Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 27

J UGEND

1910

Jtn Dicbtercafe A- We>sgerber (München)

Nun, wie steht's nrit Deinem Mxerettenbuch? Ist es schon komponiert?" — „Ich werde doch kein Narr sein und einem
Musiker die Hälfte der Tantiemen abgeben?! Ich stehle mir die Melodien selber zusammen!"

Mtto Erich als Taufpate

Eine Erinnerung von Walter Harlan

Dem künftigen Biographen Otto Erich Hartlebens
möchte ich für den Fall meines vorzeitigen Todes
das Folgende aufschreiben:

Mein Sohn und jetziger Quintaner Peter war
uns eben geboren worden, der Großpapa sollte
Pate stehen und Otto Erich Haitleben. Aber mein
Vater schrieb entrüstet, sein neuer Förster, der wohl
freilich nicht lange dableiben würde, hätte einen un-
echten und schwerhörigen Dackl, der „Peter" hieße,
wie wohl noch hunderte von Pudeln und Dachs-
hunden, ich müsse für den ersten Harlan unter seinen
Enkeln einen anderen Namen ausfinden. Es gäbe
ja weiß Gott tausende von Namen, ganz unbegreiflich
wäre es ihm, wie gerade ich, der sich doch sonst
auf seinen guten Geschmack soviel einbildete, aus
einen solchen Namen verfallen könne, den ja der
Junge nie wieder los würde, und welcher ihn nicht
etwa nur in der Schule zum Gespött seiner Klassen-
genossen machen würde, sondern der „dumme Peter"
wäre doch eben sprichwörtlich: aus Lebenszeit würde
der arme Junge an diesem ekelhaften Namen einen
Zentnersack auf dem Rücken tragen!

Dicht hinter diesem Brief kam mein Vater noch
selbst nach Berlin, angeblich um Kühe zu kaufen —
seit einigen Jahren besaß er einen Land- und Aus-
ruhe-Sitz in Südschlesien —. in Wahrheit, um durch
den Druck seiner persönlichen Anwesenheit seinen
Enkel vor diesem Hundenamen zu behüten. Und
dieser Reisezweck war sein einziger. Von Kühen hat
er sein Lebtag nichts verstanden, hatte sich auch den
Gutsverwalter gleich mitgebracht, den er denn auch
beim Einkäufe dieser Kühe durch gar keine persönliche
Mitwirkung oder Gegenwart störte.

Der ganze Namenstreit schien mir eine durchge-
sührte Machtprobe zwischen Vater und Großvater
nicht wert zu sein. An Lorenzo von Medici, den
königlichen Kaufmann, erinnernd, schlug ich statt
„Peter" den Namen „Lorenz" vor, mein Vater meinte
zwar, ob ich denn niemals etwas von dem „drei-
stöckigen Lorenz" gehört hätte, jeder Mensch stelle
sich, wenn er den Namen Lorenz höre, einen lächer-
lich langen Menschen vor; nachmittags aber, bei
gutem Kaffee und qualmenden Pfeifen, in meiner
damaligen Wohnung am Savignyplatz, einten wir
uns dann doch aus Lorenz, ein Kompromiß war
es, keines der beiden streitenden Männerherzen sühlte
sich satt.

Für abends nach dem Theater hatte ich mich mit
Hartleben ins „Rote Meer" verabredet, er saß mit
einem befreundeten Ehepaar an einem der wohlge-
scheuerten Tische, und also im „Roten Meere" teilte
ich Hartleben mit, daß es nichts würde mit dem
Namen „Peter", mein Vater dächte dabei an einen
unechten, schwerhörigen Dackl, und von jeher wäre
es ja mein Grundsatz gewesen, der väterlichen Au-
torität mich nur in Fragen der Berufswahl und
sonstigen wirklichen Lebensproblemen zu widersetzen.

Um Otto Erichs Brauen hatte sich eine düstere
Wolke gesammelt. Auch in unwichtigen Dingen ist
einem Fanatiker der Freiheit ja alles, was „Autori-
tät" heißt, ein rotes Tuch. Er schwieg und trank,
aber es war, als senkte er seine Hörner.

Die Dame an unserem Tische war durch den
Namen Peter an Peter Allenberg erinnert worden,
mit warmquellenden Worten sprach sie ihr tiefes
Bedauern aus, daß ihr Mann das neueste Buch
dieses „köstlichen Menschen" in Verlag habe, denn
vergiftet würde durch jeden geschäftlichen Beigedanken
die Seelenliebe des Lesers zu einem Dichter. Doch
sähe sie selbst einem freudigen Ereignis freudig ent-
gegen, und wenrlls ein Sohn würde, solle er Peter-
heißen.

Hartleben legte nun seine Faust auf den Eichen-
tisch, die zarte, blasse Faust, — er hat wohl nie von
Herzen geturnt. Dräuend sagte er: „Behrens heißt
Peter!"

Gleich wieder höflich aber, im korrektesten Refe-
rendartone, bat er „durchaus um Entschuldigung",
daß er in diese Familienangelegenheit eingrisfe,
allein die übernommene Patenschast sei ihm „durch-
aus keine leere, kirchliche Form", er habe „die Pflicht,
sich um das Kind zu kümmern, also zunächst auch
um einen rechten und lautlich wohlklingenden Namen."
Wozu auch seine Eigenschaft als lyrischer Schrift-
steller ihn qualifiziere. An den Meister des Sebaldus-
grabes in Nürnberg erinnerte er, der auch Peter
geheißen habe, und an den Apostel Petrus. Von
dein Griechischen Ttsxpoc käme der Name, was ja
„der Fels" hieße, also bedeute der Name Peter einen,
der einen „unverrückbaren Willen" habe, einen „hero-
ischen Willen".

Mein Vater ließ diese Argumente mit der ihm
eigenen, gütigen Höflichkeit ganz an sich abprallen.
Wie wenige Menschen verstünden Griechisch! Die
es aber vielleicht verstünden, die dächten an keine
Ableitung, wenn sie zum Beispiel an einem Firmen-
schilde den Namen „Peter" läsen, und kurz und gut:

nicht einmal Kompagnon von einem Menschen möchte
er sein, der „Peter" hieße.

Damit füllte er wieder aus unserer dicken, dunklen
Flasche sein Glas und sprach von anderen Dingen.

Vor: Handel und Landwirtschaft sprach er, welche
„Lächerlichkeit" es doch eigentlich wäre, daß man
sogar Kühe in Berlin kaufen müsse, aber mit seinem
liebsten Stolz behandelte er dies Thema, dem Han-
seatenstolz des einstigen Kaufmanns. —

Meines grauköpfigen Vaters Burgunderfähigkeil
übertraf die meinige wohl um das Vierfache, er
hatte nichts einzuwenden, als ich mit jenem Ehepaar
gegen Mitternacht nach Bahnhof Friedrichstraße auf-
brach. Er liebte es nicht, in meiner stadtbahndurch-
donnerten Wohnung zu schlafen, er wohnte in einem
Hotel der Mittelstraße und freute sich sichtlich, mit
einem Dichter noch eine weitere Flasche zu leeren,
dessen Geschichten vom Einhornapotheker, vom gast'
freien Pastor und anderen Käuzen ihm in der Stille
seines Land-Witwer- und Jäger-Lebens einige Abende
oder Bahnfahrten bestens erheitert hatten.

Hartleben seinerseits freute sich ebenso sichtlich,
daß er noch nicht allein blieb; mein Vater, den er
seit anderthalb Stunden kannte, mochte ihm außer-
dem als ein Mann erscheinen, wie er noch keinen
auch nur annähernd ähnlichen in seiner Figuren-
sammlung besaß. Während ich an meinen Gummi-
schuhen den gewöhnlichen Aerger halle, rief Otto
Erich mit lautem Weingelächter: „Dein Vater ge-
fällt mir besser als Du!"

Auf diese plötzliche Roheit fiel eine ebenbürtige
Entgegnung mir nicht gleich ein; wer zuerst be-
leidigt, hat es ja immer leichter. Aber noch nach
einem Stündlein, als ich neben der längst schlum-
mernden Geliebten mich leise in mein Bett legte,
taumelte jenes freche Wort durch meine burgunder-
schweren Gedanken. Mindestens über den Vater
steht ihm kein Urteil zu! Was fällt ihm ein, über
einen Bald-Sechziger seine ästhetischen Ansichten mit
lauten Dreistigkeiten zu äußern! „Gefälltmir besser!"
Ah, welche Schamlosigkeit des Dünkels ...

Im nächsten Tagesgrauen ward ich aus tiefem
Schlaf durch heftiges Klopfen geweckt.

Das Mädchen gab mir ein Telegramm durch
die Türspalte.

„Evviva! Dein Vater jetzt mit Peter einver-
standen. Otto Erich."

Dies Telegramm war siebenunddreißig Minuten
nach fünf Uhr vormittags in Berlin ausgenommen
worden.

632
Register
Walter Harlan: Otto Erich als Taufpate
Albert Weisgerber: Im Dichtercafé
 
Annotationen