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glinsen und gepfefferten Pfauen bedeckt war. Und er bot seinen
Gästen die Weine Griechenlands und Asiens in Trinkhorncrn
dar. Karl der Große und feine Gefährten tranken alle diese
Weine zu Ehren des Königs und feiner Tochter Helena. Nach
dem Mahle führte er sie in das Schlafgemach, das für sic be-
stimmt war. Dieses Gemach war rund; eine Säule in der
Mitte trug das Gewölbe. Man konnte nichts Schöneres sehen.
An den Wänden, die mit Gold und Purpur geziert waren,
standen zwölf Betten ringsum, und ein dreizehntes, größer denn
die andren, erhob sich neben der Säule. Karl der Große legte
sich hinein, und die zivölf Grafen ringsum in die übrigen. Der
Wein, den sie getrunken, erhitzte ihr Blut und machte ihr Hirn
dünsten. Da sie keinen Schlaf fanden, Huben sie an, sich Scherze
zu erzählen, nach Art der fränkischen Ritter, und überboten sich
in Wetten, die ihr großes Herz offenbarten. Der Kaiser machte
den ersten Scherz. Er sprach:

„Man führe mir den besten Ritter des Königs Hugo zu
Roß und völlig gewappnet vor. Ich will mein Schivert erheben
und es mit solcher Kraft auf ihn niederschmcttern, daß es Helm,
Halsbcrge, Sattel und Roß zerspaltet und die Klinge sich noch
einen Fuß in die Erde gräbt."

Wilhelm von Oranten sprach nach dem Kaiser und machte
den zweiten Scherz.

„Ich will," sprach er, „eine eiserne Kugel aufheben, die
sechzig Männer kaum tragen können, und sie mit solcher Wucht
an die Palastmauer schleudern, daß sie sechzig Ellen davon
nicdcrreißt."

Hierauf sagte Oger von Dänemark:

„Ihr seht diese stolze Säule, die das Gewölbe trägt. Morgen
will ich sie ausreißen und zerbrechen gleichwie einen Strohhalm."

Worauf Rcinhold von Montauban ausrief: .

„Potzblitz! Graf Oger, dieweil Du die Säule umwirfst, will
ich die Kuppel auf meine Schulter nehmen und sie bis zum
Meeresstrand tragen."

Gerhard von Roussillon machte den fünften Scherz.

Er rühmte sich, allein in einer Stunde alle Bäume des
königlichen Gartens auszureißen.

Nach Gerhard ergriff Aimer das Wort.

„Ich habe," sprach er, „eine Tarnkappe, aus dem Fell eines
Scekalbs gefertigt, welche unsichtbar macht. Diese will ich auf-
setzen, und morgen, wenn König Hugo bei Tafel sitzt, will ich
seinen Fisch essen, seinen Wein trinken, ihn in die Nase kneifen,
ihm Ohrfeigen geben, und da er nicht weiß, an wen er sich halten
soll, so wird er all sein Gesinde in den Kerker werfen und
peitschen lassen, und wir werden lachen."

„Ich," sprach nun Hüon von Bordeaux, „ich bin rasch genug,
mich dem König zu nähern und ihm Bart und Brauen abzu-
schncidcn, ohne daß er es merkt. Dieses Schauspiel werde ich
Euch morgen geben. Und ich bedarf dazu keiner Tarnkappe."

Doolin von Mainz machte auch seinen Scherz. Er verschwor
sich, in einer Stunde alle Feigen, Zitronen und Orangen der
kaiserlichen Gärten zu verspeisen.

Darnach sprach der Herzog Naims also:

„Bei meinem Glauben, ich will in den Fcstsaal gehen,
Humpen und Goldpokale nehmen und sic so hoch werfen, daß
sie nur noch in den Mond fallen können."

Alsdann erhob Bernhard von Brabant seine laute Stimme.

„Ich kann etwas Besseres," sprach er. „Hört mich an,
Paladine. Ihr wißt, daß der Fluß, der durch Konslantinopcl
fließt, breit ist, denn er nähert sich hier seiner Mündung, nachdem
er Aegypten, Babylonien und das irdische Paradies durchströmt
hat. Ich will ihn aus seinem Bette ablcnkcn und auf den großen
Marktplatz fließen lassen."

Gerhard von Mane sprach:

„Man stelle zehn Ritter in Reih und Glied. Und ich lasse
sie alle zumal auf die Nase fallen, durch den bloßen Wind
meines Schwertes."

Graf Roland machte den zwölften Scherz und sprach also:

„Ich will mein Horn nehmen, die Stadt verlassen und mit
so starken! Hauche hineinblasen, daß die Stadttore aus den
Angeln springen."

Nur Olivier hatte nichts gesagt. Er war jung und höfisch.
Und der Kaiser liebte ihn zärtlich.

„Mein Sohn," sprach er zu ihm, „willst Du nicht auch Deinen
Scherz machen?"

„Gern, Herr Kaiser," erwiderte Olivier. „Kennt Ihr
Herkules von Griechenland?"

„Man hat nrir von ihm etliches erzählt," sprach Karl der
Große. „Er war ein Götzenbild der Ungläubigen, nach Art des
falschen Gottes Mahomct."

„Nicht so, Herr Kaiser," sprach Olivier. „Herkules von
Griechenland war eüi heidnischer Ritter und König von etwelchenr
Königreich. Er war ein wackerer und wohlgestalteter Mann.
Nachdem er sich an den Hof irgend eines Kaisers begeben, der
fünfzig jungfräuliche Töchter halte, heiratete er alle in der näm-
lichen Nacht, also daß an dem kommenden Morgen allesamt
wissende Frauen waren. Denn er hatte keiner von ihnen Schimpf
angetan. Nun wohl, so es Euch gefällt, Herr Kaiser, so will ich
meinen Scherz machen nach Art des Herkules von Griechenland."

Hüte Dich, mein Sohn Olivier l" rief der Kaiser. „Das
wäre" eine Sünde. Ich. dachte mir schon, datz dieser König
Herkules ein Sarazene sei." ^ , . , . .

„Herr Kaiser," erwiderte Olivier, „wrffct, daß ich m der
nämlichen Zeit mit einer einzigen Jungfrau das Gleiche zu tun
gedenke, was Herkules von Griechenland mit fünfzig tat. Und
diese Jungfrau soll Prinzessin Helena, König Hugos Tochter sein.

„Wohlan denn!" rief Karl der Große, „das ist ehrbar und
christlich gehandelt." , . . . _

Der Kaiser sprach noch, da tat sich die Sänke, die das Ge-
wölbe trug, auf. Diese Säule war hohl und so eingerichtet, daß
sich ein Mann ohne Mühe darin verbergen Konnte, um alles
zu hören und zu sehen. Das aber war Karl dem Großen und
seinen zwölf Paladineir unbekannt. Und so waren sie auch baß
erstaunt, als pe den König voii Konstantinopel aus ihr hcrsur-
treten sahen. Er war bleich vor Zorn, seine Augen funkelten.
Mit furchtbarer Stimme sprach er:

„So also lohnt Ihr die Gastsreundschaft, die ich Euch ge-
währe, Ihr unhöfischen Gäste I Eine Stunde lang kränkt Ihr
mich schon durch Eure frechen Prahlercicii. Doch ivisset, Herr
Kaiser und Ihr Ritter, so Ihr morgen nicht alle Eure Scherze
ausfllhret, lasse ich Euch den Kopf abschlagcn."

Nachdem er also gesprochen, kehrte er in die ©nute zurück,
deren Oeffnung sich fest hinter ihm schloß. Die zwölf Paladine
blieben eine Weile stumm und betroffen. Kaiser Karl brach
zuerst das Schweigen.

„Genossen," sprach er, „es ist wahr, wir haben verwegen
gescherzt. Und vielleicht sprachen wir Dinge, die mir besser ver-
schwiegen hätten. Wir haben zuviel Wein getrunken und der
Weisheit ermangelt. Mich trifft die größte Schuld, denn ich
bin Euer Kaiser und gab Euch ein schlechtes Vorbild. Morgen
will ich mit Euch ratschlagen, wie wir uns aus dieser Fährnis
befreien; inzwischen geziemt es sich uns, zu schlafen. Ich wünsche
Euch gute Nacht. Gott schirnre Euch I"

Einen Augenblick darnach schnarchten der Kaiser und die
zwölf Paladine unter ihren goldenen und seidenen Decken.

Des Morgens erwachten sie mit noch wirrcnr Geist und
wähnten geträumt zu haben. Doch alsbald kamen Reisige und
holten sie ab und führten sie in den Palast, auf daß sie dort
vor dem König von Konstantinopel ihre Scherze ausführten.

„Wohlan!" sprach der Kaiser. „Wohlan! lind beten wir
zu Gott und seiner heiligen Mutter. Mit Hilfe der Jungfrau
Maria werden wir unsere Scherze leicht nusführen."

Und mit übermenschlicher Majestät schritt er voran. Zum
Königspalast gelangt, knieten Karl der Große, Naiins, Aimer,
Hüon, Doolin, Wilhelms Oger, Bernhard, Reinhard, die beiden
Gerhards und Roland nieder und beteten mit gefalteten Händen
also zur heiligen Jungfrau:

„Mutter Gottes, die Du im Paradiese bist, blick auf uns
hernieder in unsrer großen Not.

Aus Liebe zum Königreich der Lilien, das ganz Dein ist,
schirme den Kaiser der Franken und seine zwölf Paladine und
verleih ihnen die Kraft, daß sie alle ihre Scherze ausführen."

Dann erhoben sie sich, gestärkt und glänzend von Mut und
von Kühnheit; denn sie wußten, daß die Jungfrau ihr Gebet
erhört hätte.

König Hugo saß auf seinem Throne und sprach: „Die
Stunde ist da, Eure Scherze auszusllhren. Und so Ihr es nicht
vermögt, laß ich Euch köpfen. Gehet denn sogleich, von meinen
Reisigen geleitet, ein Jeder zu dem Orte, der nötig ist, um die
schönen Dinge zu tun, deren Ihr Euch so unverschämt rühnitet."

Auf dieses Geheiß zerstreuten sie sich, von kleinen Hausen
Gewappneter gefolgt. Die Einen gingen in das Gemach, da in
sie genächtigt, die Andern in die Gärten und Obstgärten. Bern-
hard von Brabant begab sich zum Flusse, Roland stieg auf die
Wälle, lind alle schritten tapfer fürbaß. Nur Olivier und Kaiser
Karl blieben im Palaslc zurück und harrten, der Eine des
Ritters, den er in zwei Stücke zu hauen gcschivorcil, und der
Andre der Jungfrau, die er heiraten sollte.

Nach kurzer Zeit erscholl ein furchtbares Getöse, dem ver-
gleichbar, das den Menschen das Ende der Welt ankündigen
soll, bis in den großen Saal des Palastes hinein, also daß die
rubincnen Vögel auf ihren smaragdenen Zweigen und König
Hugo auf seinem Throne erbebten. Es war ein Getöse voir
stürzenden Mauern und brüllenden Fluten, übertönt von einem
zerreißenden Hornstoß. Derweilen kamen Boten aus allen Ecken
der Stadt herbeigeeill, warfen sich zitternd dem König zu Füßen
und brachten seltsanic Kunde.

„Herr," sprach einer voir ihnen, „sechzig Ellen der Wälle sind
mit Einem Schlage gestürzt."

„Herr," sprach ein Andrer, „die Sälile, die Euren gewölbten
Saal trug, ist geborsten, und man sieht, wie die Kuppel gleich
einer Schildkröte zuni Meere geht."

„Herr," sprach ein Dritter, „der Fluß mit seinen Fischen und
Schiffen strömt durch die Straßen und brandet gegen die Mauern
Eures Palastes."

Bleich vor Entsetzen murmelte König Hugo:

„Bei meinem Glauben, diese Menschen sind Zauberer."

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