Aphorismen
Keine Illusion im Leben ist aufrecht
zu erhalten, eine jede verlischt. Sie schwindet
um so gründlicher, je enthusiastischer sie er-
griffen wurde. Es bleibt allein und unab-
änderlich die Notwendigkeit der Illusion,
der Zwang zu immer neuen Verzauberungen.
Wer aufhört, diesen Zwang zu empfinden,
ist tot — ja, mehr als das: geistlos.
„Gedanken sind zollfrei." Warum wohl?
Sahen die Regierungen voraus, wie gering-
fügig die Einnahmen sein würden?
Es ist sehr schwer, gleichzeitig den schlichten
und den raffinierten Geistern zu gefallen.
Und es gibt in der ganzen Welt eigentlich
nur drei Dinge, die dieses Kunststück fertig
gebracht haben: das Talent Maupassants,
die Zigarette und das Meer.
Das Paradoxon: die Koketterie des
Mannes von Geist.
„Trauer" ist oft nur ein sentimentaler
Ausdruck für: Faulheit des Hirns, ungewohnte
Reize aufzunehmen.
Jede Dichtung, die Neues zu sagen hat,
ist ein Gift, auf dessen Einspritzung das
Publikum mit Fieber reagiert. Dieses Pub-
likums-Fieber in eine literarische Form zu
pressen: das ist die Aufgabe der Kritik.
Manche Theaterkritiker interessieren sich
aber nur für ihr privates Fieber. Ihre
Kritik ist dann ein Krankheitsbericht, den sie
von sich selbst geben: eine Autodiagnose; die
Fieberkurve während des Theaterabends, aus-
gezeichnet vom Patienten selber. .
-Liebe Jugend!
Zn einer Sommerfrische herrschte drei Tage
lang reges Leben, hervorgerufen durch die Ein-
quartierung eines Regimentes. Zn der Krone,
dem ersten Gasthof des Ortes, fanden jeden Abend
Konzerte durch die Militärkapelle statt, die
natürlich von Fremden und Einheimischen
stark besucht waren und wobei nicht wenig
verzehrt wurde. Als nun Mizzi, die Zahl-
kellnerin, nach Verlauf der drei Tage mit
ihrem Brotherrn abrechnete, mußte sie zu
ihrem Leidwesen zwanzig Gulden drauf-
legen.
Großes Mitleid allenthalben. Etliche
fesche Damen — froh, eine Gelegenheit zur
Abhaltung einer kleinen Festlichkeit gefun-
den zu haben, — beschlossen die Veran-
staltung eines bunten Abends.
Eintrittsgeld wurde nicht erhoben, da-
gegen die stille Vereinbarung getroffen, die
Geschädigte mit einem ansehnlichen Trink-
geld zu bedenken. — —
Die Vorträge fanden auf einem Podium
des dicht besetzten Kronengartens statt.
Alles wäre glatt verlaufen, wenn nicht bei
der letzten Nmnmer ein lvolkenbruch durch
feine unerwünschte Mitwirkung allgemeine
Bestürzung hervorgerufen hätte. Das Pu-
blikum stüchtete auseinander, teils in den
Saal, zumeist jedoch von hinnen.
Als Mizzi am Schluffe des zu ihren
Gunsten veranstalteten Abends mit dem
Kronenwirt abrechnete,-fehlten ihr
dreißig Gulden!
Ern zufriedener Vater H-Bin3
„Mein Guido hat noch Adelsstolz: ist heute
über Bürgerliches Gesetzbuch beim Examen
gestolpert!" *
Das Stipendium
Ich beabsichtigte, mich um ein staatliches
Stipendium für würdige, talentierte, jedoch mittel-
lose Schriftsteller zu bewerben. Mein Freund
Hans hatte einmal in Wien einen Herrn kennen
gelernt, der ihm erzählte, daß er gehört hätte,
daß ein guter Bekannter seines vor zwei Jahren
verstorbenen Vetters ein solches Stipendium (er
glaube wenigstens, daß es ein solches gewesen
sei) auf Grund eines Gesuches beinahe erhalten
haben würde, wenn nicht ein noch würdigerer
Bewerber es ihm knapp vor der Nase weg-
geschnappt hätte.
Dazu war unter vielen anderen Dokumenten
auch ein Leumundszeugnis der Gemeinde des
Aufenthaltsortes über das bürgerliche und po-
litische Wohlverhalten notwendig.
Das konnte keinem Anstand unterliegen, da
ich damals gerade verlobt, Abonnent des Liefe-
rungswcrkes „Oesterreich-Ungarn in Wort und
Bild" und außerdem mit dem ftädtiscken Kom-
missär vr. Neuner, dem die Ausstellung von
„Leumundszeugnissen für Beilagezwecke" oblag,
schon viele Jahre gut bekannt war.
vr. Neuner versicherte mir auch, daß ich das
Gewünschte ohne weiteres erhalten werde, nur
müsse er vorerst amtliche Erhebungen über meine
persönlichen Verhältnisse pflegen. Ich fand dies
unnötig, da er mich doch schon so lange kenne.
Das sei allerdings richtig, meinte Qr. Neuner,
aber Vorschrift sei Vorschrift, die beobachtet
werden müsse. Er werde aber ohne Verzug die
nötigen Erhebungen seitens der hiezu berufenen
Organe vornehmen lassen. Einige Tage später
begegnete mir, als ich eben meinen Morgen-
bummel antreten wollte, unter der Haustüre ein
städtischer Amtsdiener.
„Entschuldigen Sie, wohnt da a gewisser
Kaßlatterer?"
„Jawohl. Als Bettgeher beim Aftermieter
von der linken Dachmansardenpartei."
„Kannten S' mir vielleicht a bißl a Auskunft
göbn über ihn?"
Der Amtsdiener zog aus der inneren Rock-
tasche ein ebenso umfangreiches wie schmieriges
Notizbuch.
„Soweit ich ihn kenne, gern."
Der Amtsdiener suchte umständlich nach
einem Bleistift. Endlich fand sich etwas ähn-
liches und nun konnte es losgehen:
„Zerscht amal, von was löbt er dönn?"
„Soviel ich weiß, schreibt er Bücher."
„Tragt dös fei öppas?"
„Ja, und dann hat er eine alte Tante, die
Wäscherin ist und ihn unterstützen soll."
„No, dös ischt was anders. Balds er a
Tant hat, dö wo was Wöscherin ischt. Iatzt
kömman mir zum sllttlichn Verhaltn. Wann
kimmt er dönn afd Nacht gwöhnlach zhaus?"
„So zwischen eins und zwei höre ich ihn
meistens."
„Wissen S' nit, ob er a Gschpusi hat?"
„Ich denke schon, ich sehe ihn oft."
„Dös genügt schon. Sie habn ihn oft gsöchn."
(Schreibend: Süttliches Verhalten.)
„Ich meine, es ist die Tochter des Gemeinde-
rates Lohwasser."
„Was? Vom Lohwasser?" (Schreibend:
liegt nichts dagegen vor.)
„Iatzt nos Polütische. Bei was für a Partei
ischt er dönn?"
„Das kann ich wirklich nicht sagen."
„Was tragt er dönn für Krügen?"
„Liegende mit Schlippskrawatten."
„Und Schuach, Zug- oder Schnüar-
stiefl?"
„Ich glaube Schnürstiefel."
„Tuifl, sell ischt guat. Bald er Zug-
stiefel tragn hat, war's an Anarchischt
gwösn. So ischts lei a Deutschradikaler.
Iatz woaß i gnua, i dank fei schön für
d' freindliche Auskunft."
Als ich am nächsten Tage zu vr.
Neuner kam, sagte er mir, daß die ge-
pflogenen vertraulichen Erhebungen vol-
lends zu meinen Gunsten ausgefallen
wären, nur bezüglich des politischen Ver-
haltens müsse er einen kleinen Vorbehalt,
der mir aber nicht schaden werde, in das
Zeugnis aufnehmen.
Mein Gesuch um Verleihung eines
staatlichen Stipendiums für würdige,
talentierte, jedoch mittellose Schriftsteller
erhielt zur Erledigung Ministerialrat
Nepomutzky, der es mit der Begründung,
daß ich, wie aus den amtlichen Erhebun-
gen hervorgehe, Unterstützungen seitens
meinerVerwandten, beziehungsweise einer
Tante genieße und daher nicht als mittel-
los im Sinne der Ausschreibbedingungen
erachtet werden könne, abschlägig beschied.
l’acifikus Kasslattercr
3m D-Zug Ceipjtg-Budapest w Krahl
„Ach nee, Se machen ooch nach pudabest? Hauen Se,
da kann ich Ihnen aber gut Bescheid fachen, 's is se merklich
äne brächt'ge Stadt! Fufz'n Jahre bin ich dort nu schon
naturalisiert — ich bin nämlich keen geborner Ungar ...
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Keine Illusion im Leben ist aufrecht
zu erhalten, eine jede verlischt. Sie schwindet
um so gründlicher, je enthusiastischer sie er-
griffen wurde. Es bleibt allein und unab-
änderlich die Notwendigkeit der Illusion,
der Zwang zu immer neuen Verzauberungen.
Wer aufhört, diesen Zwang zu empfinden,
ist tot — ja, mehr als das: geistlos.
„Gedanken sind zollfrei." Warum wohl?
Sahen die Regierungen voraus, wie gering-
fügig die Einnahmen sein würden?
Es ist sehr schwer, gleichzeitig den schlichten
und den raffinierten Geistern zu gefallen.
Und es gibt in der ganzen Welt eigentlich
nur drei Dinge, die dieses Kunststück fertig
gebracht haben: das Talent Maupassants,
die Zigarette und das Meer.
Das Paradoxon: die Koketterie des
Mannes von Geist.
„Trauer" ist oft nur ein sentimentaler
Ausdruck für: Faulheit des Hirns, ungewohnte
Reize aufzunehmen.
Jede Dichtung, die Neues zu sagen hat,
ist ein Gift, auf dessen Einspritzung das
Publikum mit Fieber reagiert. Dieses Pub-
likums-Fieber in eine literarische Form zu
pressen: das ist die Aufgabe der Kritik.
Manche Theaterkritiker interessieren sich
aber nur für ihr privates Fieber. Ihre
Kritik ist dann ein Krankheitsbericht, den sie
von sich selbst geben: eine Autodiagnose; die
Fieberkurve während des Theaterabends, aus-
gezeichnet vom Patienten selber. .
-Liebe Jugend!
Zn einer Sommerfrische herrschte drei Tage
lang reges Leben, hervorgerufen durch die Ein-
quartierung eines Regimentes. Zn der Krone,
dem ersten Gasthof des Ortes, fanden jeden Abend
Konzerte durch die Militärkapelle statt, die
natürlich von Fremden und Einheimischen
stark besucht waren und wobei nicht wenig
verzehrt wurde. Als nun Mizzi, die Zahl-
kellnerin, nach Verlauf der drei Tage mit
ihrem Brotherrn abrechnete, mußte sie zu
ihrem Leidwesen zwanzig Gulden drauf-
legen.
Großes Mitleid allenthalben. Etliche
fesche Damen — froh, eine Gelegenheit zur
Abhaltung einer kleinen Festlichkeit gefun-
den zu haben, — beschlossen die Veran-
staltung eines bunten Abends.
Eintrittsgeld wurde nicht erhoben, da-
gegen die stille Vereinbarung getroffen, die
Geschädigte mit einem ansehnlichen Trink-
geld zu bedenken. — —
Die Vorträge fanden auf einem Podium
des dicht besetzten Kronengartens statt.
Alles wäre glatt verlaufen, wenn nicht bei
der letzten Nmnmer ein lvolkenbruch durch
feine unerwünschte Mitwirkung allgemeine
Bestürzung hervorgerufen hätte. Das Pu-
blikum stüchtete auseinander, teils in den
Saal, zumeist jedoch von hinnen.
Als Mizzi am Schluffe des zu ihren
Gunsten veranstalteten Abends mit dem
Kronenwirt abrechnete,-fehlten ihr
dreißig Gulden!
Ern zufriedener Vater H-Bin3
„Mein Guido hat noch Adelsstolz: ist heute
über Bürgerliches Gesetzbuch beim Examen
gestolpert!" *
Das Stipendium
Ich beabsichtigte, mich um ein staatliches
Stipendium für würdige, talentierte, jedoch mittel-
lose Schriftsteller zu bewerben. Mein Freund
Hans hatte einmal in Wien einen Herrn kennen
gelernt, der ihm erzählte, daß er gehört hätte,
daß ein guter Bekannter seines vor zwei Jahren
verstorbenen Vetters ein solches Stipendium (er
glaube wenigstens, daß es ein solches gewesen
sei) auf Grund eines Gesuches beinahe erhalten
haben würde, wenn nicht ein noch würdigerer
Bewerber es ihm knapp vor der Nase weg-
geschnappt hätte.
Dazu war unter vielen anderen Dokumenten
auch ein Leumundszeugnis der Gemeinde des
Aufenthaltsortes über das bürgerliche und po-
litische Wohlverhalten notwendig.
Das konnte keinem Anstand unterliegen, da
ich damals gerade verlobt, Abonnent des Liefe-
rungswcrkes „Oesterreich-Ungarn in Wort und
Bild" und außerdem mit dem ftädtiscken Kom-
missär vr. Neuner, dem die Ausstellung von
„Leumundszeugnissen für Beilagezwecke" oblag,
schon viele Jahre gut bekannt war.
vr. Neuner versicherte mir auch, daß ich das
Gewünschte ohne weiteres erhalten werde, nur
müsse er vorerst amtliche Erhebungen über meine
persönlichen Verhältnisse pflegen. Ich fand dies
unnötig, da er mich doch schon so lange kenne.
Das sei allerdings richtig, meinte Qr. Neuner,
aber Vorschrift sei Vorschrift, die beobachtet
werden müsse. Er werde aber ohne Verzug die
nötigen Erhebungen seitens der hiezu berufenen
Organe vornehmen lassen. Einige Tage später
begegnete mir, als ich eben meinen Morgen-
bummel antreten wollte, unter der Haustüre ein
städtischer Amtsdiener.
„Entschuldigen Sie, wohnt da a gewisser
Kaßlatterer?"
„Jawohl. Als Bettgeher beim Aftermieter
von der linken Dachmansardenpartei."
„Kannten S' mir vielleicht a bißl a Auskunft
göbn über ihn?"
Der Amtsdiener zog aus der inneren Rock-
tasche ein ebenso umfangreiches wie schmieriges
Notizbuch.
„Soweit ich ihn kenne, gern."
Der Amtsdiener suchte umständlich nach
einem Bleistift. Endlich fand sich etwas ähn-
liches und nun konnte es losgehen:
„Zerscht amal, von was löbt er dönn?"
„Soviel ich weiß, schreibt er Bücher."
„Tragt dös fei öppas?"
„Ja, und dann hat er eine alte Tante, die
Wäscherin ist und ihn unterstützen soll."
„No, dös ischt was anders. Balds er a
Tant hat, dö wo was Wöscherin ischt. Iatzt
kömman mir zum sllttlichn Verhaltn. Wann
kimmt er dönn afd Nacht gwöhnlach zhaus?"
„So zwischen eins und zwei höre ich ihn
meistens."
„Wissen S' nit, ob er a Gschpusi hat?"
„Ich denke schon, ich sehe ihn oft."
„Dös genügt schon. Sie habn ihn oft gsöchn."
(Schreibend: Süttliches Verhalten.)
„Ich meine, es ist die Tochter des Gemeinde-
rates Lohwasser."
„Was? Vom Lohwasser?" (Schreibend:
liegt nichts dagegen vor.)
„Iatzt nos Polütische. Bei was für a Partei
ischt er dönn?"
„Das kann ich wirklich nicht sagen."
„Was tragt er dönn für Krügen?"
„Liegende mit Schlippskrawatten."
„Und Schuach, Zug- oder Schnüar-
stiefl?"
„Ich glaube Schnürstiefel."
„Tuifl, sell ischt guat. Bald er Zug-
stiefel tragn hat, war's an Anarchischt
gwösn. So ischts lei a Deutschradikaler.
Iatz woaß i gnua, i dank fei schön für
d' freindliche Auskunft."
Als ich am nächsten Tage zu vr.
Neuner kam, sagte er mir, daß die ge-
pflogenen vertraulichen Erhebungen vol-
lends zu meinen Gunsten ausgefallen
wären, nur bezüglich des politischen Ver-
haltens müsse er einen kleinen Vorbehalt,
der mir aber nicht schaden werde, in das
Zeugnis aufnehmen.
Mein Gesuch um Verleihung eines
staatlichen Stipendiums für würdige,
talentierte, jedoch mittellose Schriftsteller
erhielt zur Erledigung Ministerialrat
Nepomutzky, der es mit der Begründung,
daß ich, wie aus den amtlichen Erhebun-
gen hervorgehe, Unterstützungen seitens
meinerVerwandten, beziehungsweise einer
Tante genieße und daher nicht als mittel-
los im Sinne der Ausschreibbedingungen
erachtet werden könne, abschlägig beschied.
l’acifikus Kasslattercr
3m D-Zug Ceipjtg-Budapest w Krahl
„Ach nee, Se machen ooch nach pudabest? Hauen Se,
da kann ich Ihnen aber gut Bescheid fachen, 's is se merklich
äne brächt'ge Stadt! Fufz'n Jahre bin ich dort nu schon
naturalisiert — ich bin nämlich keen geborner Ungar ...
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