Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Herbstliebe

Ich fühl es wohl, was mir dein kühler Kuß
Geheim verrät:

Daß all mein Wünschen Dir entsagen muß
— Es ist zu spät.

Ob auch dein müdes Herz eia letzles Glück
Plicht ganz verschmäht,

Verlornes Leben bringt kein Kuß zurück —
Es ist zu spät.

Manchmal im Herbst von Blüten ist ein Strauch
Noch übersät —

Sie werden nie zur Frucht— Und wissen's auch!
— — Es ist zu spät!

H. De Dora

Bettelprinzefsinnen

In ihren Herzen singen wunderfeine
Verliebte Glöcklein von verliebten Tänzen.
Gezierte Spinde, schön geschnitzte Schreine,
Getriebne Becher schwerer goldner Weine
Sind diese Herzen, die sie kühl kredenzen.

Ihr lichter Leib ist biegsam schlank wie Gerten,
Die knospenjunges Laub zur Sonne breiten,
Und schmiegsam weich, so ohne alle Härten.
Denn ihre Seelen sind verklärte Gärten,

Die blüh'n und duften, weil die Herzen läuten.

Map Fleischer

Erinnerung

Wir gingen dort an fernem Strand,

Wie lang ist's her?

Wir kennen wohl dies schöne Land;

Es öffnet wonnig seine Buchten,

Liebreich wie einer Mutter Hand,

Und Gärten blüh'n und Mädchen glüh'n
In jenem Lande heut wie einst. . .

Wie weit ist's hin? Wie lang ist's her?
Selbst nicht die Träume suchen mehr
Das ferne Land. Nun zwischen ihm
Und dieser Küste fließt und schwillt
Und donnert nachts das ernste Meer.
Wohlan!

Wilhelm Michel

Blärrerfall

Will's dir in die Seele schneiden,

Daß der Sommer kommt zum Scheiden
Und der Blätterfall beginnt: —

Alter Knabe, sei kein Kind!

Wenn der Morgen, grau und rieslich,
Nebeldünste kocht verdrießlich.

Fröstelnd dein Gebein umspinnt: —
Alter Knabe, sei kein Kind!

Wenn die' Kraft der Iugendtage,

Die nichts weiß von Iahrzeitplage,
Mählich dir im All zerrinnt: —

Alter Knabe, fei kein Kind!

Wenn im Auf und Ab von Hoffen
Plötzlich dir dein Grab steht offen,
Drüber stöbert Schnee und Wind: —
Alter Knabe, fei kein Kind!

Ludwig Scharf

Dor. Kästner

Die schöne Einsamkeit

von Dora Hohlfeld

or fünf Jahren war es, als zum erstenmal
die Schauer schöner Einsamkeit über Rosel
Jenny kamen, die ihr Frieden und Ruhe brachten,
an jenem heißen Herbstabend, als ihr Bräutigam
bereits zehn Jahre tot war. In Jennys Gärtchen
war es, zwischen den Häusermauern der Nach-
barn, wo es schnell dunkelt, wo wenig dürre
Bäume im modrigen Grase stehen, aus welchem
Duft aufsteigt zu der nackten Wand des Hauses;
dort klettert das Gerippe des wilden Weines
empor.

Rosel hat hier unten still geweint, jetzt sieht
sie das Gärtchen schärfer, wie sie es im Tages-
lichte sah. Die schwarzen Baumstämme, die
dürren Blätter, die kahlen Mauern, die Ranken
des wilden Weines, selbst die leeren Garten-
stühle, alles scheint ihr eine geheime Sprache
zu haben.

Da überkommt es Rosel Jenny, daß sie glück-
lich träumen kann. Von all den Wunderdingen,
die die letzten Rosen hauchen, Wunder, die der
Abendwind mit sich bringt, Wunder, die der
aufsteigende Mond erzählt. Es erscheint ihr von
jetzt an unnötig, mit Menschen zu reden, wie
sie durch die Stadt laufen, ja, sie kann eine
halbe Stunde lang mit großen glänzenden Augen
neben ihrer Freundin, Minchen Muck, sitzen,
ohne die geringste Lust zum Reden zu verspüren.

Wunder über Wunder! Früh morgens er-
scheinen die spitzen Pappeln hinter der Mauer
mit goldenen Blättern, die sich flüsternd regen.
Immer farbiger wird es in den Lüften. Der
Himmel war doch bleigrau, nun huschen goldene
Gewinde über die Wolken, ja es scheint, daß
Gottes Engel silberseidige Tücher über das Grau
und Gold der Morgenwolken legen.

Früher hatte Rosel Jenny bei solcher Ge-
legenheit gesagt, was die andern Leute sprechen:
„Seht, der Regen verzieht sich, wenn ich nicht
irre, gibt es Sonntag gutes Wetter, wir haben
vor, einen Ausflug zu unternehmen."

Doch Rosel faltet stumm die Hände und
starrt und lächelt seltsam. Man muß ihr vieles
Nachsehen, denn sie hat schwer gelitten, bevor
sie zu solcher Beschaulichkeit gelangte.

Sie hat erlebt, was man in Romanen liest
oder was hie und da ein Neffe von seiner
Tante erzählt. Sie verlor ihren Bräutigam vor
dem Traualtar. In der roten Kirche war es,
wo der Franzl Pemsl, der blühende, junge Apo-
theker, dem jedermann ein langes Leben pro-
phezeit hätte, mit der Myrte im Knopfloch, an
Herzschlag zusammenbrach.

Es ist eigenartig still in einer kleinen Stadt,
man vernimmt den Fußtritt eines Jeglichen auf

dem Pflaster, die Fenster erzittern, wenn eine
flottbespannte Kutsche vorüberfährt, die Kirchen-
glocken läuten laut und wichtig in dieser Ruhe
die Turmuhr kündet herrisch die stillen Stunden'
Nur etwas mag nicht verstummen und regt sich
unaufhörlich, wie eines nicht versiegenden Stro-
mes Wellen, das sind die Zungen der Stadt-
leute, die nicht stille stehn, und es gibt niemand
in der Stadt, über den ausschließlich Gutes ae-
svrochen wird — außer über Rosel Jenny

Man war gewohnt, sie fünf Jahre lang im
schwarzen Kleide hinter dem Fenster ihrer Woh-
nung und auf der Hechinger Landstraße zu sehen
Doch niemand hatte etwas dagegen einzuwenden'
als sie nach fünf Jahren ein hellgraues Kleid
trug und mit ihrer Mutter den Burgberg be-
stieg, der fröhliche und gesegnete Aussicht bietet
Seit dieser Zeit machte sie die regelmäßigen
Spaziergänge mit ihrer Mutter, die unverändert
in der schwarzen Mantille und dem Kapothut
um ihren Gatten trauerte.

„Die Jugend muß zu ihrem Recht kommen,"
sagte Frau Jenny zu einer von den Vorstands-
damen des Elisabethvereins. „Ich will meine
Rosel dazu überreden, daß sie diesen Winter
wieder die Klubbälle besucht und die Eisbahn."

Niemand, der etwas dagegen zu sagen ge-
habt hätte, als die langjährige Braut, die so
gut wie eine Witwe war, sich im Klubsaal an
die lange Wand, zwischen die jungen und
älteren Mädchen, setzte. Rosel Jenny ist niemand
im Wege, sie hat ihre abwesenden, glänzenden
Augen und eine gleichgültige Ruhe. Sie er-
wartet kein Glück durch Männerliebe, sie sucht
keine Männergunst. Sie ist imstande, sich über
das Glück anderer zu freuen, und sie betrachtet
klug ihr Leid.

Es kann nun Vorkommen, daß sie nach solchem
Ballvergnügen noch lange, lange, ohne sich voll-
ständig auszukleiden, unter dem Betthimmel
sitzt und in die Wolken des weißen Mullbehanges
und auf die Schatten ihres Kerzenlichtes blickt,
während Frau Jenny im Nebenzimmer unauf-
hörlich redet, über diesen und jenen Herrn, und
sich die Locken wickelt.

Was weiß denn Frau Jenny von Rosels
schöner Einsamkeit? Dergleichen kann hier nie-
mand begreifen. Rosel fühlt sich gar oft gestört
durch der Mutter unzeitige Rede und ihr Hin
und Her, sei es in späten Abendstunden oder
bei Tage. Wozu denn vormittags dies Regen
und übermäßige Laufen in der kleinen Woh-
nung? Es ist wunderschön, das Schweigen
tiefer Nacht, nicht weniger schön sind doch die
Wintermorgenstunden. Wenn man wohlgebor-
gen am Fenster seinen Leinenstreifen stickt, die
rosa und blauen Hyazinthen in der warmen
Sonne duften und das Oefchen in der Stuben-
ecke so freundlich-geschäftig atmet. Da aber
kommt Frau Jenny nach Hause, mit leicht ge-
röteter Nase und mit sehr wenig in der ledernen
Markttasche. Dann beginnt das Leben und
Treiben in Küche und Stuben.

Gestern gab es Kartoffel und Salz. Frau
Jenny kocht schon lange ganz allein und täglich
weniger, ohne daß sich Rosel hierüber die ge-
ringsten Gedanken macht. Es ist gleichgültig,
daß auch der Hausrat immer spärlicher wird,
ja, es ist begreiflich, da er so viele Arbeit machte.
Das junge Mädchen liebt alles Unsaubere zu
entfernen, und es gibt viele zarte Dinge, die ein
Dienstbote ja nimmer erledigen könnte. Ja,
Rosel Jenny und ihre Mutter führen im Grunde
ein schönes sonniges Leben, sie wünscht sich
nichts Lieberes als dies Leben zu Zweien. Ach,
wenn die herzensgute Rosel wüßte, welch nagende
Sorge ihrer Mutter so unruhige Nächte und so
geräuschvolle Tagesstunden bereitet! Der armen
Frau Jenny Herzenseinsamkeit ist von einer
Art, die zu allmählicher Verzweiflung, ja Selbst-
mord führt.

„Es hat mich recht gefreut, welch feines Tuch
Frau Jenny zu Rosels Winterkleid verwendete,"
sagte Frau Direktor Schwarz zu der Näh-Auguste;
„ihre Verhältnisse können nicht derartig schlecht
sein, wie gemunkelt wird. Wie steht es denn,
unter uns gesagt, mit der Kost, Auguste?"
Register
Ludwig Scharf: Blätterfall
A. De Nora: Herbstliebe
Wilhelm Michel: Erinnerung
Max Fleischer: Bettelprinzessinnen
Dora Kästner: Vignette
Dora Hohlfeld: Die schöne Einsamkeit
 
Annotationen