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Das kennen

t^tax tVia^rsdoker (lViüncben)

ihn zum Stehenbleiben. Er blickte sie mit selt-
sam grellen, trockenen Augen an und knirschte:
„Wenn ich nur soviel Mut hätte, um mich von
der Brücke in den Strom zu werfen ..."

Louisette sagte nervös, atemlos: „Das wäre
noch schöner! Komm lieber mit mir, es ist ganz
nahe. Ich wollte eben zum Diner zurück. Ich
habe Schinken und Weißwein zuhause, und
dazu mache ich Dir einen Kaffee!"

„Du scherzest wohl!" erwiderte er stolz.

„Nimm cs nicht schief!" bat sie dringend.
„Ich sehe ja, daß Du von guter Herkunft bist,
daß es Dir nur momentan schlecht geht. Komm!"

Er ließ sich sortziehen, und sie stammelte in
ihrer Freude konfuse und sentimentale Phrasen,
ohne das bizarre Lächeln ihres Begleiters zu
sehen.

Die Wohnung von Louisette war nett und
überaus rein. Während das Mädchen die Lampe
anzündete und den Tisch deckte, sah er sich
prüfend um.

Louisette erklärte: „Du betrachtest meine
Möbel? Sie sind nicht schön, aber ich sehe auf
Ordnung. Ich habe sie mir nach und nach an-
geschafft ... Aber nun komm und iß!"

Sie ging geschäftig hin und her, kramte in
einem Wandschrank: „Welches Glück! Da habe
ich noch etwas Rum ... ich will ihn über dem
Kaffee mit Zucker verbrennen, das wird dich
besser wärmen als der Wein . . . Aber iß doch!
Wenn ich denke, daß Du seit gestern hungerst!"

Sie nahm eine Schnitte Schinken, im Stehen,
damit ihm das übrige bleibe. Und da er trotz-
dem nur mäßig Zugriff, glaubte sie, daß er sich
geniere.

„Du kannst alles aufessen," ermunterte sie
ihn. „Ich habe gar keinen Hunger. Aber iß
langsam und trinke dazu, damit es Dir auch
bekommt. Du hast doch Zeit?"

„Sicherlich!" sagte er bitter.

Louisette errötete und biß sich die Lippen,
da ihr einfiel, daß der junge Mann obdachlos
sei. Sie sah, daß er unwillkürlich einen Blick
auf das Bett warf, und sie dachte laut: „Du
könntest ganz gut hier bleiben. . ."

Er betrachtete sie mit einem so rätselhaften
Ausdruck, daß sie überstürzt fortfuhr: „Ich sage

das nicht, um Dich etwa . . . nein, nein ... ich
dachte gar nicht daran ... ich wollte nur, daß
Du Dich ausruhst ... Du bist stolz, bist ein
Studierter ... ich begreife ganz gut, daß Du
nicht von dieser Gelegenheit profitieren willst...
glaube mir, ich tu es von Herzen gern, wenn
ich Dich bitte, Dich auszuruhen . .. morgen
kannst Du Dich mit frischen Kräften auf die
Suche nach irgend einem Posten machen ...
es wäre wie unter Kameraden ... man nennt
mich Louisette .. . wer weiß ob wir nicht später
gute Freunde werden können, wenn es Dir
wieder besser geht? . . . Aber nun will ich den
Kaffee aufgießen..."

Er sah sie unverwandt an, wurde rot und
sagte unvermittelt: „Laß den Kaffee, Louisette,
und höre... Du hast schöne Augen und Du
bist ein braves Mädchen... ich hatte vielleicht
unrecht... aber der Spaß hat nun lang genug
gedauert..."

Er war dabei aufgestanden, während sie ihn
ganz entsetzt anstarrte. Er sagte zu sich be-
schämt: „Ich bin trotz alledem ein rechter Flegel,
mit meiner Manie. .. Bah! Es ist ja nur
eine Dirne ..."

Und laut sagte er, mit einem spöttischen
Lächeln, das aber verzerrt war: „Ich Habemir
einen Scherz mit Dir erlaubt... ich bin nicht
arm. Ich wollte mich amüsieren, wollte probieren,
ob Du mir auf den Leim gingest... Du warst
sehr lieb, Louisette ... ich möchte nicht, daß Du
etwa böse bist und Dir umsonst Auslagen ge-
macht hast.. ."

Er legte dabei einige Goldstücke auf den
Tisch. Louisette wurde totenblaß und sagte
erstickt: „Warum hast Du das getan? Warum
hast Du gelogen?"

„Weil ich ein Schriftsteller bin und meine
speziellen Studien über den Charakter der
Weiber mache... aber das begreifst Du nicht...
Nimm es nicht krumm, da die Geschichte trotz
alledem gut endet!"

Louisette wiederholte: „Es war also gar
nichts Wahres an dem, was Du erzählt hast .."

Es wurde ihm schwül zu Mute, da die blauen
Augen des Mädchens fast schwarz blickten. Er

sagte hastig: „Gute Nacht!" und öffnete die Tür.

Aber Louisette fuhr auf, wie von einem
Peitschenhieb getroffen.

„Lügner! Lügner! Dieb! Feigling! Ich bin
eine Dirne .. . jawohl . . . aber niemand noch
hat sich über mich lustig gemacht, weil ich gut
war, . .. und niemand hat mich so beschimpft
wie Du! Was hast Du denn an Stelle des
Herzens, Du Dieb I Nimm Dein schmutziges Geld
wieder! Nimm es, sage ich Dir!"

Und sie warf die Goldstücke dem perversen
Psychologen nach, der eiligst die Treppe hinab-
eilte. Die Tür schlug mit einem Krach zu.
Und Louisette lief in ihrem Zimmer wie ein
gehetztes Wild auf und ab, schluchzend, ge-
schüttelt von Verzweiflung, Zorn und Haß,
weil sie fühlte, daß dieser elegante Herr, grau-
samer und brutaler als alle Männer, die sie
gekannt hatte, sie um ihr Mitleid bestahl und
auf ihre Seele spie.

(Autorisierte Uebertragung von Franz Fargo)

Frühling

(Ausstellungspark)

Weiße Kastanienflamnieu,
Laubüberleuchtende Blüten —

Zittern Sinne zusammen,

Können Herzen sich hüten?

Schäumender Schneeball, weißer,
Doldenverschleudernder Flieder!

Blicke suchen sich heißer,

Sonne glüht um die Glieder.

Sonne, lebenbeschwörend,

Triest durch strotzende Zweige —
Zärtliche Seelen betörend.

Girrt wie trunken die Geige. . .

Rarl Henkell
Register
Max Mayrshofer: Das Rennen
Karl Henkell: Frühling
 
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