Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ijcit seiner Sinne erfreute. Denn warum? Lin vernünftiger Mensch
und Christ läßt sich nicht verbrennen! Und dann kam er mir ja immer
etwas minderwertig vor! Ich will daher, wenn Sie, der rechtlichen
Konsequcnzcn wegen, Ihren Mann in Gotha einäschern lassen, ein
Auge ziidriicken und ihm ein christliches Begräbnis verschaffe», viel-
leicht stiften Sie zur Sühne für das Aergcrnis, das immerhin besteht,
de» kleinen Betrag von zehntausend Mark für ein gottgefälliges Merk.
Sie wiffcn zum Beispiel, daß der Kuhslall unseres pfarrhofcs hoch-
gradig baufällig ist, und der Kostcnvoran schlag für einen Neubau
lautet gerade auf jene runde Summe."

Frau Amalie seufzte auf, erleichtert und bedrückt zugleich. Die
Sache war teuer, aber ihr Gewissen war jetzt wenigstens beruhigt.
Sie handelte noch zweitausend Mark ab und löste gleich am nächsten
Tage die nötigen Fahrscheine für sich und ihren Seligen nach Gotha.
Der letztere war natürlich gasdicht in einem Zinksarg verlötet und
reiste in einem besonderen taniienbekränzten Güterwagen.

Die Sache ging glatt und schmerzlos. Frau Zapp erhielt die
Reste des cingcäschcrlcn Freigeistes in einer Blochurne ausgehändigt,
die sich aber als zu umfangreich erwies, »in in dem eigens dazu mit-
gebrachten Riditul aus schwarzem Plüsch Platz zu finden. Sie sollte
ihren Sebastian ja „eigenhändig" nach Hause bringen — laut dem
Testament ihres — verdammten Seligen!

Man wußte Rat. Sie stampften das schon weiß gebrannte Ge-
bein Sebastian Zapps zu Pulver zusanimen — und jetzt fand der
gute Alaun Raum in einer mittelgroßen Kakaobüchse, die auch weniger
nnheimlich und weniger auffällig anssah. Die Aakaobüchse aber ging
bequem in den plüschridikül und seclcnvergnügt fuhr die ticftrauerudc
Witwe in ihr Hotel.

_ Dort fand sie einen Eilbrief vor. von ihrer Tochter. Diese
Tochter war in der Pfalz verheiratet und schrieb, daß der Storch bei
ihr zum zweiten Male im Anzüge sei und daß Frau Zapp nur um-
gehend kommen möge, wenn sie dabei sein wollte. Und der erste, der
Fritzl, sei sehr elend und Hobe die englische Krankheit. Und Groß-
mama möge nur glcicb alles Mögliche milbringen. Lebertranemulsionen
und Nestlcs Kindermehl und Professor Licbigs Nährkalk für Rhachitische
und Hämoglobineiscnmalzcxtrakt und noch einiges andere.

Mit ihrem Lheherr» und alten Widersacher im baumelnden Ri>
dikül lief Frau Zapp, die in Storchangelcgcnhciten immer sehr auf-
geregt war, von Geschäft zu Geschäft und konnte am Abend, nachdem
alle Einkäufe erledigt waren,, via Frankfurt nach der Pfalz abdampfcn.
Line ganze Kiste voll hygienischer Nährmittel nahm sie als paffagier-
gut mit, den Sebastian Zapp aber als Handgepäck in des Wortes ver-
wegenster Bedeutung.

Allerlei ernsthafte Gedanke» kamen ihr auf der langen Reise,
Gedanken über die Vergänglichkeit alles Irdischen, Gedanken über die
garstige Art, wie sic zusammen gelebt hatten, sie und der Mann im
Ridikül! Sie wurde weich, bettete ihn während der Nachtfahrt sanft
in ihren Schoß und träumte von einem erbaulichen Begräbnis, das
Pfarrer Krninmhuber dem Seligen in Anbetracht von dessen geistiger
Minderwertigkeit veranstaltete!

Ls wurde Morgen und wurde Mittag und der Zug hielt in dem
Nest, wo Frau Amaliens Tochter wohnte. Am Bahnhof wartete eine
KindSmagd mit cincin armseligen kle.ncn, krummbeinigen und blassen
Bübchen, Fritzl, dem Lnkelchen der Frau Zapp. Ihr Großmuttcrherz
quoll mächtig bei diesem Anblick'und am liebsten hätte sie die Nähr-
kiste schon auf dein Bahnhof ausgcpackt und angefangen, das englisch
angekränkelte Kerlchen hygienisch zu füttern. Aber da galoppierte auch
schon der Schwiegersohn heran — und cs sei höchste Zeit! Und sie
kamen gerade noch recht, um zu hören, wie eine höchst geräuschvolle
und korpulente Fra», Namens Meier, rief:

„Das Zweite ist ein Mädchen."

wären sic eine Minute später gekommen, so wäre noch ein Drittes
gekommen! So aber blieb es bei den Zweien, was aber auch schon
genug war. Es gab Unruhe ohne Lude. Oie Neuankömmlinge machten
z» schaffen und der rhachitische Erstgeborene nicht minder.

Ihren Seligen in der Büchse batte Frau Zapp auf dem Bort
ihrer altdeutsch getäfelten Stube provisorisch beigesctzt, wo er sich neben
etlichen weißblancn Faycncekrügen und allen Zinnsachen recht schmuck
ausnahm. weiter dachte sie nicht mehr an ihn, es gab zu viel zu
tun. Galt es doch zwei Ammen zu überwachen, die man, durch Fritzels
mangelhafte Entwicklung gewitzigt, eingestellt hatte. Die eine hielt es
mit dem Alkohol und die andere mit einem Gefreiten von der Artillerie,
und beides war vom Uebel.

Ls war eine schreckliche Zeit und ein Trost nur war, daß der
kleine Fritzl ebenso aut gedieh, wie die Zwillinge. Seine krummen
Beinchen streckten sich, die Knochen wurden kräftiger, das Fleisch fester,
die Wangen röter. Das Letztere käinc von dem Hämoglobincis'nmalz-
cxtrakt, das Mittlere vom Kindermchl und das Erstere voni Nähckalk,
sagte der Hausarzt, der die ganze chemische Diät verordnet hatte.

So verging die Zeit.

Schließlich war für Frau Amalie Zapp, die jetzt fast zwölf Wochen
im Sause gewesen war, Ammen bewacht, Säuglinge gebadet, gekleidet
und gewogen und den Fritzl gefüttert hatte, nichts mehr zu tu». Als
ihr die Fran Tochter ein neue; seliges Geheimnis ins <vhr flüsterte,
erklärte sie, abreiscn zu müssen. Sie packle ihre Sachen und dachte
jetzt, nach Wochen zum erstenmale wieder an die irdischen Ueberreste

ä l’lmpardal

Alexandre Lunois Paris)
Register
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen