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Erlösung

Dom dunklen Fluß bin ich hcrausgestiegcn,
Fern rauscht er hin durchs grünumwölbte Tal,
Auf milden Höhen sah ich zitternd liegen
Des Tages letzten Augenstrahl.

Die leisen Hänge der geneigten Halde
Bleicht noch ein Widerschein vom

Wolkenbrand,

Und in die blaue Dämmrung überm Walde
Schlingt schon die Nacht ein schönres

Sternenband.

Kühl atmet es in den betauten Zweigen;
Und als der Bach sein Ave flüsternd spricht,
Erhebt sich lächelnd aus dem

Himmelsschweigen
Der Ewigkeit verklärtes Wegelicht.

Da sinkt das graue Leid des Alltags nieder;
Auf meine Schulter legt sich eine Hand
Und eine gütige Stimme tröstet wieder:

Sieh dort den Weg in deiner Träume Land.

Franz lbangheinetch

Der Ehrenrat

von Roda Roda

Ich muß bemerken, daß ich eine Zeit lang
Reserveoffizier mar; ein Offizier also, der sich
Reserve auferlegen muß.

Leider ging mir aber schon Anfang 1904 das
Geld so vollständig aus, daß ich mir meine
schöne Konduiteliste durch Schriftstellerei ver-
sauen mußte.

Eben hatte der russisch-japanische Krieg be-
gonnen. Ich fand es an der Zeit, einer der
beiden Parteien, den Russen oder Japanern,
den Sieg zu prophezeien, und entschied mich
nach langer Ueocrlegung für die Russen.

„O nein," sagte mir der Herr vom Wiener
Liberalen Boten, — „wo die Russen die Greuel
von Kischenew auf Greuel gehäuft haben?
Die Russen dürfen nicht siegen; in unserm
Blatt nicht."

Ich bin nicht eigensinnig. Ich prophezeite
also einen Sieg Japans. Worauf mein Artikel
erschien. 124 Zeilen ä 10 h.

Wir hatten damals in Oesterreich einen Mi-
nister des Aeußern, den Grafen Goluchowski,
der mit Rußland die Mürzsteger Konvention
geschlossen hatte und auch sonst unter den Staats-
männern Europas nicht weiter aussiel.

Er muß ein sehr netter alter Herr gewesen
sein, denke ich mir. Man erzählte aus seinem
täglichen Leben wahrhaft rührende Züge. Er
trug immer noch die Filzpantoffel Agenor Go-
luchowskis, des alten Föderalisten, und nannte
die Wiener Praterstraße nie anders als Iägcr-
zcile, wie sie »nno 1848 geheißen hatte. Er legte
sich gewöhnlich vor Sonnenuntergang schlafen,
weil er eine Aversion gegen künstliches Licht
hatte. Und als man ihm einmal von der Elek-
trizität sprach, schüttelte er den greisen Kopf
und sagte:

„Diese jungen Herren! Au fond saan s'
halt allerweil Sozialisten."

Grade an dem Tag, als mein Artikel er-
schien, war der alte Herr aus einem wüsten
Traum erwacht und ließ seinen Sekretär rufen,
den bewährten alten Powondra.

„Powondra," sprach er, „da fallt mir grad
ein: wir haben schon seit Monaten keinen
Kurier aus Neapel. Glauben S', daß mit
dem Königreich beider Sizilien was los sein
könnt? Bringen S' mir amal a Zeitung."

Dieses überraschende Verlangen seiner Ex-
zellenz brachte am Ballhausplatz eine kleine
Palastrevolution hervor. Glücklicherweise er-

— Otto Kayser —

innerte sich Powondra, daß der Sohn des Por-
tiers als Revolutzer denunziert worden war —
der hielt gewiß eine Zeitung.

Man holte sie. Das empörte Auge Seiner
Exzellenz las darin meinen Artikel gegen die
Russen.

„Powondra," rief Seine Exzellenz, „fegen
S' nur amal her, was da a so a Kerl gegen
Seine Majestät, den Zaren Nikolaus schreibt!"

„Ja, ja, Exzellenz — wo uns Seine Maje-
stät, der Zar Nikolaus im Jahre 1849 aller-
gnädigst gegen die Ungarn geholfen haben."

„Richtig, Powondra — segn S', dös hätt
ich beinah vergessen."

Eine Mertelstunde später fuhr vor dem Kriegs-
ministerium die vierspännige Dcmenticrspritzc
des Ministeriums des Aeußern vor, bemannt
mit Seiner Exzellenz selbst, mit Powondra und
dem treuen Kammerdiener Wenzel.

Einen Tag darauf war ich im Besitz einer
offiziellen Nase. Man bedeutete mir, ich Hütte
mich aller Acußcrnngen zu enthalten, die ge-
eignet wären, das historische Einverständnis
Rußlands mit Oesterreich zu trüben, und, da
ich Angehöriger der Armee wäre, ein häßliches
Licht auf die Arniee zu werfen.

Am selben Abend noch erschien eine ful-
minante, vom Obersten Prtlitschek und drei
andern bedeutenden Köpfen des Gencralstabs
verfertigte Widerlegung meines Artikels; da
wurde an Hand von reichem statistischem und
organisatorischem Detail bewiesen, wie leicht-
fertig meine Wahrsagern eines japanischen
Sieges gewesen wäre, und es könnte keinem
Zweifel unterliegen, daß auch im fernen Ost-
asien sich die Kraft der kaiserlich russischen, uns
so eng befreundeten Armee triumphierend be-
haupten würde.

Ich war mißliebig geworden. Die Militär-
behörden verfolgten fortan mein Treiben mit
wachsamen Augen. Als der „Witzige Wiener
vom Grund" auf Seite 3 der Nummer vom
22. Oktober 1904 meine Karikatur brachte,
fragte der Ehrenrat an: was ich gegen den
Redakteur zu unternehmen gedächte?

Ich antwortete bescheiden: ich gedächte ab-
zuwarten, wie's Seine Exzellenz, der Kriegs-
minister halten würde; er ist aus Seite 2 der-
selben Nummer karikiert worden — und nach
ihm wollte ich mein Benehmen richten.

Kurze Zeit darauf schrieb ich eine Episode
aus meinen militärischen Erinnerungen nieder,
deren erste drei Zeilen an höherer Stelle in-
kriminiert wurden. Mir liegt daran, zu be-
weisen, wie harmlos diese Einleitung meiner
Erinnerungen war — darum setze ich die Zeilen
wörtlich her:

„Wir haben," schrieb ich, „in der öster-
reichischen Armee etwa dreihundert Generäle.
Es ist klar, daß einer von ihnen der klügste sein
muß; ebenso klar, daß einer der dümmste ist.
Wer mich und mein persönliches Pech kennt,
wird mir glauben, daß grade ich das Ver-
gnügen batte, unter dem dümmsten zu dienen."

Aus diesen Sätzen konstruierte der Ehrenrat
sofort eine Beleidigung Seiner Exzellenz, wei-
land des Feldzeugmeisters Grafen Schneider von
Schlachtschwert.

Ich hatte meinen alten Chef verunglimpft?
Weil ich einige — vom Standpunkt der Logik
sicherlich unanfechtbare — Bemerkungen gemacht
habe? Das wäre ja grade, als wollte man den
Papst des Dogmenglaubens beschuldigen — nur,
weil er gegen die Modernisten vorgeht.

Ich bat also den Ehrenrat diensthöflich, sich
diese Ansicht aus dem Kopf zu schlagen. Es
wäre mir gar nicht eingefallen, den Grafen
Schneider zu meinen. Meine Erinnerungen
flössen aus dichterischer Erfindungsgabe.

Darauf der Ehrenrat: meine Antwort klänge
ganz und gar unglaubhaft. Wenn ich unter
dem dümmsten General der Armee nicht den
General Schneider verstanden hätte — wen
sonst? Eben auf den General Schneider passe
meine Beschreibung so genau wie dem Fuchs
sein Balg. — Dann ein langatmiger Beweis,
daß aus hundert Gründen anzunehmen wäre,
ich hätte in meiner Geschichte grade den Ge-
neral Schneider verunglimpfen wollen.

Ich antwortete wiederum: meine Geschichte
ist vollkommen frei erfunden — und wenn der
Ehrenrat darin eine Herabwürdigung des Grafen
Schneider erblickt, trage ich keine Schuld daran.
Wollte ich mir die Methode des Ehrenrats zu
eigen machen, so siele mir der Nachweis nicht
schwer: daß Moses seine fünf Bücher nur ge-
schrieben habe, um das Andenken Seiner Ex-
zellenz, des allseits hochverehrten Feldmarschalls
Vaters Radetzky zu besudeln.

Darauf erhielt ich eine Vorladung zu per-
sönlichem Erscheinen vor einem in Wien zu-
sammengesetzten Ehrenrat.

Ich muß bemerken, daß ich schon vor etwa
sieben Jahren aus dem aktiven Verband ge-
treten bin und seither nur einmal die Uniform
getragen habe. Ferner, daß ich seit dem
Jahr 1901 bedeutend an Körpergewicht zuge-
nommen habe — und zwar um 26 Kilogramm.

Ich wurde darauf erst aufmerksam, als ich
von vorn herein den Versuch ausgeben mußte,
meinen Waffenrock zuzuknöpfen. Er saß mir
angegossen, wie ein buntes Zuavenjäckchcn, um
die Glieder und schnitt ungefähr in der Gegend
der Brustwarzen vertikal ab. Der Rest, etwa
eine Spanne weit, ließ sich nicht überbrücken.

Schon ging ich mit der Idee um, mir den
Waffenrock von zwei Dienstmännern über die
Rippen ziehen zu lassen und in diesem Zustand
im Schlafwagen nach Wien zu fahren. Da
stellte sich heraus, daß die Hosen, die mir bis
dahin gepaßt hatten, Eigentum des Majors im
zweiten Stock waren. Ehe der Schuster erschien,
um mir meine Paradestiefel wieder von den
Waden zu schneiden, hatte ich meine Absicht,
mich dem Ehrenrat zu stellen, ausgegeben.

Ich schlug aber vor, der Ehrenrat möchte
an meiner Statt einen Sachverständigen einver
nehmen — zum Beispiel den Obersten Kuderna,
Verfasser der „Gewappneten Klänge" und der „Mi-
litärsiylistik", der auch österreichischer Dichter ist.

Um das Jahr 1848, von dem ich schon ein-
mal sprach, genas ein Musikant in Urfahr bei
Linz eines strammen Söhnchens, das schon bei
seiner Geburt mit dem oberösterreichischen Landes-
wappen, dem Kropf, geziert war und sich dadurch
als prädestiniert für die Stabsoffizierskarricre
erwies. Stabsoffiziere haben nämlich Metall-
hälse, da geniert der Kropf nicht weiter.

Man wird mich beschuldigen, von der Wahr-
scheinlichkeit abgewichcn zu sein, wenn ich sage:
der Mustkantenssohn hieß Franz Prohaska.
Aber solche drastische Zufälligkeiten, die keines
Dichters Phantasie ersinnen kann, gibt es im
Leben.
Index
B. A. Nause: Das bedrohte Albion
Erich Wilke: Englische Bismarcks
Franz Langheinrich: Erlösung
Otto Kayser: Zeichnung ohne Titel
Roda Roda: Der Ehrenrat
 
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