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In Worten mußten sie 's verbriefen,
Durch die der Hauch des Ewigen weht.

Darin der Geist in Lichtgesängen
Durch finstre Gründe grollend schweift,
Ein Adler, der mit kühnen Fängen
In Gottes Heldenharfe greift.

Dann spür' ich, wie es leise stählend
Durch meine tiefsten Adern rinnt,

Bis, ruhig sich der Kraft vermählend,
Mein Geist den sichern Grund gewinnt.

Aarl Henckell

Selm Segimentsmedicus Schiller

Von Friedrich Freksa

Der Vorhang der Zeit rollt auf, und Du
blickst in ein niedriges, mit Tabakrauch er-
fülltes Zimmer, dessen Wände grau getüncht
sind, hie und da bröckelt der alte Bewurf ab,
und weißer Kalkstaub rieselt auf die schmutzi-
gen, ungescheuerten Dielen.

Links führt ein offenes Fenster auf die
Straße, und von Zeit zu Zeit siehst Du Köpfe
mit gepuderten Haaren unter dem Dreispitz und
Frauen mit großen Hauben vorbeiziehen. Vor
dem Fenster ist eine Fensterbank, vor dieser
steht ein Tisch, auf dem im Durcheinander
Papiere, Bücher, Gänsefedern um ein großes
Tintenfaß herumliegen. Eine andere dünn-
beinige, grüngestrichene Bank, aus deren Rück-
lehne mehrere Stäbe ausgebrochen sind, schaut
den unordentlichen Tisch gleichsam melancho-
lisch vorwurfsvoll an.

Hinten heben sich aus dem Graublau der
Tabaksatmosphäre gespenstisch zwei Betten, die
mit roten Pferdedecken überzogen sind, aus dem
höhlenartigen Alkoven ab, den kein Vorhang
verhüllt.

Rechts ist eine wackelige Tür, die beim
Windzuge schlägt und knarrt. In der Ecke
zwischen Tür und der hinteren Wand liegt ein
riesiger Kartoffelhaufen aufgeschichtet. Auf den
Kartoffeln treiben sich leere Flaschen, zerbrochene
Pfeifen und alte Pfeifenstummel herum.

Die Tür öffnet sich leise. Herein tritt der
Fourierschütze Kronenbitter. Er trägt ein Strick-
zeug in der Hand. Seine blaue Uniform ist
abgerissen und vielfach mit geschwärztem Leder
nach Soldatenart geflickt. Ein steifer, fettiger
Zopf baumelt auf seinem Rücken und hat dort
glänzende Flecken hinterlassen.

Wie Kronenbitter eintritt, rieselt aus allen
Löchern der Wand der weiße Kalkstaub. Kronen-
bitter geht auf den Kartoffelhaufen zu, langt
sich einen Pfeifenstummel heraus, probiert ihn,
bläst hindurch, nimmt einen anderen, stopft diesen,
und setzt sich schließlich auf die grüngestrichene
Bank. Diese schaukelt knarrend hin und her.
Kronenbitter stützt sich auf einen Fuß, und wäh-
rend er hin und her schaukelt und raucht, strickt
er langsam an einem langen grauen Strumpf.

Die Tür wird heftig aufgerissen, sodaß der
Kalkstaub heftig im Zimmer herumstäubt. Her-
einstürzt der Leutnant Franz Joseph Kaps in

der Paradeuniform der Zeit.-Kronenbitter

springt auf.

Rapf: „Kerl Kronenbitter! Hurtig! Sechs
Bouteillen auf den Tisch und Kartoffeln ge-
schält! — Hol er auch Knackwurst. — Hurtig!"

Rronenbitter: „Es isch koi Wurscht mehr
da, Herr Leitnant!"

Rapf: „Dann geh er zur Hauptmännin,
und fleh er sie an! — Kerl Kronenbitier, werf
er sich ihr zu Füßen, ergreife er sie am Rocke,
und lasse er sie nicht eher los, ehe sie uns alles
gewährt! — Halt — Knöpfe er mir zuvor den
Rock auf! — Frei will ich sein von Zwang
und Enge! Fort mit der Sklavenjacke!"

Rronenbitter: „Zu Befähl, Herr Leitnant,
was soll i zscherst tun? — Erseht 's Röckle

aufknöpfe oder erscht de Hauptmännin Bischerln
anflähe?"

Rapf: „Frei machen von den Knebeln der
Montur!" (Kronenbitter hilft ihm aus dem engen
Rocke; Kaps steht in Hosen, Gamaschen und gelber
Weste da.)

Rcrpf: „Ist eine Pfeife gestopft?" —

Rronenbitter: „Wie geschtern Abend der
Herr Leitnant mit dem Herrn Regimentsmedi-
kusch über die Tyranne dischputieret habe, da
habe der Herr Leitnant und der Herr Medikusch
Schiller alle Tonpfeifle die Köpfle naschlage."

Rapf: „Dann geh er und hol er neue
Pfeifen!" (Die Tür wird aufgerissen und herein
kommt der Leutnant von Scharffenstein.) — „Bruder-
herz!" (Sie umarmen sich.) „Lüfte die Brust! Wirf
das Zeichen der Fürstenknechtschaft ab!"

Scharffenstein (seinen Rock ausziehend): „Bruder-
herz, in welches Loch seid Ihr beide geraten?" —

Napf: „Schau an, zum ersten fehlt dem
Schiller und mir mehr Geld zum besseren Lo-
sament! — Und zum anderen, die herrlichste
Frau dieser Erde ist unsere Wirtin!" —

Scharffenstein (sich umsehend): „Der Boden
beweist nicht viel!"

Napf: „Aber ihre Seele! Bruderherz! —
Was fragen wir nach dem Zimmer, daß es eng
und niedrig ist? was nach dem Winde, der
durchpfeift, wenn wir wissen, daß wir uns an
einer mitfühlenden Seele wärmen können!" —

Scharffenstein: „Glaub's Dir, Bruderherz!
— Aber sag, wo ist der Schiller, ich muß ihn
sehen, eh er aus der Montur gekrochen ist!"

Rapf: „Gleich muß er kommen! Der General
ließ ihn noch einmal antreten, denn er behauptete,
die weißen Gamaschen des Medicus hätten die
Pocken! — Kerl Kronenbitter, warum hat er
die Gamaschen des Herrn Medicus so mit
Wichse verschmiert?"

Rronenbitter: „Der Herr Medicusch schteht
nit schtill, — mit de eine Füßle hat er immer so
getrete, und dazu hat er sich mit der Hand so
gegens Köpfte gschlage, und dann ischt er an
den Tisch glaufe und hat wieder gschriebe. Und
ich war immer mit de Bürschtle hinter ihm
her." (Er macht alles vor.)

Scharffenstein: „Kerl Kronenbitter, er ist
Juwelen wert! — Wahrlich der Medicus sah
aus wie ein Storch, der durch einen Sumpf
gestelzt war!"

Rapf: „Dran trägt nur Kronenbitter die
Schuld! Er wickelt die dicke Filzunterlage
unter den Gamaschen nie glatt, und so sehen
die Waden Schillers dicker aus als die im engen
weißen Kalbfell eingepreßten Schenkel!"

Scharffenstein: „Und sein langer, dürrer
Hals in der Roßhaarbinde. Die drei Gips-
locken rechts und links an den Schläfen! Der
lange Zopf am Scheitel und das kleine Hüt-
chen darauf!"

Napf: „Der Schöpfer hat sein Gesicht mit
der gebogenen, weißen Nase und den rötlichen
Wimpern und Augenbrauen nicht zu paß für
die Montur gemacht, Bruderherz! — Was steht
er da, Kerl Kronenbitter? — Was hält er Maul-
affen feil? — Hole er lieber Pfeifen und To-
back!^

Rronenbitter: „Ich Hab koi Kreuzerle mehr,
Ihro Gnade!" — (Kaps sucht in der Tasche.)

Scharffenstein (sucht auch): „Da ist mein letz-
ter Gulden!" -

Rapf (zu dem Gulden): „Fort mit ihm, daß
er in das Nichts vor uns hinabrolle und dem
Tode Grüße von uns bestelle!" (Kronenbitter ab.)

Scharffenstein: „Sage Freund, was begibt
sich in den böhmischen Wäldern?"

Rapf: „Sie rauschen stärker denn zuvor! —
Da schau!" (Er zieht das Buch unter den Papieren her-
vor.) „Wir haben es nach Mannheim gesckickt!"

Scharffenstein: „Gib her Bruderherz, daß ich
mein Herz erwärme!"

Rapf (lesend und Scharffenstein abwehrend):
„Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnür-
brust, und meinen Willen schnüren in Gesetze.
Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben,
was Adlerflug geworden wäre. Das Gesetz
hat noch keinen großen Mann gebildet, aber
die Freiheit brütet Kolosse und Extremitäten

aus!-Ha Bruderherz — nun weißt Du,

warum er in der Montur wie ein dressierter

Storch aussieht!"-(Die Tür geht auf: Der

Regimentsmedikus „Schiller" tritt, sich bückend, hinein,
hinter ihm her kommt „van Hoven" im schwarzen Rock
und den Hut unter dem Arm, die Haare im Haarbeutel
geordnet. Kapf und Scharffenstein die beiden umarmend):
„Bruderherz! Kann ich Dich halten!"

Hoven (zu Scharffenstein): „Seit wann bist
Du in Stuttgart Bruder?"

Scharffenstein: „Gestern trat ich den Dienst
im Regiment Gablenz an! Und als ersten traf
ich Kapf! Und heute Dich, den Waisenarzt, und
nun noch den Medicus Schiller, da kann's
meiner Gesundheit nicht fehlen!" —

Hoven: „Wirst Du krank, so gehe lieber
zu mir als zu ihm! Denn er liebt starke Dosen
in Remediis ebenso als in Aestheticis und ich
möchte ihm lieber zehn Pferde als meine Frau
zur Kur übergeben!"

Schiller: „Hoven, zitiere nicht, was ich selbst
im Württembergischen Repertorium über die
Räuber schrieb!"

Scharffenstein: „Wäre nur noch der Wetter-
hund Petersen da, dann wäre unsere Karls-
sihule in Stuttgart vereint!"

Napf lauf Scharffenstein deutend): „Seine erste
Frage war nach den böhmischen Wäldern!"

Schiller: „Heute ist der letzte Tag, an dem
ein Brief vom Freiherrn von Dalberg kommen
kann! — Ist noch keine Post gekommen!" —

Hoven: „Selbst auf dem Hohenasperg spricht
man von den Räubern!"

Schiller: „Warst Du auf Hohenasperg?"

Hoven: „Zum Geburtstage des Generals
Rieger hatte mich meine Schwägerin mit hinauf
genommen!"

Schiller: „Sähest Du Schubart, den Chro-
nisten ?"

Hoven: „Ich sah das arme Opfer der Ty-
rannen. Denket Euch, er, den sie wegen seiner
Schriften gegen den Herzog festhalten, mußte ein
Schauspiel dichten und einen Prolog, der den
General von Rieger, seinen Kerkermeister, ver-
herrlicht. Freunde, dieser Prolog Hub also an:
-Edler Riegel. Da stand Rieger auf, klatschte
und schrie entzückt: ,Da capo‘. Da mußte
der Prolog abermals beginnen: -Edler Riegel.
Mich aber stach der Schalk. Als der Prolog
geendet hatte, klatschte ich ironischen Beifall.
Da ward Rieger aufmerksam auf mich, zog mich
zu sich heran, lobte meinen guten Geschmack,
und lud auch Dich ein, Dich, den Verfasser der
Räuber, auf den Hohenasperg zu kommen. —
Er will Schubart, der Dich zu sehen wünscht,
eine Freude machen. Schubart hat den Befehl,
eine Rezension über die Räuber zu schreiben,
Du sollst aber als ein vr. Fischer auftreten,
und Schubart soll Dir die Rezension selbst vor-
lesen!" —

Schiller: „So werde ich den Schubart Wieder-
sehen — als Kind, da er die Gnade des Her-
zogs noch genoß, sah ich ihn oft zu Ludwigs-
burg. — Wie sieht er aus?"

Hoven: „Die Haft hat ihn gebrochen. Fromm
ist er geworden, wie der Rieger selbst."

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Paul Rieth: Vignette
Friedrich Freksa: Beim Regimentsmedicus Schiller in Wien
 
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