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Julius Diez (München)

Jd) zünde meine weißen Kerzen an

Ost, aus der Welt noch an mein lauschend Ohr,
Dringt Degenklirren wutentbrannter Fechter.
Ein Schrei, ein Aechzen, wildes Hohngelächter
Gellt ans den Tiefen bis zu mir empor.

Nachtvögel spür ich noch zur Abendzeit
Die schwarzen Schwingen an mein

Fenster tragen.

Geduckte Schatten von vergangenen Tagen
Entwachsen neu dem Schoß der Dunkelheit.

Ich zünde meine weißen Kerzen an — —
O Friedenslicht, das tröstend mich umbreitet!
Gleich goldenen Wunderinseln gleitet, gleitet
Dein süßer Schimmer auf dem Ocean

Der Finsternis. In diesem reinen Glanz
Ertrinken Klang und Schrei und Schreckgesichter.
Die Muse neigt sich ihrem jungen Dichter
riiit) aus den Fernen schwebt ein grüner Kranz.

Suete Masse

Oie Verge

Dort Adolf Walter

Er starb an einem Lungenleiden. An Trauer-
gästen fanden sich ein paar Kameraden und ein
Offizier seiner Abteilung in der kleinen Spi-
talskapelle ein. Nachdem der Kurat die Zere-
monie beendet hatte, schob man den Sarg in
den schmucklosen Leichenwagen und bald war
der zum Tor hinausgerasselt.

Der Leutnant trug gemessene Trauer zur
Schau, seufzte einige Male tief auf; er hielt die
Lippen aneinandergepreßt, die Mundwinkel ein
wenig tief gezogen und sah starr vor sich hin.
Dann grüßte er kurz und schritt dem Tor zu.
Es war gut so, dachte er. Ich habe mir nichts
vergeben. Die schuldige Trauer .. . Trauer? —
Doch, doch. Er war mein Untergebener. Ein ge-
horsamer Untergebener, dieser Mirko Nikolitsch.
Ich habe ihn nie sprechen gesehen. Eine stille
Natur. In sich gekehrt. — Wie sah er nur
aus? — Groß und breitschultrig und . . . Ge-
sicht? — Seltsam. . . ich kann mich nicht mehr
entsinnen. Sehen fast alle einander ähnlich,
diese Leute. Schade um die verlorene Stunde!
Ich hätte sicher drei 86t geschnitten! — War
übrigens nicht umsonst. Man steigt im Ansehen
der Burschen, — sie denken: Das ist schön vom
Herrn Leutnant, daß er gekommen ist. Er würde
zu meinem Begräbnis auch erscheinen. Ich werde
von morgen an besser achtgeben beim Exerzieren.

Der Offizier entnahm selbstzufrieden seiner
Zigarettentasche eine Bosnische und prüfte ein-
gehend die vielen Mädchen und Frauen, die
teils von der Stadt her spazierten, teils ge-
schäftig dem Zentrum zueilten.-

„Mirko Nikolitsch ist tot," murmelte der
lange Korporal, „warum hat er sterben müssen?"

„Du hast ihn von Jugend auf gekannt,
Sacie, nicht?"

„Wir sind aus demselben Dorf. — Wir
waren beide Jugendfreunde."

„Er ist besser dran als wir."

„Er ist gut aufgehoben."

Die drei gingen mit gesenkten Köpfen und
wichtigen Mienen das Trottoir der belebten
Straße entlang.

„Ich möchte am liebsten diese Dinger mit
Steinen beschmeißen," grollte plötzlich Sacie,
„diese Stinkwagen". Er wies auf ein Automobil.

„Da würden sie Dich einsperren. Besser wär's,
in der Nacht die ganze Stadt anzuzünden."

„Warum?" fragte kleinlaut Milotin, der
Rekrut.

„Warum? — Warum? — So. . . das ver-
stehst Du nicht! Bist noch zu grün dazu."

„Da müßten ja alle zugrunde gehen?"

„Und? — Das sollten sie ja. Alle. Ohne
Ausnahme!"

„Was haben sie Dir getan?"

„Sie töten uns. Sie haben Mirko Nikolitsch
gemordet."

„Ah, Du hast wohl auch gehört, wie der
Hauptmann letzthin gesagt hat, wir gehen am
Klima zugrunde."

„Das sagen alle. Auch die Aerzte. Und
doch ist's nicht so. Wir sterben am Heimweh."

„Unsere Berge. . ."

„Ihr habt ihn nie recht erkannt, den Toten.
Weil er schweigsam war. Ich Hab' mit ihm ge-
sprochen, in der letzten Stunde."

„Er hat Dir für die Kompagnie einen Gruß
aufgegeben?"

„Nein. Für niemanden. Die Berge soll ich
grüßen von ihm und die Narenta."

„Und Du?"

„Ich werde es ausrichten."

„Wenn Du frei kommen wirst, nächstes Jahr-"

„Früher schon, viel früher."

„Wie?" Und die zwei anderen waren stehen
geblieben und starrten ihn mit offenem Mund
an. Dann sagte Milotin und sah dabei zu Boden:

„Du — Du bist schon Korporal und wirst
Führer werden. . ."

„Trotzdem, Milotin, trotzdem. Eines Morgens
werdet Ihr aufwachen und Sacie wird fehlen.
Ihr werdet exerzieren und wieder die Menage
kriegen und Sacie wird noch immer nicht da
sein. Dann werden sie Patrouillen schicken, die
werden ohne Sacie zurückkommen."

„Du hast kein Geld!"

Da lachte Sacie. Und die anderen lachten
dann gleichfalls begreifend.

„Sie gibt mir jeden Samstag einen Gulden.
Den heb' ich mir auf."

„So eine Köchin möcht' ich auch haben,"
murmelte Milotin.

„Ich schenk' sie Dir," sprach geringschätzig
Sacie und warf dem Rekruten einen Blick zu,
der die aufsteigende Freudenröte auf dessen
Milchgesicht gar schnell verschwinden ließ. „Mehr
verlangt Ihr nicht: — Schlafen, Essen und eine
Köchin, die Euch ein warmes Nachtmahl aufhebt."

„Nein, nein," beeilte sich Milotin zu ver-
sichern, „mehr nicht, mehr nicht."

Sacie war still geworden und die Drei
schritten nun so nebeneinander her und dachten
ein Jeder an das, was ihm am liebsten dünkte:
Milotin, der Rekrut, an die Köchin, der andere an
seinen Strohsack. Sacie aber sah seine Berge. —

Laut stießen die Narentawellen an die stei-
nigen Ufer. Es klang wie ein Trutzlied. Ueber
den kahlen Felsbergen stand die Sonne und
bleichte das Blau des Südhimmels zu flim-
merndem Weiß.

Zwei Männer stiegen im mäßigen berg-
gewohnten Schritt den Höhen zu.

„Ich fürchte, Sacie, die Gendarmen!"

Der lachte: „Die —"und war dann wieder tief-
ernst. „Wann werden wir die Höhle erreichen?"

„Bald, Sacie, in einer Stunde."

„Dann bin ich sicher. Dorthin versteigt sich
keiner von den Schleichern."

Da klang's vor den Wanderern: „Halt!"
Und ein Gewehrlauf blinkte in der Mittagssonne.

Sacie drückte die Pistole seines Begleiters
nieder: „Laß. Ist unnütz." Und zum Gen-
darmen: „Ich komme. Ich fliehe nicht."

„Der andere muß dort bleiben."

„Ja. Bleib', Mirko."

Er trat auf den Gendarmen zu. Der holte
die Fessel hervor. Sacie hielt die Hände hin.
Er streckte sie ihm entgegen und — fuhr ihm
blitzschnell an den Hals.

Der Gendarm schlug mit den Füßen um
sich, sein Widerstand wurde schwächer und
schwächer, er war tot.

Inzwischen kam der Begleiter heran.

„Du hast ihn ermordet!"

„Ermordet? — Ja — und doch — Du kannst
nach Hause gehen. Du hall nur zu schweigen
— geh ... ich danke Dir."

Und Sacic warf keinen Blick auf den Toten,
er wandte das Antlitz dem Berg zu und schritt
mächtig aus. Sein Auge glänzte, er murmelte
vor sich hin: Hab' ich Euch wieder, Hab', ich
Euch wieder.. Der Nikolitsch läßt Euch grüßen ..
Ihr Lieben. . . Ich bin wieder bei Euch. . .

Und er war hoher Freude voll.
Register
Grete Massé: Ich zünde meine weißen Kerzen an
Adolf Walter: Die Berge
Julius Diez: Pegasus
 
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