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Der Ferge

Die Lichter und Hellen Stimmen
Sind all' schon ansgetan.

Im Wasser die Sterne schwimmen
Um einen goldenen Kahn.

Die Winde vom weißen Berge
Falten die Flügel sacht.

Mein Herz, ein seliger Ferge,

Segelt in silberne Nacht.

Trieb heim in seinen Hafen,

Fuhr aus ums friihe Gran . ..

Hörtest du in dein Schlafen
Nicht singen, du schönste Frau?

Max Geißler

Schwester

Das feine Antlitz weih umsäumt,

Darüber ein schwarzes Häubchen,

Und auf dem ernsten, kühlen Kleid
Kein Fleckchen und kein Stäubchen .

Die zarten Blicke wie verklärt
Schon von des Himmels Wonne,

Und jedem kranken Menschenkind
Ein Strahl von Bottes Sonne!

Und wenn der stille Krankensaal
Des nachts voll Frieden scheint,

Ein Herz, das ohne eignes Blück
Für sich nach innen weint . . .

Max Bewer

iTlachk der Erinnerung

O Nächte, die ihr Rosen blüht und Lieder —
Ein Mädchen geht dem stillen Garten nach,
Legt an bemoosten Stein das Ohr

und wieder

Hört's längst begrabenen wilden

Herzens Schlag.

Hört all die Sehnsucht in die finstren Fernen,
Die seine Jugend und sein Glück vertrieb,
Die, mit den Flittern von

erloschenen Sternen

Tief, tief begraben, doch lebendig blieb.

O Nächte, die ihr Rosen blüht und Lieder,
Sinkt hin ins letzte, letzte Morgenrot —
Mein Herz, auch mein begrabenes Herz

schlägt wieder

Und sie und ich sind längst einander tot.

Viktor Hardung

H. Hofmöller (München)

rßary

von Martin Andersen Ncxö

AtzRer erinnert sich nicht an die schöne, sanfte
MS Mary mit dem herrlichen Haar und dem
mohlgepflegten Körper?! Wenn sie, elastischen,
sichern Schrittes über die Straße ging, glich sie
einer ruhigen Prachtblume, einer gefüllten Rose,
die man mit langjähriger Geduld gehegt und
gepflegt hat. In ihrem bloßen Erscheinen lag
etwas vom Rhythmus des soliden Bürgertums,
ein fast behäbiger Lobgesang auf Heim und
Herd. Mary war das vortreffliche Produkt
der harterkänipften sozialen Ordnung. Alle
guten Bürgertugenden schienen in ihr verwirk-
licht zu sein, damit endlich einmal bewiesen
würde, daß nicht nur die Sünde verführerisch
wirkt. Nichts Lichtscheues war in ihren großen
treuen Färsenaugen. Die Träume, die sich da-
rin offenbarten, konnte jeder deuten; sie galten
einer sichern Versorgung, einer Wiege mit hand-
gestickten weißen Laken und ähnlichen guten
Dingen. In Mary war der schlichte, einträgliche
Alltag endlich konkurrenzfähig geworden. Alle
flatterhafte, vagabundierende Sehnsucht wurde
von ihr eingefangen und zur niet- und nagel-
festen Bettstatt der bürgerlichen Ordnung heim-
geführt.

Ein entsetzlicher Schlag traf alle Welt, als
sie plötzlich spurlos aus der Heimat verschwand.
Wer vergißt je den Kummer und die Bestür-
zung, den Aufruf in den Zeitungen und die
energische Arbeit der Polizei, um Klarheit in
die Sache zu bringen, eine Arbeit, bei der so-
zusagen die ganze Nation mitwirkte! Bis das
Ganze resultatlos hinftarb, weil man erkannte,
daß man einem unlösbaren Rätsel gegenüber-
stand, und weil man ahnen mußte, daß sich der
Abgrund über einem unglücklichen Menschen-
kinde geschlossen hatte.

Was war aus Mary geworden auf dem
kleinen Ausflug, den sie auf die Nachbarinsel
unternommen hatte, um eine Freundin zu be-
suchen? Selbstmord war ausgeschlossen. Sie
war ja so strahlend ausgezogen, im Besitz aller
ihrer betörenden Eigenschaften. Waren die
schuld daran, daß ihr Schicksal sie ereilt hatte?
Lag sie irgendwo im Walde entseelt unterm
Laube? Hatten brutale Männerhände ihrem
Leben ein Ende gemacht? Oder war sie dem
weißen Sklavenhandel zum Opfer gefallen?
Vielleicht hatte ein Agent ihre unbefangne Un-
schuld benutzt, um sie in einen Hinterhalt zu
locken, und sie war fortgeführt, an einen reichen
Negus verkauft, geschändet und ins Verließ
zu den andern Sklavinnen geworfen worden!
Nein, so etwas überlebte Mary nicht! Ihr
schönes blutiges Haupt starrte wohl schon gleich
dem einer Heiligen in die große verderbte Welt.

Acht Tage nach Marys tragischem Ver-
schwinden hatte mein Freund, der Kapitän
Kampf, eine schöne Offenbarung. Er war am

Morgen mit seinem Fahrzeug in St. Peters-
burg eingetroffen und schlenderte mit zwei
andern Schiffern aus der Heimat durch die
Stadt. Hier sind seine eignen Worte:

„Wir waren alle drei jung, und ich war
riesig guter Laune; denn ich hatte eine schnelle
Fahrt hinter mir. Da begegnen uns drei
junge Damen — Bürgertöchter, verstehen
Sie . . . mit schwerem Haar und prächtigem
Teint. Drei richtige Galjonssiguren! —
-Sie sind ja ein verflixt niedlicher Käser!*
sage ich im Vorbeistreichen in meiner däni-
schen Muttersprache zu der einen, — natür-
lich in der Annahme, daß sie es nicht ver-
stehen werde. Aber sie fängt lustig zu lachen
an und antwortet in unverfälschtem Dä-
nisch: -Ach, finden Sie?*

Da war ich schön hereingefallen. Meine
beiden Begleiter hatten inzwischen kehrt ge-
macht und mich meinem Schicksal überlassen.
Was zum Kuckuck sollte ich tun? Na, ein
Seemann findet immer einen Ausweg. Hat er
keine Heuer, so geht er heim; und hat er kein
Heim, so geht er ins Armenhaus. Ich nehme
also den Hut ab und sage, so gut ich's verstehe:
-Sie müssen entschuldigen, wenn ich mich tölpel-
haft benehme; aber das kommt daher, weil Sie
so verflixt hübsch sind!* Da lachen die drei hell
auf, und — auf einmal geh' ich neben ihnen
her. Aber als meine beiden Kameraden das
bemerkten, da machten sie — hast du nicht ge-
sehen! — wieder kehrt und kamen uns mit Voll-
dampf nach. In dem großen Cafe gegenüber
der Kasankirche landeten wir.

Wir hatten Zeit in Hülle und Fülle, und
wir gefielen den Mädchen offenbar, so daß wir
uns oft trafen. Eine verteufelte Lustigkeit steckte
in den Weibern, und wir benahmen uns auch
nicht wie Trauerweiden, nachdem wir einmal
unsere anfängliche Beklommenheit überwunden
hatten; denn wir Seeleute sind eben nicht
an die Vornehmheit gewöhnt. Und vor-
nehm waren die Mädchen. Sie hielten sich,
wie sie erzählten, in Petersburg mit einer alten
Tante auf und wollten weiter landeinwärts —
nach Moskau, sagten sie — um Gouvernanten-
stellen anzunehmen. Merkwürdigerweise konnten
sie kein Wort Russisch; aber wenn wir sie
fragten, wie sie daniit durchkommen wollten,
platzten sie bloß los. Und so oft die Tante er-
wähnt wurde, platzten sie gleichfalls los. Sie
gehörten überhaupt zu der Sorte von Engeln,
die lachend durchs Leben gehen. Mehr als
einmal hat man sie ja, wenn man zur Nachtzeit
auf der Brücke stand, leise durch die Luft ziehen
und unbeschreiblich lieblich singen hören; doch
diese drei waren auf die Erde herniedergekommen,
damit ein vierschrötiger Seemann auch einmal
ein bißchen Freude erlebte! Es machte sich
ganz von selbst, wie wir uns, Paar für Paar,
zueinander gesellten, und ich kann wohl sagen,
daß wir noch nie so schöne Stunden verlebt
hatten.

Eines Tages nahm die Sache ja freilich ein
böses Ende. Die Tante wolle nicht länger warten,
sagten die Mädchen, und sie müßten weiterziehen,
so ungern sie es auch täten. Wir wollten sie
zurückhalten und boten ihnen an, sie auf der
Stelle zu heiraten. Aber da lachten sie ganz
unbändig, und dann küßten sie uns halb tot.
Am nächsten Morgen fiel der alte Drache über
uns her; eine garstige Person! Das Gesicht war
eins von der bekannten Sorte, Sie wissen ja!
Wir waren uns sofort klar darüber, daß das —
beim Teufel! — keine Tante von ihnen mar.

-Hier ist etwas nicht in Ordnung!* sagt plötz-
lich einer von uns. -Sollten wir hier dem weißen
Sklavenhandel auf die Spur gekommen sein,
über den die Zeitungen zu Hause so viel ge-
schrieben haben?*

-Dummes Zeug!* erwidere ich. -Die Mädchen
gehen ja frei umher und können tun und lassen,
was sie wollen. Glaubst Du, daß Sklaven so
aussehen?*

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Register
Max Geißler: Der Ferge
Martin Andersen Nexø (Nexö): Mary
Max Bewer: Schwester
Hans Hofmüller: Vignette
Victor Hardung: Nacht der Erinnerung
 
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