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HErbst im Park

Marmorschimmer leuchtet durch die Büsche
Eingebettet in verschwiey'nes Brün
Kühl am Rande van versiegter Quelle
Pan und flötet leise Melodien.

Wehe Weisen, traurig sübe Töne
Klingen nach aus steingewardnem Kahr,
Singen, klagen still vom groben Sterben, —
Uon der Blume, die den Duft verlor,

Uon den Blättern, die schon knisternd fallen,
vogelsang, der nun schon ferner klingt,
Uon den liebeln, die sich heimlich ballen,
Uon der Sonne, die da blutend sinkt.

Pan, — noch webt in Lüften eine Wärme,
Farbenüberflutet ist die Welt;

Trinken will ich diese Tage, trinken, —
Schöner sind sie mir als Lenz-erhellt!

Pan, — wohl hör' ich dich, — und deine Weisen
Stimmen auch zu meiner Melodie;

Einen sich mit ihr zu weichen Liedern, —
Singen, leise singen könnt ich sie. —

Doch den Fremden mag ich nicht vertrauen,

Was in mir wie unter Tränen lacht-

Nur von lieben firmen zart umfangen,
fin der Zärtlichkeit geliebter Lippen
Sanft erlöst von einem langen Bangen,
Haucht' ich gern, was froh und traurig macht.

Erna Heinemann

Frau Aporav Mikwenschaft

Lin Schwank von Anno Dazumal
von Ewald Gerhard Seeliger

f ls man das Jahr 1589 schrieb, legte der
alte Meister Baldrian, das ehrsamste Mit-
glied der Löwenberger Schneiderzeche, die Nadel
hin, starb und ward nach drei Tagen begraben.
Und da er in seinem ganzen Eheleben nur
Röcke und Brüche zustande gebracht hatte, ließ
er Frau Zipora als kinderlose Wittib zurück.
Sie führte nach Zunftgebrauch die Werkstatt
weiter und wurde von den vielen Tränen, die
sie im Laufe des Trauerjahres vergießen zu
müssen glaubte, nicht einen Deut schöner. Auch
das süße Lächeln, das sie danach aufsteckte,
half nichts. Und so wagte sie sich denn an
bunte Bänder und Schleifen und begann ge-
heimnisvolle Mittelchen zu gebrauchen, die ihren
Wangen den Schimmer der Jugend verliehen,
sobald man sie aus der gehörigen Entfernung
sah. Aber obschon sie noch lange nicht fünfzig
Jahre alt war, wollte kein Geselle lange bei ihr
aushalten. Sogar die vielen blanken Taler,
die ihre schwere Eichentruhe barg, und das
breite, goldne Halsgeschmeide, das sie feiertags
zweimal zur Kirche trug, um es der ganzen Stadt
zu zeigen, lockte ihr keinen Meister ins Netz.

Das wurmte sie sehr, und so ließ sie ihren
Unmut an ihren beiden Hausgenossen aus, die
sich ihrer Gewalt nicht entziehen konnten, an
Tobias, dem Lehrjungen, dem sie tags mindestens
dreimal mit allen zehn Fingern die feuerrote
Mähne harkte, weil er ein erzfauler Wicht war,
und an Ursula, ihrer armen, verwaisten Nichte,
die sie aus Gnade und Barmherzigkeit in ihr
Haus ausgenommen hatte und die sie ärger hielt
als eine Magd. Denn war die Meisterin häß-
lich wie eine verschrumpfte Runkelrübe, so war
die siebzehnjährige Ursula schön wie eine duftende
Heckenrosenknospe hinterm Zaun. Doch davon
wußte sie nichts, denn keiner hatte es ihr bisher
gesagt. Frau Zipora aber empfand es als eine
schreiende Ungerechtigkeit des Himmels, diesem
verworfenen Geschöpf, das jeden Morgen frischer
und strahlender ausblühte, ihre blanken Taler
und den schweren kostbaren Halsschmuck zu
hinterlassen, und immer tiefer verbohrte sie sich
in den Gedanken, sich um jeden Preis einen
Meister zu angeln.

H. Wilm

Inzwischen schalt sie auf das verschüchterte,
unschuldige Kind, das es an Gehorsam und
Fleiß nicht fehlen ließ, vom ersten Hahnenschrei
bis Mitternacht, ja oftmals schimpfte sie im
Traume weiter. Nur wenn sie über Tobias
hersiel, der ein ausgemachter Feigling war,
konnte Ursula ein wenig aufatmen. Dieses
doppelte Leid brachte die beiden Kinder bald
näher zusammen, wenn auch Tobias noch lange
nicht den Mut hatte, von Ursulas Schönheit
etwas verlauten zu lassen. Sobald aber die
Meisterin um die Ecke war, fand er große,
furchtbare Worte und schwur Ursula, die beider-
seitige Schmach blutig zu rächen. Kam aber
die Meisterin wieder, um seine Faulheit ge-
bührend zu belohnen, so zerging sein Mut wie
Butter an der Sonne. Heulend suchte er unter
dem Tische Zuflucht und strich sich die schmerzende
Perücke glatt.

„Ach!" seufzte dann Ursula leise. „Wenn
doch der Meister noch lebte!"

„Ach jal" stöhnte Tobias aus seinem Ver-
steck. „Da kriegte er wenigstens die Prügel!"

Der Frühling kam wieder ins Land, und
munter stach der Hafer durch die braune Acker-
krume. Frau Zipora wurde immer toller,
endlich fand sie überhaupt keinen Schlaf mehr.
Ursula weinte gar oft in ihre Schürze hinein,
aber sie wurde davon nicht häßlicher.

Um diese Zeit schritt durchs Laubaner Tor
ein junger, lustiger Geselle in die Stadt, dem
man es nicht ansah, daß er zur ehrsamen
Schneiderzeche gehörte. Keck blickten seine
braunen Augen umher, auf der Kappe stak ihm
eine rote Hahnenfeder, und aus seinem Felleisen
lugte ein schön geschwungener Lautenhals. Der
Herbergswirt wies ihn zum Zunftmeister. Der
strich sich den dünnen Ziegenbart und sah mit
Bedenken auf den Burschen.

„Ihr schaut aus wie ein Fahrender!" be-
gann er mißbilligend.

„Nur gemach!" lachte der Geselle und wies
seine Papiere vor.

Der Meister prüfte sie sorgfältig und fand
sie in Ordnung.

„Ihr heißt Velten Flick! und kommt aus
Nürnberg?" meinte er sinnend. „Habt Ihr Lust,
bei einer Wittib zu arbeiten?"

„Wenn's nicht anders sein kann, bei des
Teufels Großmutter!" gab der Geselle zurück
und ließ sich den Weg beschreiben.

Bald stand er vor dem Häuschen hinterm
Markt. Es gefiel ihm, weil es schmuck und
sauber war. Frau Zipora steckte neugierig den
Kopf aus dem Fenster.

„Ei, guten Morgen, schöne Frau Meisterin!"
rief Velten und schwang die Kappe. „Ihr
braucht einen Gesellen. So nehmt mich. Was
wollt Ihr länger warten?"

Frau Zipora glänzte über ihr ganzes Runzel-
gesicht und ließ ihn ein. Er griff ihre Hand,
schüttelte sie herzlich und tat, als sei er hier
schon lange zuhause. Rasch sprang er auf den

Tisch. Die Arbeit flog ihm nur so von den
Händen. Ein schmucker Bursch war er auch.
Frau Zipora's Liebe wuchs mit jeder Minute.
Auch daß er den Lehrjungen, der ihn unaus-
gesetzt anstarrte, zweimal trefflich hinter die ab-
stehenden Ohren schlug, erregte ihren vollen
Beifall. Er spielte seine Rolle vorzüglich.
Immer dicker trug er seine Schmeichelei auf.
Denn er hatte wirklich die Absicht, Frau Zipora's
Meister zu werden und sich in das warme Nest
zu setzen.

Das wurde mit einem Schlage anders, als
Ursula ins Zimmer trat, um den Tisch zu decken.
Nur einen einzigen Augenblick stockte Veltens
hurtige Nadel, dann ließ er in seinem Sinn die
Meisterin fahren und hielt sich an die schöne
Nichte. Unauffällig ließ er einen seiner kecken
Blicke zu ihr fliegen, und es kam eine leise,
freundliche Antwort. Da er aber ein erzschlauer
Bursche war, setzte er das Spiel nicht fort, um
die Eifersucht der Meisterin nicht zu wecken,
sondern fuhr vielmehr die arme Ursula in einem
so groben, harten Tone an, daß ihr die Suppen-
schüssel aus der Hand fiel. Nun schalt er zum
Ueberfluß auf die ungeschickte Dirne, daß Frau
Zipora das Herz im Leibe hüpfte.

Ursula aber lief weinend auf ihre Kammer.
Sie konnte sich den kecken Blick, der sie ins
Herz getroffen hatte, und die häßlichen Schelt-
worte nicht zusammenreimen. Und beides wieder-
holte sich an den folgenden Tagen. Endlich aber
kam die Gelegenheit, daß sie mit Velten im
dunklen Hausflur zusammentraf. Und hier klärte
er ihr den Widerspruch auf, indem er sie einige
Male herzhaft, aber ganz leise auf den Mund
küßte. Denn die Meisterin besaß sehr scharfe
Ohren. Ursula hatte bei den Küssen ganz stille
gehalten, und das Herz wurde ihr wieder leicht.
Und nun fand sie sogar den Mut, sich mit Velten
heftig herumzuzanken, wenn er sie schalt. Das
gab allemal ein Duett, das Frau Zipora wie
Sphärenmusik klang.

Mit der Zeit aber wurden die kecken Blicke
wagemutiger. Zwar nahmen sie sich vor der
Meisterin sehr in Acht, aber nicht vor Tobias.
Und in dem erwachte ein Argwohn, der sich
geschwind in rasende Eifersucht wandelte. Denn
er kam bald dahinter, daß Ursula ihre Kammer-
tür nicht mehr verschloß. Auch Frau Zipora
ließ ihre Türe offenstehen, sperrangelweit sogar,
und nicht ohne Erfolg. Denn eines Abends
schlich sich Tobias auf Strümpfen herein und
berichtete flüsternd, daß der Geselle in Ursulas
Kammer säße.

Wie ein Blitz war die Meisterin aus dem
Bett und fuhr die Stiege empor. Je höher sie
aber kam, um so leiser trat sie auf. Unhörbar
schlich sie zur Tür, legte das Ohr an den Spalt
und horchte. Zwischen langen, innigen Küssen
und tiefen Seufzern des Glückes vernahm sie
leise, wispernde, abgerissene Worte. Velten sprach
von den blanken Talern in der Truhe, und Ursula
von dem schweren Goldschmuck, den sie für ihr
Leben gern einmal, wenn auch nur heimlich,
angelegt hätte.

So teilten sie schon das Erbe, obwohl Frau
Zipora noch gar nicht ans Sterben dachte. Wie
eine Salzsäule stand sie vor der Tür. Am lieb-
sten freilich wäre sie wie ein heiliges Donner-
wetter zwischen die beiden gefahren, um sie aus-
einanderzureißen. Aber die Neugier war stärker.
Und sie lauschte und lauschte. Doch sie kam
nicht auf ihre Rechnung. Die beiden herzten
sich wie zwei unschuldige Brautleute und nahmen
endlich von einander Abschied, als gält's ein
halbes Leben.

Frau Zipora drückte sich in die dunkle Ecke,
ließ Velten vorbeihuschen, kroch in ihr kaltes
Bett und schmiedete einen Plan. Die ganze
Nacht tat sie kein Auge zu. Immer tiefer
schürfte ihre Eifersucht nach guten Gründen
und festen Stützpunkten für das Werk, mit dem
sie Velten zu umgarnen und ihrer losen Nichte
zu entreißen trachtete. Und ehe der Morgen
graute, stand der feine Plan, der ihrer Nieder-
tracht und ihrer Verschlagenheit gleicherweise
Ehre machte, klar vor ihren Augen. Nun galt es,
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Hubert Wilm: Vignette
Erna Heinemann-Grautoff: Herbst im Park
Ewald Gerhard Seeliger: Frau Ziporas Witwenschaft
 
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