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Dank

Ich rief Dich nie in Schmerzen oder Not,

Im Schrecken nicht, wenn losgelöste Kraft
Wie Spielzeug Menschenleiber mordete —

Ich rief Dich nie, wenn Deine Kreatur,

Die aufrecht nach der Sonne schreiten sollte,
Bald frech, bald jammernd sich im

Schmutze wand —

Heut rief ich Dich, als ich am hellen Mittag
Hochatmend auf des Berges Gipfel stieg.

Und mich am Duft der würz'gen Kräuter labend,
Mit weitem Blick die bunte Welt umspannte,
Des Herbstes wundervolle Sonnenwärme,
Zurückgestrahlt vom Felsen, doppelt spürte,

Zu gleicher Zeit das Größte und das Kleinste
Im reichen Werktag der Natur begriff.

Und mich inmitten ihrer Wunderwelt
Als Mitgeschöpf so ganz befriedigt fühlte —
Da rief ich Dich aus übervollem Herzen:

Ich weiß zwar nicht, warum und wem ich danke,
Doch dank' ich, daß mein Herz so kräftig schlägt,
Daß sich die Brust im Atmen rhythmisch weitet.
Und mir von Kopf zu Fuß die roten Tropfen
Mit Mut und Willen durch die Adern rinnen.
Daß ich noch Herr — und Knechte meine

Glieder,

Daß scharf mein Auge, rührig alle Sinne,

Den Glanz und Duft und Schall und

Wunderbau

Des stolzen Berges völlig auszukosten.

Heut dank ich Dir, daß ich noch Jugend habe,
Heut, da ich weiß, wie kostbar Jugend ist!

Grete Stollberg

Zwei Briefe

Von Nachtlicht
Mein lieber Sohn!

Noch gilt Dein ganzes Streben dem Kampf
um günstige Lebensbedingungen. — Einst wird
ruhigeres Fahrwasser vor Dir liegen. Wenn
dann zarte Hände nach Deinem Steuerruder
greifen, so wirst Du gern mit einer lieben Ge-
fährtin die Führung des Lebensschiffleins teilen.

Viel Glück, mein lieber Junge! Tausend
süße Mädels warten. Sie tragen die Fähigkeit,
einen Mann zu beglücken, im Schoße; die
Wahl wird Dir nicht schwer fallen. Des be-
haglichen Genießens kannst Du sicher sein.

Wahrscheinlich gehen Deine Wünsche jedoch
höher hinaus. Du willst nicht hinterm Ofen
hocken, wenn draußen noch das Kampflied aller
ringenden Kräfte ertönt; Du willst Dein Leben
nicht auf den toten Punkt gelangen lassen.
Dann mußt Du Dir vorsichtig ein Weib wählen.

Kein liebes Mädel, — eine Zuwiderwurzen!
Eine, in deren Köpfchen es höllisch steif hergeht;
die für Vernunftgründe nicht zu haben ist. Der
jedes Kompromiß, jedes verzeihende Verstehen
ein Greuel ist. Einen Querkopf, dessen vorge-
faßte Meinung durch nichts erschüttert werden
kann, und der hartnäckig sein Urteil verficht.

Ich male ein Teufelsweib an die Wand?
Sieh', schon hast Du meine Gedanken ein wenig
erfaßt! Auch ich dachte an den Teufel, aller-
dings in seiner liebenswürdigsten Gestalt.

„Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht

erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh';

Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu
Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen!"

So lautet der Gedanke, der mir vorschwebt,
im „Faust". —

Allerdings, mein lieber Junge, solche eigen-
artige Gefährtinnen sind unbequem. Selbst der
Weise würde, sich bekreuzigend, an ihnen vorüber-
gehen, -wenn ihre Starrheit nicht ein unschätz-
bares Gut verbürgte. Das Bekenntnis „ich

G. Petzoldt (Dresden)

liebe Dich" aus einem Herzen, das keine Der-
nunftgründe kennt, aus einem Munde, der
nur in Liebe oder Haß spricht, besitzt einen
Wert, der alle anderen Glücksgüter überragt.
Das ist kein Kompromiß zwischen Ideal und
Wirklichkeit, kein Blick in den Geldbeutel,

kein heimlicher Ehrgeiz. „Ich liebe Dich-'

so wie Du bist; mit all Deinen Fehlern, mit
all Deinen Anschauungen, die nicht die meinen
sind." Kannst Du Dir ein herrlicheres, glück-
verheißenderes Liebesbekenntnis wünschen?

Und nun, mein Sohn, eine Ueberraschung!
Sieh', auch Deine angebetete Mutter war solch
eigenartiger Charakter. Eine rechte und ehr-
liche Zuwiderwurzen; wie oft habe ich sie als
Braut und Frau so genannt! Und von dieser
Frau, die als Mädchen die wüste Farbenorgie
eines Unreifen verhimmelte und alle alten Meister
verspottete, hast Du und Deine Geschwister den
Schönheitssinn erhalten. Von ihr, die früher
stundenlang einen Gassenhauer sang und Beet-
hoven, — den unsagbar langweiligen Beethoven

-parodierte, habt Ihr das feine musikalische

Empfinden geerbt. Von ihr habt Ihr auch
den Abscheu vor seichter Lektüre, den Sinn
für die Natur; und Ihr ahnt nicht, daß Eure
Mutter einst in französischen Laxheiten schwelgte,
daß sie jeden kleinen Vogel als Spatz und
jeden grünen Baum als Linde ansprach.

Das nämlich ist das Wunder an diesen eigen-
artigen Charakteren, daß der mädchenhafte Ueber-
mut im erblühten Weibe zur schönsten Abgeklärt-
heit heranreift. Der Most gärt unaufhörlich, bis
er endlich die edelste Form gefunden hat. Und
diese Gärung, die das Denken Deiner Liebsten
durchwühlt, hält auch Dich noch lange Jahre
in Bewegung. Du wächst mit Deinem Weibe;
Du mußt mit ihm wachsen, um in der Achtung
Deines Weibes nie zu sinken. Nur, wenn Du
ihm stets als der ewig Neue, als einer, den es
niemals ganz auskennen wird, gegenüberstehst,
erfüllst Du die Wünsche einer idealen Ehe. —

Wenn die Zeit kommt, wo Dein Herz Um-
schau unter den Töchtern des Landes hält, dann
wähle richtig, mein Sohn. Mädchen, die schon
vor der Reife ganz Deines Sinnes sind, weil
sie kritiklos ein verständiges Urteil nachplappern,
mögen bequeme Gefährtinnen sein; aber ein
Mann Deines Schlages soll das behagliche Ge-
nießen hinterm Ofen verachten. Die Liebe darf
nicht den Schlußstein allen Strebens bilden, sie
soll die Begeisterung zu den höchsten Zielen ein-
hauchen! Nur wer an Deiner Seite „reizt und
wirkt," ist Deiner Liebe würdig.

Möge Dir ein gütiges Schicksal dies Weib
zuführen.

* # H«

Meine liebe Tochter!

Ich bin heute morgen mit Dir durch den
schönen Wald gegangen. Du fragtest mich
mancherlei, und ich gab Dir ehrliche Antwort.
Jetzt ruhst Du oben in Deinem kleinen Bettchen
undträumstwohlvon schlankgewachsenen Tannen,
von wetterfesten Eichen und von rotbäckigen
Früchten.

Ich aber gedenke mit Unruhe der Zeit, wo
eine große, schwerwiegende Frage Dein Herz
bewegen wird. Wenn mich frühzeitig ein Sturm
bricht, wer wird Dir dann Antwort geben?

Kein Fremder soll es sein! Nur der, der
all Dein Fühlen und Denken für diesen Tag
erwachender Liebe vorbereitete, darf es fein.

Und in Gedanken wandle ich mit Dir wieder
durch den Wald. Unsere Lieblingsbäume sind
ein tüchtiges Stück gewachsen; mancher Kümmer-
ling ist der Axt zum Opfer gefallen. Du aber
gehst als aufknospende Menschenblüte mir zur
Seite. Lustig trällerst Du ein italienisches Lied-
lein von glutvollen Augen und glückseliger Liebe.

Ich fühle, die Zeit ist gekommen. Du harrest
des fremden Gärtners, der mir mein zartes,
sorgsam gepflegtes Reis entführen wird, um es
als kostbarste Zierde in seinen eignen Boden
zu pflanzen. Du ersehnst die fremde Scholle,
um dort freudig und stolz Deine Eigenheit zu
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Grete Stollberg: Dank
Nachtlicht: Zwei Briefe
Gustav Petzoldt: Blumenleiste
 
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