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Nr. 48

JUGEND

1909

Der stolzere Gang

An einem Tag, er nannte sich noch Sommer
Und war, ihm selber unbewußt, schon Herbst,
Lag wie so oft auf üppiggrüncm Rasen
Der Bund der jungen Freunde, Maler, Dichter
Und Forscher, um den jungen Apfelbaum,

Der dieses Hügels grüner Leuchtturm war.

Sie träumten vor sich hin. Da sprach der Maler,
Der jetzt sehr schweigsame, — ein Liebeskummer
Verschloß ihm den einst so gesprächigen Mund —
llitb sprach, als sprach' er nur zu sich:

„Ihr Gang,

Wenn sie durch meine Träume schritt, war schön;
Doch war mein Traum ein Stümper,

der sich schämte,

Wenn sie mein waches Auge schreiten sah,

Das Widerspiel der schlanken Glieder zähmend
Durch den beherrschten Stolz der

keuschen Jugend.

Wie trug sie königlich die edle Krone
Der blonden, vollen Flechten, o, wie bog
Sich demütig und stolz der feine Hals,

Indes die zarten Schultern leise bebten,

Als wär' das sanfte Hügelpaar der Brust,

Es wölbte kaum das Kleid, für diesen Nacken
Schon eine Last, ach, eine süße Last,

Denn ihre schmalen Füße schwebten leicht,

Als wären Flügel ihr beflissene Helfer.

So wie in eines ernsten Reigens Maß,

Trug sie die Würde ihrer keuschen Jugend." —
Er schwieg und schloß die Lider. Auf den Lippen
Der Freunde bebte wie Musik ein Name,

Doch Keiner sprach. And Jener sagte:

„Heute

Sah ich sie wieder schreiten. Ach, ihr Gang
Ist nicht mehr mein! Wer weiß denn,

ob ihr Gatte

Die Gnade dieses Schreckens kennt! Und doch,
Was zweifle ich? Ward doch ihr Gang

noch stolzer,

Als da er mein war! Ihres Halses Stengel
Trägt noch bewußter dieses Hauptes Blüte
Und ihre zarten Schultern freun sich jetzt,

Des vollern Busens holde Last zu tragen.

Wie eine Flamme schwebte sie dahin
Und rührte kaum den Boden

Und er schwieg.

Und alle schwiegen. Doch den Apfelbaum
Erschütterte ein Beben und er rauschte;

Und in den Schoß des Malers fiel ein Apfel
Und sagte nichts und sprach: Jch bin derHerbst..

Hugo Salus

Sffst, Sffft, pfiffen die Schrapnelle durch die
Luft. Am Fimmel erschienen weiße Wölkchen
wie helle, weiße Lämmerwölkchen und gleich da-
rauf stäubte darunter der Erdboden auf in hun-
derten von kleinen grauen Fontainen, wie ein
schwerer Hagelschauer auf einer Pfütze, und jede
Staubfontäne barg eine tödliche Bleikugel.

Die 3. Kompagnie des 8. sibirischen Schützen-
regimenis lag in einem vorgeschobenen Feldwerk.
Seit acht Tagen lag sie hier. Müde und stumpf
saßen die Mannschaften in den Unterständen.
Mannsstarke Baumstämme und darüber zwei
Meter festgestampfte Erde sicherten sie vor den
Geschossen. Doch in dem engen Raume waren
ihre Glieder steif und starr geworden wie Blei.

t

Die feuchte Erde haftete in dicken Krusten an
ihren Mänteln und ballte sich in unförmigen
Klumpen an ihren Stiefeln. Dumpf und stickig
war die Luft und der Boden erzitterte leicht,
wenn in der zur Rechten liegenden Mörserbatterie
Geschütz auf Geschütz sich löste.

Der Kompagnieführer Hauptmann Sergei Ser-
gewitsch stand mit dem Leutnant Azow im Schützen-
graben am Ausguck gegen den wall gelehnt. Sie
hatten die Gläser vor den Augen und schauten
unverwandt hinaus. Grau und öde dehnte sich
die Steppe vor ihnen, hinter den Hügeln, die
den Horizont begrenzten, lagen die Japaner. Nichts
war von ihren Werken zu sehen, nur das Auf-
blitzen der Geschütze und das schwache Empor-
steigen der Rauchwolken verrieten ihre Stellung.

Sergei setzte das Glas ab und wandte sich an
Azow. Die Augen waren ihm müde vom an-
gestrengten Beobachten, „wenn wir noch lange
hier liegen, bringe ich die Kompagnie nicht mehr
aus den Unterständen heraus ins Feuer, weiß
der Himmel, wo die japanischen Schützen einge-
graben liegen! Nun, immer besser, wir kommen
mit ihnen ins Feuer, als daß sie uns hier mit
ihren Haubitzen. . . ." Er brach ab. wenige
hundert Meter vor ihnen stäubte eine riesige
Wolke von Ranch und Erde auf, und als sich der
Oualm verzog, lag vor ihnen eine tiefe Furche,
die die feindliche Granate aufgewühlt hatte wie
die Bugwelle eines Schiffes.

Der Hauptmann wurde ernst. „Das gilt uns,
kommt!" Er ging wenige Schritte zur Seite,
wo er freien Ausblick nach rückwärts hatte. Da
wirbelte es auch schon hinter dem Werke auf in
Staub und Rauch. „Sie haben uns hier entdeckt,
und schießen sich ein." Er blickte zum Himmel.
In ihrem Rücken hatte sich der Horizont aufge-
hellt und eine helle wand war an Stelle der
grauen Nebelwolken getreten, „verdammt, wir
müssen uns wunderbar abheben vom hellen Hinter-
gründe, und ehe fünf Minuten vergangen, haben
sie uns gefaßt." Er sprang ans Telephon und
rief die Mörserbatterie an. „Hier Unterstand V, 8.
Japanische Haubitzbatterie bildet Gabe! auf uns.
Bitte um Ablenkung des Feuers." von drüben
kam die Antwort. Er erblaßte. „Die feigen
Grinde," zischte er durch die Zähne. „Sie wollen
uns nicht helfen, sie werden selbst beschossen."

Da stäubte es wieder vor ihnen auf. Jetzt
kaum mehr 200 Meter vom Werke entfernt.
Stumm lehnten die beiden Offiziere am walle
und starrten dein verderben entgegen, das sie
immer enger einkreiste, wie das Wasser, das an
einem Gefesselten in die Höhe steigt, bis zu den
Knien, zur Brust, bis zum Hals und jetzt rinnt
es in Mund und Nase. Jetzt schlug *50 Meter
hinter dem Feldwerk eine Granate ein, nun
\00 Meter davor, 75 dahinter, 50 davor, 25 da-
hinter. Da krachte es dumpf in gleicher Linie
mit den Offizieren. Erdschollen schlugen ihnen
ins Gesicht. Ein Brustwehrtreffer. Sie waren in
den nächsten Unterstand geflüchtet. Teilnahmslos
und stumpf saßen hier die Leute, das Gewehr
zwischen den Beinen.

— Else Mehrle —

Sergewitsch warf einen flüchtigen Blick auf
sie und setzte sich mit Azow neben dem Ausgang.
„Macht Euch fertig auf den Tod," wandte er sich
an seinen Leutnant. „Die Gelben haben jetzt
die genaue Entfernung, nun suchen sie die ganze
Brustwehr ab mit ihren Granaten, rechnet Euch
aus, wie lange wir noch zu leben haben." Er
fing einen Blick Azows zur Decke auf. „Gebt
Euch keinen unnützen Hoffnungen hin, durch die
meterdicke Erdschicht gehen die Granaten wie durch
Wasser und die dicken Balken knicken sie wie
Schwefelhölzer. Ich sah vor Jahren auf dem
Schießplatz bei Petersburg ein Schießen unserer
Haubitzen. Da waren in dem einen Unterstand
50 Hammel eingesperrt. Und nach dem Schießen
ritten wir hin. Da hatte eine Granate einen
liefen Trichter in den Unterstand gewühlt, und
daraus drang eine Wolke giftigen Gases, sodaß
wir noch eine Stunde warten mußten, ehe wir
heran konnten. Da lagen die Hammel teilweise
schrecklich verstümmelt vom zersplitterten Holz,
und andere ohne jede äußere Verletzung, aber
mit grausig verdrehten Hälsen und herausgereckteu
Zungen und die Augen im Kopfe gewendet, so-
daß nur das blutunterlaufene Weiße uns entgegen-
starrte. Der Luftdruck hatte sie getötet, und der
scheußliche giftige Oualm."

Draußen detonierte es in ununterbrochener
Folge und in tiefen Furchen zerpflügten die Gra-
naten den Erdboden. Der junge Leutnant war
leichenblaß geworden. „Laß uns hinaus, mein
Hauptmann, laßt uns draußen fallen wie Männer
in freier Feldschlacht. Ich habe mich gedrängt
in diesen Krieg, ich habe mich von meinem pol-
nischen Regiment, das auf der wach an der
deutschen Grenze stand, hierher versetzen lassen,
ich dachte an frohen, offenen Kampf, an jauch-
zenden Angriff mit dem Säbel in der Faust, und
nun soll ich mich hier wehrlos abschlachten lassen,
gebunden an fänden und Füßen, wie ein Stück
Vieh, wie einen Hammel."

Der Hauptmann wies hinaus. „Geht! Draußen
ist sicherer Tod. Ihr fallet nutzlos; eine winzige
Hoffnung bleibt uns hier." Die Mannschaften
begannen unruhig zu werden, einzelne schrieen
auf, andere zogen ihre Heiligenbilder aus der
Brust, und bewegten inbrünstig betend die Lippen.
Azow war aufgesprungen und blickte verzweifelt
auf Sergewitsch. Der saß da in sich zusammen-
gekauert, starr und stumm, und ein verächtliches,
eisiges Lächeln um die Mundwinkel. Er stürzte
dem Ausgange zu. Doch ehe er das Freie er-
reichte, da barst die Decke. In blendender Helle
blitzte es auf und erfüllte mit grünem Lichte den
engen Raum und beleuchtete wahnsinnig ver-
zerrte Gesichter. Das Krachen der explodierenden
Granate vermischte sich mit einem einzigen un-
artikulierten Schreie.

Azow fühlte sich in hohem Bogen fortgeschleudert
und ihm schwanden die Sinne. Als er erwachte,
lag er bedeckt mit Erdschollen und den Kopf fest-
geklemmt in einem zersplitterten Balken. Er
konnte sich nicht rühren, und die scharfen Splitter
drangen ihm in den Schädel. Aus dem Trichter,
den die Granate gewühlt, drang es in dichtem
schrecklichen Schwaden, vermischt mit dem grauen-
haften Gerüche dampfenden Blutes und ver-
brannten Fleisches. Langsam breitete sich die
giftige Wolke über den Boden aus, alles erstickend,
was noch eine Spur von Leben in sich trug, wie
eine grausige Schlange kroch sie über den Leib
des jungen Offiziers. „Sie haben uns gewürgt
wie Hammel," bebten seine Lippen in ohnmächtiger
Wut, während der tötende Oualm ihm in Mund
und Nase drang.

Raoul Asten
Register
Hugo Salus: Der stolzere Gang
Raoul Asten: Krieg
Else Mehrle: Vignette
 
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