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Willi Geiger (München)

Der Kritikerpms

Der Verein für literarische Kritik in Paris hatte
vor einiger Zeit einen Iahrespreis von tausend Francs
für den besten Kritiker gestiftet.

(!) sei uns gegrüßt! wir ersehnten dich heiß,
Du Preis der Preise, du Rritikerpreis!

Die Künstler, die Dichter, die Kapazitäten
Von allen gelehrten Fakultäten,

Die Schützen, die Turner, die Reiter,

die Schwimmer,

Die schönen Autel und Frauenzimmer,

Die Pferde, die Hunde, die Schweine, die Ochsen,
Und die, welche ringen, und die, so da boxen,

Sie alle fanden den ehrenden Lohn:

XXuv wir, wir gingen leer davon.

Ja, man benützte uns hingegen,

Auf Andre zu lenken den KlimpersegenI

VTun aber kam aud> uns' re Zeit —

Es gibt noch eine Gerechtigkeit!

Und weil wir so lange nicht waren bedacht,
VVird's uns besonders leicht gemacht!

wer immer im (Qualm und blauen Dunst
Hochhält die Forderung der Kunst,

Doch auch dem blauen Dunst und (Qualm
Begeistert singt einen Iubelpsalm:

wer immer standhaft und gerecht
Verdammt, was töricht, matt und schlecht,

Doch auch mit liebevollem Schmücken
Jedwedem Stümper baut die Brücken:

wer immer übt den Seelenadel,

Daß keiner weiß: ist's Lob, jst's Tadel?

wer wahr sein und doch flunkern kann
2lls völlig unparrei'scher Mann:

wer, ob ihn gleich die Hölle brennt,

Die Dinge nie beim Noamen nennt,

Und, falls ihm nichts zu rühmen bleibt,
Entzückend über sich selber schreibt:

Der wird jetzt König mit Krön' und Schweif,
Ist für die Prämiierung reif!

O sei uns gegrüßt! wir ersehnten dich heiß,
Du Preis der Preise, du Kritikerpreis I

Criticus

Screlsilchter der „Jugend"

Unsere Herren Japaner

Tagtäglich streifen-wir sie: — auf der Straße,
in der Trambahn, im Lase. Sie sind reserviert
und wir nicht aufdringlich. So machen wir
nur selten Bekanntschaft. Höchstens gelegentlich

einmal, in der weltbürgerlichenALmosphäre eines
mondänen Salons.

Der Hausherr stellt sie uns vor: Herr Hi—

Ha—Hu,-Herr Hu—Ha—Hi-, oder

so ähnlich, 's ist gleich. Wir merken's uns
doch nicht.

Der Genannte schnellt von seinem Stuhl,
just wie der bekannte Hampelmann aus der
Schachtel, verbeugt sich zeremoniell und lächelt
verbindlich. Wir tun unwillkürlich das Gleiche.
Da wird sein Lächeln breiter, noch verbindlicher.
Krampfhaft halten wir an uns; schier möchten
wir auflachen! Denn was wissen wir von
nüancierter Höflichkeit, — wir Barbaren! Unser
Gegenüber ist taktvoller. Vermutet hinter der
verzweifelten Komik unseres Mienenspiels eine
besondere Gunstbezeigung; — und erwidert diese
mit ostentativem Nachdruck. Nun grinsen wir
also beide. — So höflich ist man im Lande
der Chrysanthemen!

Aber es sind wirklich nette Kerlchen. Machen
nicht ab Mitternacht stundenlang vor unfern
Fenstern Radau; tragen weder Läuse noch
Bomben mit sich herum. Sind kein „slova-
kisches" Schmarotzgelichter am goldenen Herde
internationaler Gastlichkeit. Wissen sich zu be-
nehmen wie wohlerzogene Söhne aus altem,
vornehmem Geschlecht; kleiden und gebärden
sich nach des Gastgebers Brauch und Sitte,
gleich Fürsten, die zu Fürsten kommen: tragen
Gehrock, Krawatte und Weste neuester Fa^on,
— und auf den Zügen jenes rätselvoll liebens-
würdige Lächeln, das uns bestrickt und ver-
legen macht.

Merkwürdige Kerlchen! Sehen wie „mas-
kiert" aus: — Wachspuppen, die mit borstigem
Schnurrbart und einladendem Lächeln im Schau-
fenster der japanischen Nationalfirma stehen;
keine Individuen, sondern Repräsentanten der
Rasse; „Masken" mit generellem Grundtyp. - So

sehen wir sie, und sie uns nicht minder. --

Fremde Welten, die sich ineinander spiegeln.
Weil sie das „Fremde" sind, interessieren sie.
Schöne Damen, unserer Salons stolze Prin-
zessinnen, finden sie „nett" und „drollig" und
verhätscheln sie wie Wunderkinder, mütterlich
schier — und ein bischen pervers zugleich-.

Wir kommen mit dem einen ins Gespräch.
Heißt er Hi—Ha—Hu — —, oder Hu—Ha

—Hi-? Ist er Gesandtschaftsattache, oder

Bankvolontär, oder Ingenieur, oder Militär-
arzt? Was tut's? Für uns ist er — Japan.
Wie's ihm bei uns gefällt?

Oh, Oh, ganz ausgezeichnet!

Und er erzählt gebrochen, im Fistelton, immer-
fort lächelnd.

Kürzlich ist er hergereist. Und erbrach vom
goldenen Buche unserer Kultur doch bereits
das siebte Siegel. Kein Geheimnis gibt's da
mehr für ihn. Wagner und Nietzsche, Harden
und Bülow sind ihm gleich vertraut; Graf
Zeppelin begeistert ihn, und in den Kulissen
der europäischen Diplomatie weiß er nicht
minder Bescheid, als in denen des Münchner
Faschings.

Wir staunen. — Aber in Japan drüben,
werfen wir ein, müsse es doch auch schön sein!
— So lasen wir bei Pierre Loti, bei Lafcadio
Hearn. Und lockende Bilder steigen auf aus
Erinnerung und Traum: Chrysanthemengärten
und Blumenboote, niedliche Häuschen mit bunten
Wänden und zierliche Geishas, holde Stegreif-
sängerinnen süßester Lieder, die der Blumen
symbolische Sprache verstehen und der Tee-
bereitung altehrwürdigen Ritus. — — Aber
sag', ist's wahr, daß diese Märchenwelt versank?
Daß eure Städte steinern wurden und fieberhaft
geschäftig wie die unfern, und euer strahlender
Himmel von qualmenden Schloten verdunkelt?
Daß die lieblichen Vestalinnen heimischen Kultes
in die Teehäuser der Häfen sich verdingten,
und käuflich wurden für fremdes Gold?-

Stumme, unausgesprochene Fragen, auf die
wir etwas von einer Antwort lesen möchten in
den Augen, die uns unverwandt ansehen, auf
dem Gesichte, das uns unbeirrt zulächelt: —
eine flüchtige Spur vom verzweifelten Todes-
kampf ehrwürdiger Traditionen, den wir in der
Seele ahnen, die schweigsam dahintersteht.

Doch da regt sich kein Zug, da zuckt kein
Funke; — nur das Lächeln ruht auf uns, wie
versteinert: Da spüren wir bang: dies stereo-
typische Lächeln hütet ein tragisches Geheimnis.
Es ist nicht Verbindlichkeit. Vielleicht auch
nicht Verachtung.

Aber es ist Distanzbedürfnis. „Rühr' mich
nicht an," heißt es, „deine Welt ist vielleicht
silbern, aber die meine ist lauteres Gold!"

Der Ausspruch ist authentisch, — und typisch
zugleich. Er ist Japans stolz lächelnder Glaube
an sich selbst, — aller „Modernisierung" zum
Trotz. — — Hörtet ihr sie einmal ihre National-
hymne singen, das uralte „Kimi ga yö wa“?

Jäh schnellen die Kerlchen von ihren Sitzen
empor, die kleinen Augen voll blitzender Tücke.
Der Moment ist symbolisch: — So kühn und
ungeahnt schnellte vor ein paar Jahren Jung-
Japan aus der Versenkung weltferner Ver
schollenheit. So stehen sie da, aufgereckt, wachsend
mit der seltsamen Melodie. Jeder trägt in sich
eine starke Zuversicht, ein hohes Ziel, einen
heiligen Glauben: — Japan! Und ist bereit,
sich lächelnd dafür den Leib zu schlitzen. „Hara-
kiri" heißt das im stolzen, strengen Sittenkodex
„6u-8d!-äo". So stirbt Alt-Japan. Ins märchen-
hafte Stalaktitengewölbe seiner Kultur drang
der Strahl europäischer Sonne und scheuchte
das Geheimnis glaubensstarker Instinkte. Iung-
Iapan aber ahnt, daß dies das Licht ist, das
die Welt beherrscht. Und Iung-Iapan will
leben, — herrschen! Oeffnet weit das Tor seiner
Verschlossenheit und sendet seine besten Söhne
hinaus, die fremde, sieghafte Kraft heimzubringen.
Ein Danaergeschenk voll Tücke. Was tut's?
Troja mußte vergehen, damit Rom entstehe!
So mordet Japan sich selbst: — lächelndes,
tragisches „Harakiri" voll der starken Zuversicht,
daß es neu und größer erstehen werde.

Und jeder möchte so ein kleiner Aeneas sein! —
Verwegene Kerlchen, unsere Herren Japaner!

Rene prevot (München)
Register
René Prévot: Unsere Herren Japaner
Willi Geiger: Querleiste
Criticus: Der Kritikerpreis
 
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