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Graf: Ich bin Dir sehr, sehr dank-
bar. Es ist wirklich ein Freundschafts-
stück. Ich hätte ja garnicht gewagt, Dich
Deiner Praxis zu entziehen, aber wenn
man das Liebste verlieren soll . . .

Arzt: Ich bitte Dich, es war doch
ganz selbstverständlich. Leider kann ich
ja auch nichts mehr tun. Du mußt Dich
darauf gefaßt machen, daß sie... hinüber-
schläft.

Graf: Ja, ja, ich weiß.

Arzt: Sie hat ein sanftes Ende.

Graf: Gottseidank. Glaubst Du, daß
sie leidet?

Arzt: Aber bestimmt nicht.

Graf. So jung... so schön. . . und
so lieb!

Arzt: Ihr habt sehr glücklich gelebt?

Graf: Unsagbar glücklich. Trotz des
Alterunterschiedes. Trotz der Einsamkeit
hier im Schloß.

Arzt: Und trotz Deiner wissenschaftlichen
Neigungen. Du warst doch immer ein Bücher-
wurm.

Graf: Und sie kam aus dem rauschenden
Leben. Ja, aber weißt Du, es gibt wirklich
Ehen, die im Himmel geschlossen werden. Jeder
Gedanke, jedes Gefühl von ihr gehörte mir.
Sie war wirklich in gewissem Sinne mein
Geschöpf.

Arzt: Jeder Gedanke?

Graf: Ja, und ich wüßte auch nicht, daß
ich ihr jemals etwas verhehlt hätte. Und nun . .
(Die Stimme versagt ihm. Lange Pause.) Grau,
grau. Oede alles, wohin ich sehe.

Arzt: Ja, das Leben ist schwer. Aber Du
hast doch was gehabt, und hast die schöne, reine
Erinnerung. Denk mal an mich.

Graf: Nun, lieber Freund, Du hast Deinen
Beruf und bist ein berühmter Mann.

Arzt: Sprechen wir nicht davon. Du hast
recht: Ich bin doch etwas kaput. Ich will mich
lieber nebenan einen Augenblick hinlegen. Später
löse ich Dich ab. Dir fallen ja auch die Augen zu.

Graf: Nein, ich könnte ja doch nicht schlafen.
Aber Du mußt natürlich ruhen. Bitte, klingle
dem Diener, daß er Dir eine Decke bringt.
(Sie schütteln einander die Hände; der Arzt ab.)

Dritte Szene

(Der Graf tritt an das Bett der Gräfin und
betrachtet sie lange. Er beugt sich nieder und küßt
sie leise auf die Stirn. Sie liegt unbeweglich. Dann
setzt er sich auf einen der Sessel, so daß er die
Kranke im Auge behält. Nach einigen Minuten fallen
ihm die Augen zu, er öffnet sie mit Anstrengung
wieder und scheint dann einzuschlafen. Jetzt erwacht
die Kranke. Sie blickt nach allen Seiten unruhig
um sich; als sie den schlafenden Grafen sieht, holt
sie mit zuckenden Bewegungen einen kleinen Schlüssel
hervor, der im Bett versteckt war. Sie erhebt sich
mühsam, schleppt sich keuchend und von Angst ge-
schüttelt zum Schreibtisch und öffnet hastig ein Fach.
Dem Fache entnimmt sie ein Bündel Briefe, das sie
inbrünstig küßt. Dann wirft sie es in den offenen
Kamin. Die Briefe verbrennen. In diesem Augen-
blick erwacht der Graf. Er erkennt sofort die Situa-
tion. Die Gräfin bricht mit einem gellenden Schrei
an ihrem Bett zusammen).

Graf: Marie, Marie! (Er reißt sie empor.)
Sprich! Wer? Sprich! (Er hebt den Körper
aufs Bett, stürzt zum Kamin uud stöbert mit dem
Feuerhaken in der Asche.)

Vierte Szene

(Dieselben; der Arzt und die Wärterin stürzen herein.)

Arzt: Was ist denn? (Er beugt sich über die
Gräfin.) Sie ist hinüber.

Graf (verwirrt lallend): Stumm? Auf ewig..
Ich werde nie... nie.. . (Er bricht zusammen.)

Wärterin: Gott sei uns armen Sündern
gnädig I

Ulanen

Es ist kein schöner Reiten
Als mit dem Morgenwind
In unbekannte Weiten
Auf Rossen pfeilgeschwind!

Der Lanzen schlanke Fahnen
Weh'n mut- und lustgeschwellt,

So ziehn wir froh ins Feld —
Ulanen!

Uns schert nicht Bach und Graben
Nicht Hürde, Zaun und Heck',

Wir fliegen wie die Raben
Im Sturme drüber weg!

Da braucht kein Sporn zu mahnen
Und kein Kommando schallt,

Wir sehn und nehmen's halt —
Ulanen!

Und kommen wir ans Städtchen,
So nehmen wir im Sturm
Halt auch die schönen Mädchen,
Uns schert nicht Wall und Turm!
Mit unfern Lanzen bahnen
Durch Gitter, Schloß und Tür
Kühn alle Wege wir
Ulanen!

Wie schnell die Stunden gleiten!
Lebwohl nun, süßes Kind!

Es ist kein schöner Reiten
Als mit dem Morgenwind —

Von dämmrigen Altanen
Klingt leise noch einmal
Ein Seufzer nach ins Tal —
„Ulanen I" ....

H. De Dora

Der Psycholog

von (Camille Mauclaw

Sie hieß Louisette und lebte von ihrem tristen
Metier wie so viele andere, aber sie war dabei
sanft und bescheiden geblieben, betrank sich nicht
und kannte keinen Zuhälter. Es schien, als
hätte ihre Seele heimlicherweise Unbefangenheit
und Zartsinn bewahrt, als etwas, das für dies
Handwerk unnütz war und ungekannt in ihr
schlummerte. Man sah Louisette weder in den
Promenoirs der Chantants, noch in den Tanz-
lokalen auf Montmartre oder auf den grellbeleuch-
teten Terrassen der Boulevardcafes. Sie flanierte

in den mäßig erhellten, ruhigen Gäßchen
um das Chatelet herum, und sie verdiente
wenig Geld. Aber trotzdem war sie stets
nett gekleidet und ihr Sinn für peinliche
Ordnung und Reinlichkeit erstreckte sich
ebensowohl auf ihre Person wie auch auf
die bescheidene Wohnung, die im fünften
Stockwerk eines alten Hauses der Rue
St. Opportune gelegen war, mit der Aus-
sicht auf die Seine und die spitzen Türme
der Conciergerie jenseits des Stromes.
Sie war gut gewachsen, schlank und
biegsam, was ihren einzigen Charme aus-
machte; denn ihr Gesicht schien auf den
ersten Blick hin gewöhnlich und unbe-
deutend. und nur einem aufmerksamen
Beobachter wäre die seltsam schwere Me-
lancholie ihrer großen Augen ausgefallen,
die von einem auffallenden Blau waren,
fast violett erschienen. Man hatte sie
stets nur Louisette geheißen, und dieser
Name war ihr auch später geblieben. Sie war
eine Waise, hatte als Dienstmädchen bei einer
Spießbürgerfamilie in der Provinz gelebt und
war mit sechzehn Jahren von dem Hausherrn
verführt worden. Sie erinnerte sich nur un-
deutlich und ungern an diese Zeit, an den länd-
lichen Friedhof, wo ihr Kind begraben war. Im
Gegensatz zu früher schien ihr das jetzige Dasein
fast beneidenswert schön und ruhig. Ueber Roh-
heit seitens der Männer hatte sie sich nicht zu
beklagen, da sie ihnen unterwürfig begegnete;
es gab manche darunter, die ihr gefielen, und
selbst jene, die ihr gleichgültig waren, hatten
nie versucht, sie zu verspotten oder mit ihr brutal
zu sein, angesichts ihres stillen Wesens, ihrer
graziösen und harmlosen Fügsamkeit.

Eines Abends, da sie des strömenden Regens
wegen früher als sonst heimkehren wollte, um
zu dinieren, begegnete sie einem jungen Mann,
der mit einfacher Eleganz gekleidet war. Da
er vor ihr stehen blieb, murmelte sie ihm ihre
schüchterne Einladung; doch er antwortete nicht,
betrachtete nur ihre Augen mit einem seltsam
ironischen Lächeln. Dann sagte er unvermittelt:
„Ich möchte schon, aber ich kann nicht. . ."

„Warum?" fragte Louisette. Er fixierte sie
abermals, wie amüsiert durch irgend eine geheime
Idee, und sie fand ihn schön, distinguiert, aber
mit einem grausamen Zug in seinem Lächeln.
Er fuhr fort: „Ich habe kein Geld."

Und da sie daraufhin sich einige Schritte
entfernte, enttäuscht und doch auch wieder er-
staunt über den Kontrast zwischen dieser Antwort
und dem eleganten Aeußeren des Passanten,
setzte er schnell hinzu: „Oh, ich verstehe... Du
glaubst, daß ich scherze, weil ich gut gekleidet
bin. . . Aber dieser Anzug gehört nicht mir,
ein Kamerad hat mir ihn geliehen... im anderen
Falle hätte ich ihn schon längst in das Versatz-
amt getragen. . .

Ich bin ein Student, aber meine Familie
hat jeden Verkehr mit mir abgebrochen, wegen
einer dummen Spielaffäre . . . Und nun hat
man mich auch in meinem Hotel vor die Tür
gesetzt, da ich seit zwei Monaten den Zins
schulde. . . Ich weiß nicht einmal, wo ich heute
schlafen werde... Du siehst, Kleine, das Leben
ist nicht immer rosig. Auch für Dich nicht,
denke ich, denn Du siehst bescheiden und gut-
mütig aus, und ohne Dich kränken zu wollen,
möchte ich doch behaupten, daß Du dieses
Metier nicht zu Deinem Vergnügen treibst. . ."

„Gewiß nicht," erwiderte sie naiv. „Aber
man will doch leben!"

„Eben deshalb I" sagte er hastig. „Umso
besser, wenn Du nicht Hunger leidest. . . Gute
Nacht!"

Er machte Miene, sich schnell zu entfernen;
doch dann hielt er abermals an und setzte hinzu,
mit heiserer Stimme, leise und voll Scham:
„Ich habe schon seit gestern früh nichts ge-
gessen ..."

„Oh!" rief Louisette erschreckt aus. Und
instinktiv griff sie nach seinem Arm und zwang

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Register
Heinrich Kley: Illustration zum Text "Ulanen"
A. De Nora: Ulanen
Camille Mauclair: Der Psycholog
 
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