Auf den Wällen von Mainz
Tief in den alten Wällen
Liegt ein verborgner'Ort,
Da blasen die lustigen Hellen
Trompeten in einem fort.
Es sproßt, es grünt der Nasen
Dem fernen Jubel nach,
Und die Trompeten blasen
Trara! den ganzen Tag.
Wohl auf der Esplanade,
Wohl in das grüne Land —
Und Bürger und Soldate,
Die lauschen wie gebannt.
Laßt blasen die Trompeten,
Laßt spielen in der Luft
Das Harfen und das Flöten!
Der süße Frühling ruft!
2\cu'I Schloß
Die Versöhnung der Feinde
Wer bin ich, daß ich dich umarmen sollte?
Verschlossen und bewegt hör' ich dir zu.
Du aber neigst dich. Dankbar gleitest du
In meinen Arm, der dich ermorden wollte.
Grüßend ins Herz des Gleichen, das dir grollte,
Greift deine Liebe und bringt Waffenruh.
Da reich' ich dir die goldnen Worte zu,
Die ich, im Haß, dir liebend sagen wollte.
Erlittest du, was ich? Durchhallt dich jetzt
Des Bruderzwistes erste Liebesstunde
Brausend, wie mich? Was fehlt zum
ewigen Bunde?
O hätten wir uns tiefer noch verletzt,
Daß unser Blut entströmte einer Wunde,
Eh' es erwacht sich neu zur Wehre setzt! —
Wilhelm von Scholz
Leuchtende Vlächre
Laß diese Nacht dem Vorhang seine Lücken —
Im Garten sprang der Brunnen nie so klar.
Der volle Mond soll dich mit Silber
schmücken,
stlingende Ketten hängt er dir ins Haar.
In deine Wimpern wirft er seine Perlen,
Um deine Glieder spinnt er seinen Glanz,
Den Blättersäumen an den dunklen Erlen
Schenkt er nicht halb so hellen Demantglanz.
Laß deine Stirn mir blühn in Lilienhclle,
Laß deinen heißen Lippen dieses Licht —
O bann sie nicht, die volle Silberwelle!
Bis in den Morgen schließ den Vorhang nicht!
Denn über deinen Traum soll Sonne
sprühn. —
Eh' noch ein Wort der laute Tag dir sprach,
Müssen die roten Rosen wieder blühen,
Die . ich zur Nacht in deinen Gärten brach.
Utax Geißler
W hr kennt sie alle, die Braut. Hundertmal habt
ihr das holde Antlitz gesehen. Eine Million
von Ansichtskarten mit ihrem Bilde geht jährlich
in alle Welt hinaus und verbreitet den Ruhm
ihrer Schönheit über die ganze Erde. 180,000
Fremde von aller Herren Länder kommen Jahr
für Jahr, um sie zu sehen. Und wer sie ge-
schaut hat, dem hat sie es angetan. Ich habe
fischblütige, gesanglose Engländer gekannt, die
kaum ein Wort Deutsch verstanden, die aber,
in der Sommernacht vom Schlosse hernieder-
steigend, mit einer ihnen selbst verwunderlichen
Begeisterung brüllten: Alt Heidelberg, du Feine!
Wenn der Amerikaner über den großen Teich
nach Deutschland kommt, so sieht er Bremen,
Hamburg, Berlin, München, Dresden, vielleicht
auch Nürnberg, Frankfurt, Wiesbaden, Köln.
Nie aber versäumt er, auch der Braut einen
Besuch abzustatten. Nachdem er das Schloß,
das große Faß und den Fuchsschwanz in stummer
Andacht betrachtet hat, geht er über die alte
Brücke, erklimmt den Philosophenweg, schaut
von der Liselotte-Höhe mit indianerhaftem
Pankeeblick der Braut in das süße Angesicht,
nimmt die 100 Dollar-Kamera zur Hand, knipst
und geht in gehobener Stimmung von dannen.
Wir bleiben noch eine Weile stehen. Uns
liegt nicht daran zu knipsen, sondern zu schauen.
Nicht auf dem Film tragen wir das Bild der
Braut heim, sondern im Herzen. Auch wir
haben als Pennäler und Studenten begeistert
das Scheffellied gesungen; jetzt ruht das Auge
des Mannes mit Liebe und Rührung auf den
ewig jungen Zügen der Geliebten, und eine
Woge von Iugendsehnsucht schwillt in unsrer
Brust empor. Träumerisch schweift der Blick
über den grünen Fluß mit dem schäumenden
„Hackteufel", über die äußerlich unscheinbare,
im Herzen so lebensfrohe Stadt hinweg, empor
zum Kleinod deutscher Gaue, zum Heidelberger
Schloß, das, umkränzt von Efeu, Wald und
Wiese, sich an die breite Brust des Königstuhls
schmiegt.
„Auch mir stehst du geschrieben
Ins Herz gleich einer Braut-",
so klingt es wie junges Lieben aus fernen
Iugendtagen, alte, liebe Bilder werden lebendig,
die Gegenwart versinkt-- —
„Donnerwetter, was ist denn das?! — —
Himmel, Herrgott Sakra! Pfui Teufel!!"
Jäh fahre ich auf aus meinem Traum. Ja
-was ist denn das? Umlagern die Schleier
der Vergangenheit mein Auge? Hat uns ein
böser Spuk zum besten?
Ach nein, kein Spuk ist's, sondern scheußliche
Wirklichkeit. Und kein Nebel der Erinnerung
trübt unfern Blick, sondern der ganz gemeine
dicke Rauch eines Fabrikschlots, der genau
unterhalb des Schlosses vom Neckarufer empor-
steigt! Schamlos wühlt sich der gelbschwarze
Qualm aus der mürrischen Esse hervor, frech
und höhnisch breitet er seine Wolken nach allen
Seiten aus und überschmiert das Angesicht seiner
Braut mit greulichen Schmutzstreifen, ihre ganze
Schönheit verhunzend! So geht es Tag für
Tag, Sommer und Winter, Jahr um Jahr!
Das ist der Schlot der „Herrenmühle." Vor
Jahren hat die Stadt der Mühle Elektrizität
zum Selbstkostenpreis angeboten, wenn sie vom
Dampfbetrieb Abstand nehmen wollte. Aber
die Herrenmühle hat abgelehnt. Ja, sie hat
noch einen zweiten, höheren Schlot bauen wollen,
der dem ersten helfen sollte, den Anblick des
Schlosses zu verschandeln. Das ist ihr natürlich
abgeschlagen worden; aber dafür qualmt der
alte Schlot im trotzigen Bewußtsein seiner mehl-
mahlenden Aufgabe umso ärger und übertrifst
neuerdings sogar den Münchner Hauptbahnhof,
der durch seinen fürchterlichen Rauch einen
Weltruf erlangt hat. „Ich bin der Schlot der
Herrenmühlei" ruft er aus, „und habe ebenso-
viel Recht auf meinen Platz, wie meine windige
Kollegin zu Potsdam fel. Angedenkens. Die
brauchte nicht einmal dem großen Fritz zu
weichen, und ich, der ich zehnmal so viel mahle
wie eine lumpige Windmühle, ich sollte mich
genieren, bloß wegen der paar Hunderttausende
närrischer Naturfreunde?"
Nein, du genierst dich nicht, Heidelberger
Schlot! Das Zeugnis stellen wir alle dir aus.
Du weißt gar nicht, was sich genieren heißt.
So wenig wie der Holzknecht aus dem Böhmer-
walde, der zum ersten Male auf der Eisenbahn
fuhr. Den wandelte das Bedürfnis an, die
Gase in Freiheit zu setzen, die sich in seinem
Rezipienten angesammelt hatten. Er tot das
harmlos ungeniert und merkte nicht, daß die
Mitreisenden ihre beleidigten Nasen zum Fenster
hinaushielten.
So auch der Heidelberger Herrenmühlenschlot.
Er merkt auch nichts. Was versteht ein Schlot
von landschaftlicher Schönheit? Was schert einen
Schlot die Romantik der schönsten deutschen
Schloßruine? Und wendet sich der Wanderer
traurig und verstimmt ab von dem beschmutzten
Antlitz der Braut, dann denkt der Heidelberger
Schlot in seiner schwarzen Seele: „A ba! Wenn
du nit herschaue magst, da schaust ebe weg!"
und stößt höhnisch eine neue Rauchwolke aus.
Holzknechte und Dampfschlöte müssen sein.
Wer wollte das bestreiten? Aber es gibt nun
einmal gewisse Flecke auf Gottes Erde und in
deutschen Landen, wo sie ihren Qualm nicht
ablassen dürfen! Wer will das bestreiten? Du
etwa, Heidelberger Schlot? Wie lange willst du
noch mit deinem Qualm das Angesicht der Braut
beleidigen? Wahrlich, du hast dich schon genug
blamiert.
Hebe dich weg, du Schlot, du bist uns
ärgerlich!
Hermann vo» Staden
Junges Sterben
Der dumpfe volle Orgelton verklang.
Sie trugen Dich zu Deinem letzten Gang.
Du lagst versunken tief im Blütenmeer,
Ich sah nur Blumen wandeln vor mir her.
Ich ging befangen wie im schwersten Traum,
In Rauhreif glitzernd standen Busch und Baum.
Sie senkten lautlos Dich in dunkler Gruft
zur Ruh' —
Mir war — Du schluchztest auf:
„O Welt, wie schön warst Du!"
Elisabeth Mephöfcr
Tief in den alten Wällen
Liegt ein verborgner'Ort,
Da blasen die lustigen Hellen
Trompeten in einem fort.
Es sproßt, es grünt der Nasen
Dem fernen Jubel nach,
Und die Trompeten blasen
Trara! den ganzen Tag.
Wohl auf der Esplanade,
Wohl in das grüne Land —
Und Bürger und Soldate,
Die lauschen wie gebannt.
Laßt blasen die Trompeten,
Laßt spielen in der Luft
Das Harfen und das Flöten!
Der süße Frühling ruft!
2\cu'I Schloß
Die Versöhnung der Feinde
Wer bin ich, daß ich dich umarmen sollte?
Verschlossen und bewegt hör' ich dir zu.
Du aber neigst dich. Dankbar gleitest du
In meinen Arm, der dich ermorden wollte.
Grüßend ins Herz des Gleichen, das dir grollte,
Greift deine Liebe und bringt Waffenruh.
Da reich' ich dir die goldnen Worte zu,
Die ich, im Haß, dir liebend sagen wollte.
Erlittest du, was ich? Durchhallt dich jetzt
Des Bruderzwistes erste Liebesstunde
Brausend, wie mich? Was fehlt zum
ewigen Bunde?
O hätten wir uns tiefer noch verletzt,
Daß unser Blut entströmte einer Wunde,
Eh' es erwacht sich neu zur Wehre setzt! —
Wilhelm von Scholz
Leuchtende Vlächre
Laß diese Nacht dem Vorhang seine Lücken —
Im Garten sprang der Brunnen nie so klar.
Der volle Mond soll dich mit Silber
schmücken,
stlingende Ketten hängt er dir ins Haar.
In deine Wimpern wirft er seine Perlen,
Um deine Glieder spinnt er seinen Glanz,
Den Blättersäumen an den dunklen Erlen
Schenkt er nicht halb so hellen Demantglanz.
Laß deine Stirn mir blühn in Lilienhclle,
Laß deinen heißen Lippen dieses Licht —
O bann sie nicht, die volle Silberwelle!
Bis in den Morgen schließ den Vorhang nicht!
Denn über deinen Traum soll Sonne
sprühn. —
Eh' noch ein Wort der laute Tag dir sprach,
Müssen die roten Rosen wieder blühen,
Die . ich zur Nacht in deinen Gärten brach.
Utax Geißler
W hr kennt sie alle, die Braut. Hundertmal habt
ihr das holde Antlitz gesehen. Eine Million
von Ansichtskarten mit ihrem Bilde geht jährlich
in alle Welt hinaus und verbreitet den Ruhm
ihrer Schönheit über die ganze Erde. 180,000
Fremde von aller Herren Länder kommen Jahr
für Jahr, um sie zu sehen. Und wer sie ge-
schaut hat, dem hat sie es angetan. Ich habe
fischblütige, gesanglose Engländer gekannt, die
kaum ein Wort Deutsch verstanden, die aber,
in der Sommernacht vom Schlosse hernieder-
steigend, mit einer ihnen selbst verwunderlichen
Begeisterung brüllten: Alt Heidelberg, du Feine!
Wenn der Amerikaner über den großen Teich
nach Deutschland kommt, so sieht er Bremen,
Hamburg, Berlin, München, Dresden, vielleicht
auch Nürnberg, Frankfurt, Wiesbaden, Köln.
Nie aber versäumt er, auch der Braut einen
Besuch abzustatten. Nachdem er das Schloß,
das große Faß und den Fuchsschwanz in stummer
Andacht betrachtet hat, geht er über die alte
Brücke, erklimmt den Philosophenweg, schaut
von der Liselotte-Höhe mit indianerhaftem
Pankeeblick der Braut in das süße Angesicht,
nimmt die 100 Dollar-Kamera zur Hand, knipst
und geht in gehobener Stimmung von dannen.
Wir bleiben noch eine Weile stehen. Uns
liegt nicht daran zu knipsen, sondern zu schauen.
Nicht auf dem Film tragen wir das Bild der
Braut heim, sondern im Herzen. Auch wir
haben als Pennäler und Studenten begeistert
das Scheffellied gesungen; jetzt ruht das Auge
des Mannes mit Liebe und Rührung auf den
ewig jungen Zügen der Geliebten, und eine
Woge von Iugendsehnsucht schwillt in unsrer
Brust empor. Träumerisch schweift der Blick
über den grünen Fluß mit dem schäumenden
„Hackteufel", über die äußerlich unscheinbare,
im Herzen so lebensfrohe Stadt hinweg, empor
zum Kleinod deutscher Gaue, zum Heidelberger
Schloß, das, umkränzt von Efeu, Wald und
Wiese, sich an die breite Brust des Königstuhls
schmiegt.
„Auch mir stehst du geschrieben
Ins Herz gleich einer Braut-",
so klingt es wie junges Lieben aus fernen
Iugendtagen, alte, liebe Bilder werden lebendig,
die Gegenwart versinkt-- —
„Donnerwetter, was ist denn das?! — —
Himmel, Herrgott Sakra! Pfui Teufel!!"
Jäh fahre ich auf aus meinem Traum. Ja
-was ist denn das? Umlagern die Schleier
der Vergangenheit mein Auge? Hat uns ein
böser Spuk zum besten?
Ach nein, kein Spuk ist's, sondern scheußliche
Wirklichkeit. Und kein Nebel der Erinnerung
trübt unfern Blick, sondern der ganz gemeine
dicke Rauch eines Fabrikschlots, der genau
unterhalb des Schlosses vom Neckarufer empor-
steigt! Schamlos wühlt sich der gelbschwarze
Qualm aus der mürrischen Esse hervor, frech
und höhnisch breitet er seine Wolken nach allen
Seiten aus und überschmiert das Angesicht seiner
Braut mit greulichen Schmutzstreifen, ihre ganze
Schönheit verhunzend! So geht es Tag für
Tag, Sommer und Winter, Jahr um Jahr!
Das ist der Schlot der „Herrenmühle." Vor
Jahren hat die Stadt der Mühle Elektrizität
zum Selbstkostenpreis angeboten, wenn sie vom
Dampfbetrieb Abstand nehmen wollte. Aber
die Herrenmühle hat abgelehnt. Ja, sie hat
noch einen zweiten, höheren Schlot bauen wollen,
der dem ersten helfen sollte, den Anblick des
Schlosses zu verschandeln. Das ist ihr natürlich
abgeschlagen worden; aber dafür qualmt der
alte Schlot im trotzigen Bewußtsein seiner mehl-
mahlenden Aufgabe umso ärger und übertrifst
neuerdings sogar den Münchner Hauptbahnhof,
der durch seinen fürchterlichen Rauch einen
Weltruf erlangt hat. „Ich bin der Schlot der
Herrenmühlei" ruft er aus, „und habe ebenso-
viel Recht auf meinen Platz, wie meine windige
Kollegin zu Potsdam fel. Angedenkens. Die
brauchte nicht einmal dem großen Fritz zu
weichen, und ich, der ich zehnmal so viel mahle
wie eine lumpige Windmühle, ich sollte mich
genieren, bloß wegen der paar Hunderttausende
närrischer Naturfreunde?"
Nein, du genierst dich nicht, Heidelberger
Schlot! Das Zeugnis stellen wir alle dir aus.
Du weißt gar nicht, was sich genieren heißt.
So wenig wie der Holzknecht aus dem Böhmer-
walde, der zum ersten Male auf der Eisenbahn
fuhr. Den wandelte das Bedürfnis an, die
Gase in Freiheit zu setzen, die sich in seinem
Rezipienten angesammelt hatten. Er tot das
harmlos ungeniert und merkte nicht, daß die
Mitreisenden ihre beleidigten Nasen zum Fenster
hinaushielten.
So auch der Heidelberger Herrenmühlenschlot.
Er merkt auch nichts. Was versteht ein Schlot
von landschaftlicher Schönheit? Was schert einen
Schlot die Romantik der schönsten deutschen
Schloßruine? Und wendet sich der Wanderer
traurig und verstimmt ab von dem beschmutzten
Antlitz der Braut, dann denkt der Heidelberger
Schlot in seiner schwarzen Seele: „A ba! Wenn
du nit herschaue magst, da schaust ebe weg!"
und stößt höhnisch eine neue Rauchwolke aus.
Holzknechte und Dampfschlöte müssen sein.
Wer wollte das bestreiten? Aber es gibt nun
einmal gewisse Flecke auf Gottes Erde und in
deutschen Landen, wo sie ihren Qualm nicht
ablassen dürfen! Wer will das bestreiten? Du
etwa, Heidelberger Schlot? Wie lange willst du
noch mit deinem Qualm das Angesicht der Braut
beleidigen? Wahrlich, du hast dich schon genug
blamiert.
Hebe dich weg, du Schlot, du bist uns
ärgerlich!
Hermann vo» Staden
Junges Sterben
Der dumpfe volle Orgelton verklang.
Sie trugen Dich zu Deinem letzten Gang.
Du lagst versunken tief im Blütenmeer,
Ich sah nur Blumen wandeln vor mir her.
Ich ging befangen wie im schwersten Traum,
In Rauhreif glitzernd standen Busch und Baum.
Sie senkten lautlos Dich in dunkler Gruft
zur Ruh' —
Mir war — Du schluchztest auf:
„O Welt, wie schön warst Du!"
Elisabeth Mephöfcr