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Die Sankt Floriansbi'-ke

Hoch auf dem Kirchendach beim Turm
Steht Tag und Nacht Sankt Florian.
Kräht irgendwo der rote Hahn,

Dann läuten feine Glocken Sturm.

Doch bei dem heiligen Florian
Steht eine Birke, grün und weiß.

Wie kam das maienhelle Reis
Zu ihm ins Wolkenreich hinan?

Das ist ein Wunder. Es geschah
Bei einem Brand vor Jahr und Tag,
Als alles Volk in Andacht lag
Und keiner dessen sich versah.

In Asche lag schon Haus an Haus.

Die Wetterhähne kreischten laut,

Als sie den roten Hahn erschaut.

Die Winde bliesen mit Gebraus.

Die Funken stoben steil und schräg
Schon ins Gebirg in wildem Lauf.

Da machte sich ein Birklein auf

Und nahm durchs Zwergholz seinen Weg.

Das dürre Zwergholz kohlte schon.

Die Birke aber schritt voll Mut
Quer durch die Flammen und die Glut
Und wanderte zum Schutzpatron.

Durch zwanzig Gäßchen kreuz und quer
Zur Kirche, draus ein Bittgesang
Und dunkles Orgelbrausen klang,

Schritt sie ein helles Wunder her.

Und schritt vorbei beim Sakristan.

Der traute seinen Augen nicht
Und sprach mit staunendem Gesicht:

Die wandert zu Sankt Florian!

Sie schritt in hellem Frühlingsflor,

Schritt stolz und aufrecht durchs Gewühl
Und stelzte übers Kirchgestühl
Und stand alsbald im Kirchenchor

Und stieg bis in das Glockenhaus
Und stieg und steuerte gemach
Durch eine Lucke auf das Dach
Und stand am Ziel und ruhte aus

Und neigte sich vor Florian

Und sprach: O Herr und Schutzpatron,

Ich bin voll Angst zu dir geflohn,

Als meine Augen Feuer sahn.

In Flammen steht die ganze Stadt.

Sie stürmen jeden Berg hinan.

Beschirme uns Sankt Florian
Der uns schon oft gerettet hat.

So sprach sie und das grüne Haar
Flog um die blühende Gestalt
Und nahm sein Herz mit Sturmgcwalt,
Obwohl er ganz aus Marmor war.

Er sprach: Dein Wunsch ist schon erfüllt.
In Strömen gießt der Regen schon.

Ich bin ein treuer Schutzpatron.

Sieh, wie das Wasser rauscht und quillt!

-... ...

F. Hochstimm (Wien)

Ein Wunder ist für dich geschehn.

Der Wundertäler heischt nun Dank.

Da sah er, wie sie niedersank,

Und mochte sie nicht kuieen sehn

Und hob sie auf und sprach zu ihr:

Es ist so einsam wolkenhoch

Auf diesem Dach. Zwar andre noch

Und stolzre Heilige stehn bei mir,

Doch diese Heiligen sind von Stein,
Von Stein wie ich und staunen kaum,
Wenn eine Wolke wie ein Traum
Vorüberzieht. Ich biu allein.

In steter Sehnsucht müßt ich stehn,
Zögst wieder du von dannen, Kind.

Da säuselte sie leis und lind:

Ich will ja nimmer von dir gehn!

Und steht seither in Lieblichkeit
Und Lust beim heiligen Florian
Und selten kräht der rote Hahn
Seit jener wunderbaren Zeit.

Max Fleischer (Wien)

Renees Polterabend

Von Raoul Auernheimer (Wien)

Nun aber begann Renees richtige Braut-
zeit, eine offizielle Brautzeit mit allem, was
dazugehört: Verwandtenbesuche und Gratula-
tionen, Wohnungssuche, rührende Briefe ehe-
maliger Gouvernanten, Laufereien zum Standes-
amt, Nervosität, Küsserei, taktlose Witze und
Hochzeitsgeschenke. Alte Tanten schickten Sil-
ber-Bestecke, ehemalige Geschäftsfreunde Vasen,
Großmama gab einen Smyrnateppich, Cousinen
Pölster mit eingestickten schnäbelnden Tauben
oder einem bellenden Hündchen in Blumen-
girlanden, und nur ein Großonkel, der einzige
in der Familie, der Geld hatte, sagte, er wolle
keine Dummheit schenken und deshalb werde
er lieber warten bis zum ersten Kind. „Da
kann er lang warten/' sagte Renee; denn es
lag nicht in ihrer Absicht.

Doktor Messerschmied wurde, seitdem er der
Bräutigam war, sehr zärtlich. Er speiste täglich

bei Renee und verbrachte seine ganze freie Seit
bei ihr. Da Mama sehr viel Besorgungen w
machen hatte und sie viel allein ließ, so konnte
es gar nicht anders fein, als daß Messerschmied
sich richtig in Renee verliebte. Denn er war
ein etwas schwerfälliger Patron und hatte eigent-
lich nie mit anständigen Mädchen zu tun gehabt
wie etwa Rudi Mohr. Infolgedessen überschätzte
er die Gattung und unterlag schon ihrem ge-
nerellen Zauber willenlos. Er verliebte sich so.
zusagen in Renees typische Qualitäten; daß
sie aber außerdem so hübsch war, verdrehte ihm
völlig den Kopf. Seine Patienten hatten um
diese Zeit nichts zu lachen. Er dachte fort-
während an Renee und drückte die Plomben
so heftig in die Zähne seiner Nächsten, als
wären es Küsse auf der Geliebten Mund.

Renee war von seiner Leidenschaft nicht ent-
zückt. Sie heiratete, weil sie in ihm instinktiv
den Ehemann witterte, den sie brauchte: Einen
Mann, der zu bestimmten Stunden regelmäßig
außer Haus beschäftigt ist und gut verdient.
Mit Liebe hatte das nicht viel zu schaffen, und
seine zudringliche Zärtlichkeit war ihr zuwider.
Dennoch ließ sie sich sie gefallen, denn sie sah
ein, daß es jetzt noch nicht an der Zeit wäre,
mit passiven Gunstbezeugungen zu kargen. Sie
verhielt sich musterhaft, war immer zu Hause,
leistete ihm immer Gesellschaft. Und während
ihrer ganzen Brautzeit, die sich doch über mehrere
Monate erstreckte, besuchte sie kaum ab und zu
einmal ihre Freundin. Allerdings war es eine,
die kein Telephon hatte.

An solchen Nachmittagen kam sie dann mit
Rudi Mohr zusammen. Er wartete ganz nahe
von der Freundin in einem Fiaker auf sie;
krampfhaft Zigaretten rauchend, damit die Schei-
ben undurchsichtig würden, wozu der Frost
übrigens das feinige beitrug. Nach einer Weile
kam Renee, äugte und huschte an den Wagen
heran, an dessen Scheiben es leise klopfte. Der
Schlag ging auf, ein Zylinder glänzte, ein
seidnes Röckchen knisterte, die Tür fiel zu —
und schon mischte sich ihr Parfüm mit seinem
Rauch, während die Pferde trabten und das
Liebespaar aus dem Lärm der Stadt in die
stillere Umgebung hinaustrugen.

Sie fuhren jedesmal anderswohin: In den
Prater, nach Grinzing, nach Nußdorf, nach
Hütteldorf. Zuweilen kratzte Renee mit ihrer
in Handschuh gefangenen Hand oder mit dem
Stil ihres Lorgnons ein kleines Guckloch in die
verfrorene Scheibe und lugte hinaus; sah Licht-
geschmeide wie Diamantenrivieren längs der
Häuser glänzen, sah das Dunkel armer Vorstadt-
straßen draußen lauern, sah elegante Herren mit
Zylindern, Damen mit Federhüten, oder Weiber
in Umschlagtüchern, halbverhungerte Kinder mit
blauen Nasen, traurige Dirnen mit grellge-
schminkten Lippen. . .

„Merkwürdig," sagte Renee, die das Ge-
heimnis lockte: „Merkwürdig! Ich Hab keine
Ahnung, wo ich bin."

„Ist das nicht eigentlich reizend?" fragte
Rudi Mohr, den Arm um ihre Taille: „Man
fährt durch eine fremde Stadt, an tausend frem-
den Menschen vorbei, die uns nicht kennen, die
mir nicht kennen, und die es sich nicht träumen
lassen, daß die Liebe mitten unter ihnen hin-
durchsährt... Mir kommen diese Wiener Fiaker
immer vor wie die verliebten venezianischen
Gondeln. . . Wer kennt sich aus im Wirrsal
dieser Kanäle? Man küßt seine Liebste, hört
ihr Herz schlagen, spürt es . . . und läßt den
Gondoliere rudern, wohin er will. Genau wie
in Venedig..."

„Ach!" sagte Renee traurig und mit ihrem
hübschesten Lächeln: „Sprich nicht von Venedig!
Dorthin werd ich die Hochzeitsreise machen."

„Du Aermste!" sagte Rudi Mohr. „Und
was glaubst Du, wie schrecklich wird das erst
für mich sein?"

Er seufzte, tat aber nichtsdestoweniger gar
nichts, um diesen Ausgang zu verhindern. Und
er hätte doch noch immer können, denn man
war erst nach dem ersten Aufgebot. Drei schreibt

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Register
Fritz Hochstimm: An der Mauer
Raoul Auernheimer: Renées Polterabend
Max Fleischer: Die Sankt Floriansbirke
 
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