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Nr. 28

JUGEND

1909

Blond wird unmodern!

O ihr Gretchen, Lieschen, Tuschen, Klärchen
Mit den seidnen, krausen, blonden Härchen,
Die der Dichter stets begeistert pries:

Stimmt mit ein in diese Tränenode
Biedermeiers: Blond ist nicht mehr Mode!
Sagt die jüngste Meldung aus Paris!

Milliarden weißer Perlenzähne
Werden knirschen; zornig wird die Träne
In Millionen Veilchenaugen steh'n;
Hunderttausend sanfte Rosenwangen
Werden glühend, wie Päonien, prangen —
Und das Gräßliche wird doch geschehen!

Bald wird Euer Haarwuchs sich verdunkeln
Zu dem Schwarz, drin blaue Lichter funkeln,
Zu dem Schwarz der rabenschwarzen Nacht —
Ganz wie erst mit Wasserstoffoxyden
Sich die dunklen Frau'n im Nord und Süden
Ihre Locken weizenblond gemacht!

Schnöde Willkür hat das Blond verboten —
Schlichtes schwarzes Haar in Griechenknoten
Will Paris, wo der Geschmack verderbt —

Ob die Haut blondsamtig, weich und licht ist,
Blau das Aug' wie ein Vergißmeinnicht ist —
Schwarz wie Wichse wird das Haar gefärbt!

Blond l Der Inbegriff von dem, was wonnig,
Weiblich, lieblich, mollig, mild und sonnig,

Lag im Worte „blond" schon überhaupt;

Ein Symbol der deutschen Frauenpsyche
War die Blondheit — tiefgefühlte Flüche
Treffe Jene, die sie uns geraubt!

Doch man muß sich mit dem Trost bescheiden:
Wenn die Frau'n sich noch so töricht kleiden —
Just die Torheit kleidet sie gar nett!

Ja, wir müssend dulden ohne Wimmern,
Wenn das Haar noch bei den Frauenzimmern
Zeisiggrün wird, oder violett!

Biedermeier mit el

Des Junkers Weizen

Das war da drüben im Elsaß und
zur Zeit der deutschen Reichstagswahlen.
In einem Schuppen saßen zwei Bauern
und zogen Tabakblätter auf Schnüre,
um sie nachher oben in der luftigen
Scheune aufzuhängen; daneben standen
drei andere, rauchten und sahen zu.

Da kam eine fremde Frau des Weges
daher.

„GutenMorgen, Sandleute," sagte sie.

„Bon jour,“ sagte einer, machte aber
dabei den Mund nur so weit auf, daß
ihm die Pfeife nicht heraus fiel; er
hätte die Hände aus den Taschen neh-
men müssen, wenn er anders hätte
sprechen wollen.

Die andern sahen die Fremde bloß
halbwegs von der Seite an, sprachen
nichts und ließen sich nicht in ihrer
Tätigkeit stören.

„wollt Ihr nicht wählen gehen?"
fragte die Frau.

„Aha, doher pfift der wind us some
prüßische Schilderhüsli, no, Madame,
rnerci beaucoup, aber wenn Se Wahl-
zettel bi sich hen, mer ka so ebbes sunst
brüche, wenn ma allei isch."

Ein schmerzhafter Zug glitt über den
schönen Mund der fremden Frau. Sie
hatte es so ehrlich gemeint und wurde
so sehr mißverstanden. Sie drehte sich
um und ging hinaus.

Die Bauern sahen ihr nach.

„Ketsch ihr doch en Holzschüehle an Grind
geschmisse," sagte jetzt ein Anderer.

Sie hörte es glücklicherweise nicht mehr.

Sie ging weiter durch die deutschen Sande
über den Rhein und direkt in die Schwarzwald-
berge hinein.

In einem großen Wald traf sie eine Anzahl
Holzhacker, die gerade um ein Feuer saßen und
ihr Kirschwässerchen schlürften.

Es waren starkknochige, große Menschen von
langsamer, kerniger, allemannischer Mund- und
Denkungsart, wie man sie am Oberrhein und
auch in der Schweiz oft findet.

„warum seid Ihr nicht wählen gegangen?"
frug sie, „heut ist doch Wahltag."

Die Männer waren sehr erstaunt; Besuch da
draußen im Walde ist selten und dann besonders
selten Besuch von so wohlgebauten Frauen.

Eurer sagte: „Io, sell scho, aber mer hen
ke Zit."

„wenn Se nit Bescheid tue?" frug der andere
freundlich und hielt das Kirschwafferpudelchen hin.

Die Frau schüttelte den Kopf.

„warum habt Ihr keine Zeit?" frug sie.

nZ°> gsehn Sie, de ganz Wald müen mer
abhaue."

„So, so," sagte die Frau und dann ging sie.

Als sie schon weit weg war rief ihr Einer
nach: „He! He!"

Sie hörte nicht mehr.

„Es isch bi Gott eh suberes wibsbild," sagte
er zu den Anderen. Die Andern meinten das auch.

Indessen ging die Frau weiter über die Schwarz-
waldberge hinweg über die rauhe Alp und kam
ins obere Neckartal in ein kleines Städtchen.

Da war so ein kleiner Kaufladen, wie sie
überall in kleinen Städten sind.

Der Kaufmann, ein Mann so in den Vier-
zigern, ziemlich klein und rundlich, mit einem

Moralische Entrüstung

„Entsetzlich, die nackten Beine dieses Mädchens

dazu so mager!"

Und noch

Paar recht klugen Aeuglein, einem schwarzen
Schnurrbart, stand hinter einem Stehpult und
schrieb eifrig.

„was wünsche Se?" frug er die Fremde.

„Es ist Wahltag heute zum Reichstag."

„Io, jo," sagte der Kaufmann und seine Frau,
die noch rundlicher war und gerade die Wage
scheuerte, sah auch auf.

„Ham Se Broschürle zu verteile, oder was
Ham Se?"

„Ich wollte Sie bloß daran erinnern," sagte
die Frau, „Sie haben Ihre Stimme noch nicht
abgegeben."

„Io, jo, i bin froh, wenn i moi Seif und
moi Haarpomad verkaufe ka, der deutsche Reichs-
tag is mir wurscht."

„Aha," dachte die fremde Frau und ging
wieder. Als sie draußen war, meinte die Kauf-
mannsgattin, die ihr nachgesehen: „Du, Friedrich,
i gloub allewoil, das isch e loichts Frauenzimmer."

Die fremde Frau ging fort aus Schwaben und
in das Bayerland hinein.

Und nun wollte sie es einmal in einer großen
Stadt versuchen mit ihrem Mahnruf, und sie
kam nach München.

Um einen Tisch saßen eine Anzahl Männer
in regem Maßkrug- und mäßigem Gedankenaus-
tausch.

Da ist man gewöhnt, daß fremde Frauen
kommen, wenn man so beim Bier sitzt. Die Einen
handeln mit Bretzeln, die Andern mit Radi, die
Dritte bietet eine Zeitung an u. s. w. Gewöhn-
lich sieht man nur hin, wenn man für das Eine
oder für das Andere Bedarf hat.

„Ich möchte die Herren daran erinnern," be-
gann die Fremde —

„VOas hams z' verkaafa?" sagte Einer, ohne
aufzusehen.

„Ich möchte bloß daran erinnern, daß heute
Wahltag ist. Die Herren haben ihre Stimme noch
nicht abgegeben I"

„Ach was, unser' Ruah woll'n ma Ham!"

„Nun ja", dachte sie, „es ist alles
umsonst."

Und dann ging sie fort nach Norden.
Und erst in einem preußischen Guts-
hof ging sie wieder hinein.

Es war immer noch am vormittag,
so etwa zehn Uhr. Im kos waren
nur Mägde. Der einzige Mann, der
da war, saß auf einer Veranda und trank
den Morgenkaffee.

Sie ging hin. Es war der Guts-
besitzer Junker von Plitzwitz.

„Morjen, morjen," sagteer, „Tasse
Kaffee jefällig?"

„Ich möchte den Herrn bloß daran

erinnern, daß heute-"

„weiß schon, weiß schon, wahltach
ist heute, habe meine janze Bagasche
schon ins Wahllokal fahren lassen. Man
muß die Kerle zusammen halten; den
richtjen Stimmzettel Hab ich ihnen schon
injesteckt."

„So," sagte die Frau, „dann ist es
ja gut" und ging.

Gut war's auch, für den Junker
natürlich, der Reichstag wurde gewählt
auch ohne die, welche keine Zeit halten.

Aber als dann die Bier-, Tabak-,
Kirschwasser- und Seifensteuer u. s. w,
aufgebrummt wurde, da machten sie
ein heilloses Geschrei. Der Tabak-
bauer, der Holzknecht, der Kaufmann,
der Biertrinker räsonnierten, protestier-
ten, gründeten Hansabünde u. s. w. —
— und mußten bezahlen.

Der Junker aber schmunzelte und
rieb sich die Hände.

so/' sagte er, „janz jut so."

Fritz Sänger

Kainer

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Register
Ludwig Kainer: Moralische Entrüstung
Biedermeier mit ei: Blond wird unmodern!
Fritz Sänger: Des Junkers Weizen
 
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