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Der Stein der weisen

Geisterbeschwörung von Frank wedekinö

Meinem Lehrer Friedrich BasLI
in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet

(Sowohl Ruffüörungs* als Nachdrucks^ und Ueberfetzungsred)t Vorbehalten. Den öüljnen gegenüber Manntlnlpt.)

Fritz Erler

Personen:

Pater Porphyrion, ein Dominikanermönch,

Basilius Valentinus, ein Nekromant,

Leonhard, sein Famulus,

Kun; von Blutenburg, ein fahrender Schüler,
Lamia, eine Geistererscheinung,

Guendolin, ein Narr.

Szenerie:

Ein Turmgemach. Durch die offenen Fenster sieht
man den sonnigen blauen Himmel. In der (vom
Schauspieler aus) rechten Ecke hinten befindet sich die
Eingangstür. In der Mitte des Gemaches steht ein
vierkantiger Tisch, von drei hochlehnigen Sesseln um-
geben. Links davon eine Ottomane. Vor der Ottomane
ruht auf einem Fußgestell ein großer Himmelsglobus.
Auf dem Tisch steht ein Quadrant. An der Wand
hängen eine Armbrust, eine Peitsche und eine Laute.
Im Hintergrund ein Juwelenschrein.

I. Huftritt

Basilius Valentinus sitzt, in einen Folianten ver-
tieft, am Tisch. Leonhard kauert auf der Ottomane
und ist damit beschäftigt, auf dem Himmelsglobus
mit einer Neisbürste die Sterne blank zu putzen.

Leonhard:

Ochsen, schanzen, pauken, büffeln,

So am Tag wie bei der Nacht!

Mit den Tafeln, mit den Griffeln
Wird das Dasein totgemacht!

Aus den Pergamenten schnüffeln
Tausendjährige Niedertracht!

O verfluchter Weltenhimmel!

O verdammtes Sterngewimmel!

Welch ein Lohn wird mir dafür,

Daß ich all die Iugendjahre
Nichts als Schabernack erfahre,

Deine fahlen Lichter Dir
Immer wieder leuchtend fege!

Wenn ich nachts zur Ruh mich lege,

Nah'n sich weibliche Gestalten.

Ach wie wünscht ich sie zu halten,

Sie zu küssen! — Wisch dein MauN
Tröste Dich am eigenen Leibe!

Pfui! Bei solchem Zeitvertreibe
Wird die Seele dumpf und faul!

Basil:

Geh doch, wohin Du willst!

Leonhard:

Hinaus?! Mit tausend Freuden,

Hieltst Du mich nicht, Du Ausbund aller Heiden!
Im Lenz sucht ich zum letztenmal zu fliehen.
Kaum war ich vor dem obersten Tor,
Pfauchten schon Flammen vor mir empor,
Blau und grün.

Ich prüfte nicht lange, wie heiß sie sind,
Stürzte mich in die lodernden Flammen
Und sank auf den Steinen zusammen.

Ich war blind.

Als ich zum erstenmal von hier entfloh,
Schlangen die Büsche
Die langen Ranken
Vor meinem Gesicht ineinander.

Wie oft ging's später dem Knaben so!
Salamander,

Mit giftigem Gezische
Lähmten meine Gedanken.

So sterb' ich als Dein Sklave langsam hin,
Wenn ich Dir nicht noch etwas Schlimm'res bin!

Basil:

Was meinst Du, sprich?

Leonhard:

Warum kleidest Du mich
In solch ein schwarzes Gewand
Mit weißen Zacken
An Knien und Händen?!

§ch Hab' Dich längst erkannt:
iebesnot sitzt Dir im Nacken,

Weiß nicht, an wen sich wenden,

Und martert Dich fürchterlich!

Drum schmückst Du mich wie einen

gezähmten Affen.

So haben die Augen doch wenigstens

was zu begaffen!

Basil:

Ich bin ein Bettler.

Leonhard:

Du hast die Mandragora!

Ich weiß es, ob ich sie gleich niemals sah.
Wenn ich an diesen einzigen Schatz nur denke,
Mir schwindelt schon! Wer gibt nicht

Hab' und Gut,

Nicht allen Reichtum hin für Liebestränke,

Für Iugendkraft in mattem Greisenblut!

Und dann der Stein der Weisen, und
Des großen Salomons gewaltiges Siegel!

Und dabei lebt man wie ein Hund,

Von frühester Kindheit auf nur Prügel,

Sobald ein Vers, ein Bannfluch, den Du fand'st,
Nicht fehlerfrei mir von der Zunge tanzt!

Im Keller unten liegt das Gold in Haufen,
Um ganz Europa damit anzukaufen.

Was Wunder, da sich Schmutz und Kot
Auf Dein Geheiß in Gold verwandelt!

Und Du lebst wie in Hungersnot,

Hast keine Freunde, keinen Schatz.

Ich wahrlich hätt' an Deinem Platz
Längst mit der schönsten Fürstin angebandelt.
Du hast Dir keine Kuhmagd noch erhandelt,
Seit mein Gedächtnis wach, seit ungestillter Drang
Mir Iugendlust und Lebensglück verschlang!

Basil:

Schweig doch!

Leonhard:

Teufel, ich kann das nicht länger ertragen!
Wetter und Hagel, jetzt bin ich es satt!
Weisheit, wie liegst du mir quälend im Magen!
Krumme Retorten, euch werd' ich zerschlagen!
Himmelsgewölbe, dich tret' ich noch platt!
Man lernt und lernt, und kein Genuß davon,
Kein Fest, kein Lachen und kein Liebeslohn!
Der Strolch in Lumpen ohne Stock und Ranzen,
Des Nachts kann er doch unterm Galgen tanzen!
Der Knecht hat seinen Feiertag,

Und seine Kirchweih hat der Bauer.

Doch was war meiner Weisheit Glücksertrag?
Ich kenne nichts als ihre grausen Schauer!

(Man hört klopfen vom Tor herauf)

O Du mit Deinem Schädel, außen Stein
Und innen schubfachmäßig ausgetäfelt.

Dein Herz zuerst geteert und dann geschwefelt —
Vielleicht tränk ich es dir noch einmal ein.
Was Du an meiner Jugend hast gefrevelt!

Bafil:

Es klopft! Wer ift's?

Leonhard (fchaut durchs Fenster hinunter):
Der Teufel, so Gott will! —

Vorm unteren Tore hält ein Reiter still.

Es ist ein Pater. Jetzt hebt er den Blick.
Jetzt streift er die Kapuze ins Genick.

Derselbe Pater, schau, der mit Beschwörung
Für Obdach sich bedankte und festliche Zehrung!

Lasil:

Befiehl dem Tor, sich vor ihm aufzutun!
Leonhard (ruft):

Bleibet, ihr Balken,

Wachsam wie Falken!

Schützet, ihr Ketten,

Friedliche Stätten!

Hat euch, ihr Kloben,

Je Einer ausgehoben?

Und Ihr, getreue Riegel,

Oeffnet die schweren Flügel!

Basil:

Du bist ein Weltkind !

Leonhard:

Gott sei Dank!

Wie lechz'ich nach des Lebens Göttertrank!

Basil:

In Deinem Kopf enstand ein anderes Bild
Vom Dasein, als ich es in meinem finde.

Ich stieß auf nichts als Schlünde, als Abgründe.
Keinerlei Sehnsucht ward je gestillt.

Frag' mich, wie Liebe zu erzwingen ist?

Nur durch List!

Bei wem sich Ruhm, bei wem sichReichtum häuft?
Einzig bei dem, der nie nach ihnen greift,

Der immer lieber sich der Last entwindet,

Sein Glück wo anders sucht, vielleicht auch findet,
Denn in der Mitte zwischen Langeweile
Und Uebermüdung liegt der Menschen Glück.
Für den Gelangweilten ist jede Arbeit
Genuß, wie denn auch für jeden Müden, jeder
Genuß zur Arbeit wird.

(da an die Tür geklopft wird)

Tritt ein, mein Freund!

II. Huftritt

Pater Porphyrion, ein Dominikanermönch, tritt ein.
Porphyrion:

Gelobt sei Jesus Christus!

Basil (geht ihm entgegen und umarmt ihn):

Liebster Bruder!

Komm an mein Herz!

Porphyrion:

Gelobt sei Jesus Christus!
Basil:

Komm an mein Herz! Wir schieden neulich nicht
Ganz freundschaftlich, und doch erklimmst

Du wieder

Den steilen Felspfad. — Dafür dank ich Dir! —
Flugs, Leonhard, zum Keller und kredenze
Uns einen kühlen Trunk Liebfrauenmilch!

Wir wollen festlich fein! — Komm, setz' Dich,

Bruder l

(Leonhard ab.)
Register
Fritz Erler: Titelrahmen zu "Der Stein der Weisen"
Frank Wedekind: Der Stein der Weisen
 
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