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Mentors Rar

Bedenk' ich nn'r's im Bogenbausch,

Möcht ich nicht leben ohne Rausch.

Halt! Mißversteht nicht, was ich meine!
Ich abstrahiere ganz von Schnaps

und Bier und Weine.
Ich meine jenen Rausch der Brust —

Oer Kunst, der Poesie, der Waffen Lust,
Den Rausch der Liebe, der da ausgeschlossen,
Hast Du Dich sehr mit Alkohol begossen.
Den hohen, edlen Rausch, den pfleg'

als Pflicht,

Trink' nicht mit Litern, wie Herr Wanst, —

Hör' zu, mein Sohn: Besauf' Dich nicht,-

Damit Du Dich berauschen kannst!

<£. R. Gehre-Rocco

Greif doch zu

Mein Jung, ich weiß nicht, was ich täte,
Brächt'st Dil uns morgen in den Bau
Mit oder ohne Hausgeräte
So eine Liese, Lotte, Käte,

So eine süße kleine Frau!

Das schlarft bei uns in silznen Socken
Treppauf, treppab und stöhnt und keucht,
Frau Trübsal spinnt an ihrem Rocken;
Jung, flatterten des Mädchens Locken,
Im Umsehn wär der Spuk oerscheucht.

Die Freude spräng zu allen Ritzen,

Zu Luk herein und Kellerloch;

Wir tanzten auf den Zehenspitzen,

Sahn wir des Mädchens Auge blitzen.
Mein Jung, was wartest Du denn noch?

Wir beide sind ja alte Narren;

Doch eins verjüngte uns im Nu.

O hörten wir den Kinderkarren,

Drin Du einst fuhrst, noch einmal knarren!
Mein Herzensjunge, greif doch zu!

Jul. Adolf

Naturkräfte

von Larl Ewald

ÄAeben meinem Garten, nur durch einen
MI baufälligen Zaun getrennt, liegt ein
anderer Garten, der zu einem schönen, alten
Gartenhause gehört. Hier zog vor unge-
fähr einem Jahre eine Familie namens
Pedersen ein.

Es traf sich natürlich so, daß wir uns
begrüßten, und ab und zu unterhielten wir
uns über den Zaun hinweg. Pedersens
Kinder und meine Kinder zankten und spiel-
ten zusammen. Während die Cache sich zu
der Tragödie entwickelte, die ich hier er-
zählen werde, verschaffte ich mir folgende
Aufklärungen über die Familie.

Der Vater ist ein schlechter Künstler und
ein gutmütiger Kerl, fleißig, unter dem Ver-
kanntsein gebeugt, für seine Person anspruchs-
los, steht aber vollkommen unter dem Kom-
mando der Frau. Er malt, was ihm ge-
rade in die Quere kommt, und verkauft
seine Bilder für jeden Preis, annonciert
aber mit enormen Preisen in den Zeitungen.
Er kann hungern, hat er aber einen Schweine-
braten auf dem Tisch, dann ladet er die
ganze Welt ein und frißt, daß ihm das

Fett aus den Mundwinkeln läuft. Dann de-
trinkt er sich, äußert seine Ansichten über die
höchsten Probleme und spricht von seiner Lebens-
anschauung.

Die Frau ist eine Gastwirtstochter aus der
Provinz.

Zn dem Stockwerk über der Gastwirtschaft
hatten die Eltern, deren einziges Kind sie war,
ihr eine Zweizimmer-Wohnung mit Pianos
Palmen, künstlichen Sträußen, Teppich auf
den Fußboden, breitem Mahagonibett, Spitzen-
bezügen und allen modernen Büchern auf dem
Tische eingerichtet. Sie stand niemals vor
Mittag auf, ruderte auf dem See mit einer
roten Mütze auf dem Kopfe, rauchte viele Zi-
garetten, tanzte ununterbrochen auf den Bällen
in dem Pavillon der Stadt, bekam einmal in
der Woche einen Heiratsantrag von irgend
einem Kommis der Stadt, schwamm im Sommer
weit hinaus aus dem Badehause, war aber
im Winter nicht ganz sauber, liebte Georg
Brandes und fand, daß sie mit Marie Grnbbe
Ähnlichkeit hätte. Groß und hübsch und munter
war sie, wenn sie nicht gerade Kopfschmerzen
hatte.

Ab und zu schleppten die Eltern sie in einem
plötzlichen Anfall von Pädagogik und Wut in
die Gastwirtschaft hinunter, wo sie einen Tag
hindurch Kartoffeln schälen, Bier aufziehen und
die Gäste bedienen mußte. Nach einem solchen
Hereinfall fielen sie ihr reuevoll zu Füßen und
schenkten ihr ein neues seidenes Kleid oder eine
Reise nach Kopenhagen. Sie verzieh ihnen gut-
mütig, ging am darauffolgenden Sonntag mit
ihnen zum heiligen Abendmahl und lebte weiter
wie bisher, während sie in vollblütiger Sehn-
sucht des Märchens und der Liebe harrte.

Als sie neunzehn Jahre alt war, nahten
beide vereint in Pedersens Gestalt.

Er hatte damals das Malen aufgeben müssen
und kam mit einem alten Taschenspieler und
einem Tintamaresque-Theater zusammen nach
der Stadt. Sie wohnten in der Gastwirtschaft.
Am Abend, wenn die Vorstellung in „Karoline-
lust" zu Ende war, ging der Alte schlafen,
während Pedersen aufblieb und mit der Tochter
des Hauses von seiner verfehlten Künstlerlaus-
bahn sprach. Mit jedem großen Namen, den
sie auch nennen mochte, war er Duzfreund.
Hätte seine Armut ihn nicht niedergedrückt,
wäre er selbst der Größte geworden. Niemand
könnte ahnen, welche seelische Qualen er zu
leiden hätte. Er beschwor sie in Gottes Namen
niemals hinzugehen, um ihn in der erniedrigen-
den Rolle zu sehen, die er um das Leben zu
fristen spielte.

Selbstverständlich schlich sie doch eines Abends
hinaus, und die Folge davon war, daß sie über
ihn noch gerührter wurde als bisher. Die Zu-
sammenkünfte nach der Vorstellung wurden nach
oben in ihre Privatwohnung verlegt, und als
sie eines Abends die Entdeckung machten, daß
er Karl und sie Karla hieß, behielt sie ihn
bei sich.

Die Alten weinten und wüteten und wollten
sie natürlich schleunigst verheiraten.

Pedersen, der im Grunde genommen em
sittlicher Mensch war, willigte gern ein, aber ste
wollte ihre Liebe durchaus nicht durch eine Ehe
besudeln. Bei den hieraus entstandenen Dis-
kussionen ging ein Teil ihrer Neigung für ihn
verloren. Dann erfuhr sie, daß schon eine Frau
Pedersen mit einigen Kindern existierte, und
plötzlich wurde wieder alles gut. Denn sie hatte
sich immer gedacht, einen Mann haben zu wollen,
der ihretwegen Frau und Kinder verließ. Dre
Papiere wurden erstaunlich schnell in Ordnung
gebracht, und die Hochzeit wurde in einer Dors-
kirche auf einer kleinen Insel gefeiert.

Die Eltern etablierten Pedersen ... zuerst als
Maler mit einer längeren Studienreise, dann als
Gastwirt, dann als Maler mit einem Hühnerhos
als Nebeneinnahme, während sie ein Pensionat
hielt. Nichts von allem ging. Malen konnte er
ja nicht, und die Hühner aßen sie auf. Wenn

Aus Neubeuern

O. Geigenberger

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Register
Karl Ewald: Naturkräfte
Otto Geigenberger: Aus Neubeuern
C. R. Gehre-Rocco: Mentors Rat
Julius Adolf: Greif doch zu
 
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