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Die blonde Locke

von Richard Graf Du Moulin Eckart

Ein Heiligtum von sinnig zarter Art
Ward einst im Dom zu Paderborn verwahrt:

In Herzensnöten wurde offenbar

Die Wunderkraft von der Madonna Haar.

's war eine Locke, golden, seidenfein! —
Mit goldnem Schlüssel sperrte man den

Schrein,

Den hegt' der Bischof selbst in eig'ner Hut:
Der aber war gar jung und heißgemut.

Ein blühend' Weib war seiner Lust Gesell
Mit blauem Aug' und blondem Haargewell.

Sie toar ihm Alles! Wenn an seiner Seit'
Sie jauchzend ritt zu fröhlichem Gejaid,

Huberta nannt' er sie und dem Patron
Der sroinmen Jäger war's zu srommem Hohn.

Doch wenn er sie die Orgel spielen sah,
Dann sagt' er fromm: „Sankta Cacilia!"

Schaut' er an: Tore sie die Armen speise::,
Als Sankt Elisabeth tat' er sie preisen.

Und reicht' sie ihm zum Kampfe Helm

und Schwert,

Hat Sankt Rosalien er in ihr verehrt.

Der Klerus scherzte drum: „Die Buhle sei
Des Bischofs Allerheil'gen-Litanei."

Und einst in einer süßen Maiennacht
Ist er in ihrem weißen Arm erwacht.

Er sah in: Schlaf gelöst die Huldgestalt,
Das Antlitz von dem lieben Haar umwallt.

In holden Ringeln es zur Schulter fiel:
„Das ist fürwahr ein süßes Himmelsspiel,

Und an den Fäden, golden, seidenfein.

Die Englein läuten das Ave Marei'n!

Ave Maria!", sprach der Bischof leis,

Und ein Gedanke, der durchzuckt' ihn heiß.

Von ihrem Haupt er eine Locke schnitt
Und eilt' zum Dome hin mit leisem Schritt.

Mit gold'nem Schlüssel in den gold'nen Schrein
Schloß er der Liebsten gold'ne Locke ein.

Und, froh der Torheit, kehrte er zurück
Zu ihren: Lager und zu seinem Glück.

Die Jahre flohen und das Glück entschwand.
Es ging ein schwerer, düst'rer Tod durchs Land.

Auf fernem Jagdschloß in dem Rosenhag,
Die blonde Liebste unterm Hügel lag.

Er zog zum Kampf nicht mehr, zu froher Jagd,
Und allein Weltsinn hatte er entsagt.

November Anton Bischof

Sein eig'nes Haupt war lang schon silbergrau,
Doch blond die Locke blieb der lieben Frau.

Und zu dem Schreine ging er Tag um Tag,
Allwo er sinnend in: Gebete lag.

D'rum als auch ihm die letzte Stunde schlug,
Den Schrein der Klerus zu dem Bischof trug.

Der schwer in Bresten, stöhnend, sterbensbang,
Auf seinem Lager mit dem Tode rang.

Doch freudig grüßte er den heil'gen Schrein:
„Horcht, Englein läuten das Ave Marei'n."

Ein Schein von Glück den Müden übergoß
Und selig lächelnd er die Augen schloß.

-Herrn Zapps letzte Ruhestätte

von Fritz v. Ostini

Sie hatten einander so innig gehaßt, wie das
nur zwei Tente fertig bringen, die miteinander
verheiratet sind. Und sie bltebcit verheiratet, bloß
weil keines voll beiden die Mollust entbehren
wollte, der anderen Ehehälfte das Leben sauer
zu machen.

Sie war kurz und fett — er war lang und
hager. Sie trank Dunkles, er Helles. Sie litt
an Asthma und wollte offene Fenster haben, er
hatte die Gicht und fürchtete den Zug. Sie liebte
die Ratzen und er die Hunde, sie aß das Fleisch
durchgebraten und er wollte es englisch, sie war
zu grob mit den Dienstmädchen und er zu zärtlich.
Sie war bigott und er war Freigeist, aber bloß
aus Bosheit, nicht aus Ueberzeugung. In jedeln
Zug waren sie Gegensätze. Natürlich lebten sie
bei dieser Scheidung der Geister auch in Güter-
trennung und eines wußte vom alidern, daß
dies ein mit perfidie gespicktes Testament hinter-
laffeu würde. Er wußte sogar näheres: sie hatte
sich in Altötting eine Grabstätte gekauft und ver-
fügt, daß ihr sterblich Teil dort in eiilem sünd-
teuren Sarg und unter kostspieligen und umständ-
lichen Rircheufeierlichkeiten mit Fahne, Blechmusik
und Bruderschaften beigesetzt werde; — wenn sie
vor ihm stürbe, müsse er die ganze Festlichkeit
mitmachen, sonst sollte ihr gesamtes vermögen, so-
weit es nicht ohnedies ihre Tochter ans erster Ehe
bekam, air das Pfarrvermögen ihrer Heimatge-
meinde Groß-Engerliilg fallell.

Herr Sebastian Zapp griff, als er das erfuhr,
zum Eisenbahllkursbuch und stellte zähneknirschend
fest, daß die Erledigullg des zeitraubendeil Bei-
setzullgsprogramins es ihm ullmöglich lnachen
würde, am Begräbnisabend noch deil Zug zu er-

reichen, der ihn rechtzeitig zu seiner gewohnten
Tarockpartie nach b^anfe bringen konnte.

Dann lachte er teuflisch auf und ging zum
Notar.

von da ab geschah es zuweilen, daß ganz
plötzlich eiil vollkomlnen unbegrülldetes Grinsen
über sein Gesicht leuchtete, wenn sie beisammen
saßen und sich anhaßten. Und sie ahnte dann
mit der Hellsichtigkeit derer, die selbst hinter
dem Ofen gesteckt haben: jetzt denkt der gott-
verlassene Halunke an die Bosheit, die er dir
durch sein Testamellt zu spielen gedeilkt! —
Eines schönen Tages llun begab sich jenes
Grinsen, als es zu Mittag gerade einen ge-
bratenell Liecht gab. Sie schnitt eine so komische
Wutgrimasse, daß er unbändig zu lachen am
Hub — eilt Lachen, das schließlich zum Lach-
kralllpf wurde, wobei ihm eine mächtige ge-
gabelte Gräte in die Luftröhre kam. Fünf
Minuten später hatte er ausgerungen. In
seinem Testamente aber, das der Herr Notar
umgehend ins Haus schickte, war verfügt:
„Ich wünsche, daß meine Leiche voll meiner
lieben Frau nach Gotha geleitet und dort ver-
brannt wird. Meine Asche wird meine liebe Frau
eigenhändig wieder nach brause nehmen, und wenn
man der Urne auf dem Friedhofe keinen Platz
gönnen sollte, selbige in unserem Eßzimmer auf
der Ronsole, wo jetzt die grüne Punschbowle steht,
beisetzen, weigert sich meine liebe Frau, das
alles zu tun, so fällt mein vermögen zu gleichen
Teilen an unsere Base Annemarie Zwickeysen
und den Reglerklub ,Alle Neunes"

Das war Herrn Sebastian Zapps letzte und
größte Bosheit gegen seine „liebe Frau". Es
steht zu vermuten, daß er auch ohne die Hecht-
gräte das Zeitliche früher, als sie, gesegnet hätte,
bloß um ihr diese Bosheit antun zu können.

Und sie ärgerte sich gewaltig. Uebermenschlich.
Auf sein Geld verzichten! Das war ihr erster
Gedanke, denn ihrer Frömmigkeit war die Ver-
brennung in Gotha an sich schon ein Greuel.
Aber! Da war ihre eigene Habgier — und dann
die Tochter und der kleine Fritzel! Und die Base
Zwickeysen, die sie, Amalie Zapp, einmal einen
Geizdrachen geheißen hatte und dafür zu eiuer
Mark Geldstrafe verurteilt worden war. Nein,
diese Person sollte nicht lachende Erbin sein! —
Aber dann die Bedingung mit dem eigenhändigen
Aschentransport und der Beisetzung im Eßzimmer!
Es war himmelschreiend!

In schweren Sorgen ging sie denn zu ihrem
Seclenfreunde, dem Pfarrer von Groß-Engerliug
und legte ihm den Fall vor. Rochend vor Wut
und zitternd vor dessen Urteil. Denn der heilige
Mann hatte einen ganz besonderen pick auf die
Leichenverbrennuug, über die er seit zehn Jahren
schon alljährlich eine vernichtende predigt hielt.
Immer die gleiche. Da saß nun die verwitwete
Frau Amalie Zapp auf dem Ledersofa im Pfarr-
hof und heulte, was sie konnte. Flammen tanzten
in ihrer Phantasie. Sie dachte an Hölle, Feg-
feuer, Gotha und andere thermische Anstalten und
starrte angstvoll auf den Pfarrer Rrummhuber,
der in dem Testament des verewigten Bösewichts
studierte. Der Pfarrer war aber nicht bloß ein
eifriger Zentrumsmann und Gegner der Leichen-
verbrennung, sondern auch ein Fiuanztalent, wie
so viele seiner geistlichen Parteibrüder. Sein Blick
und sein Gewissen waren weit und er dachte:
„von dem Geld dieser kummervollen, apo-
plektisch veranlagten und durch Gottes unerforscb-
lichen Ratschluß in der Blüte ihrer Jahre so
plötzlich zur Witwe gewordenen Frau kriegt höchst
wahrscheinlich einmal meine Rirche einen fetten
Bissen. Rommt aber das Geld ihres Maunes dazu,
dann ist's noch besser. Und eine kleine Abschlags-
zahlung schaut außerdem gleich jetzt heraus, wenn
man's klug angeht."

Zu der weinenden aber sagte er tröstend und
milde:

„Liebe Frau Zapp! Für mich ist es ohne
weiteres klar, daß Ihr seliger Gatte bei Abfas-
sung dieses Testamentes sich nicht völliger Rlar-

*

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Register
Anton Bischof: November
Fritz Frh. v. Ostini: Herrn Zapps letzte Ruhestätte
Richard Graf Du Moulin-Eckart auf Hohenheim: Die blonde Locke
 
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