Kalibers war die
Kommerzienrätin N. ans Berlin-Grunewald, eine
üppige tewme äs lreute ans, die, wo immer von
den neunundneunzig „Löffeln Suppe" und hundcrt-
unddrei „Taffen Tee", zu denen sie pro Winter
geladen wurde, ein großer Medizinmann in ihrem
näheren Umkreis saß, ihm solange zusetzte, bis
er ihr für irgend eine Migräne oder Kolik etwas
verschrieb oder dgl., um hinterher zu erzählen:
Leyden hat mir dies cmpfoblen und Laffar hat
mir jenes gegeben, bis sie eines Tages in einer
Gesellschaft neben den alten M. geriet. Als sie
auch den gleich zu konsultieren begann, legte der
Messer, Gabel und Serviette beiseite, schaute Uber
die goldene Brille weg, tief in den wogenden
Ausschnitt der Dame und sagte laut: „Wollen
Sie sich bitte ansziehen, gnädige Frau!" — Seit-
dem hat Frau N. nie iitchr „Konsultation ge-
schunden".

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Register
Ludwig Scharf: Der Sündenbock
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
Beda Hafen: Das Rendezvous
 
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