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Goldene Tage des Herbstes

Der Träumer

Nun geht der Träumer in die weite Welt,
Die Sehnsucht eilt ihm nach, den keine

Sehnsucht hält,

Und wo die Träne glüht in seiner

dunklen Spur,

Blühn rote Rosen auf in Wald und Flur.

Und mit den wilden Blumen rankt es

sich empor,

Legt wirren Klang und Wehlaut in sein Ohr,
Umschattet seinen Weg und hängt vom

Rosentraum

Den Dornenzweig au seines Mantels Saum.

Otto Rennefeld

Herbst

Starr und staubig ziehen rings die Straßen
Durch die graue tote Landschaft hin,

So vergrämt, als ob sie ganz vergaßen,
Daß ich hier in Glück gewandelt bin.

Ihre einst so blühend bunten Hecken
Zürnen nun so drohend dornbewehrt:
Liebe kann nicht mehr ins Grün verstecken
Kuß um Kuß, den Liebender begehrt.

Und ich recke weit die leeren Arme;
Liebes Land, wie heilst du Lust und Leid,
Trägst nun trauernd mit an meinem Harme,
Wie du glühtest meiner Seligkeit.

Ließest fallen deine grünen Fahnen,
Die du froh zur Liebeszeit geschwenkt
Dir wie mir ist dennoch süßes Ahnen
Neuer Frühlingslust ins Herz gesenkt!

Gisela Etzel

Das rote Geufekben

Mls ich nach einer sehr unruhigen Nacht aus
schweren Träumen erwachte, versuchte ich
vergebens, mich aufzurichten. Mein Kopf sank
schwer auf die Kissen zurück, und meine Glieder
waren wie gelähmt. Erstaunt blickte ich um
mich und bemerkte nun mit Schrecken, daß auch
meine Umgebung anders aussah als sonst. Das
ganze Zimmer mar in Bewegung; die sixtinische
Madonna schwebte an der Wand auf und nieder
und zuletzt sogar aus dem Rahmen heraus; sie
kam mir so nahe, daß ich sie fast mit den Händen
erreichen konnte. Der Fußboden schwankte, wie
das Deck eines Schiffes auf hoher See; ja auch
der große weiße Ofen stand nicht mehr fest,
sondern bewegte sich im Walzertakt. Ich blickte
zur Decke empor, auch sie war in wellenförmiger
Bewegung und drohte herabzustürzen. „Ein
Erdbeben!" dachte ich entsetzt. Und ich war

Constantin SomofP (Petersburg)

unfähig, aufzustehen und mich vor den stürzen-
den Mauern zu retten!

„Dann muß man mich schnell hinaustragen,"
dachte ich und drückte hastig auf die elektrische
Klingel, die ich zum Glück mit der Hand er-
reichen konnte. Ganz deutlich hörte ich läuten,
aber zu gleicher Zeit entdeckte ich ein neues
Schrecknis. Saß da am Fußende meines Bettes
ein kleines rotes Männchen, ähnlich dem Hans-
wurst im Kasperletheater. Der Kleine trug rote
Höschen, ein rotes Wams und einen spitzen
roten Hut mit einer Hahnenfeder; auch sein
Gesicht mit der langen, langen Nase war ziem-
lich rot. Ich konnte ihn immer nur von der-
selben Seite sehen, denn er ritt vorwärts und
rückwärts auf dem Bettpfosten hin und her;
das rechte Bein nach innen, das linke nach
außen, saß er wie auf einem richtigen Pferde.

Als sein Galopp immer schneller wurde, rief
ich ihm zu: „Du, kleiner Roter, wer bist Du
denn und was willst Du hier?"

Da hielt er an, schlug das linke Bein auch
noch nach innen und saß mir nun gerade gegen-
über. „Wer ich bin?" grinste er und verzog sein
großes Maul fast bis zu den Ohren, „das rote
Teufelchen bin ich! Hahaha!"

„Mach, daß Du fort kommst!" schrie ich
ihm zu. „Hier hast Du nichts zu suchen!" Er
ließ sich aber nicht stören, sondern legte die
Händchen auf sein Herz und sagte: „Ich habe
Dich lieb und will bei Dir bleiben."
Register
Constantin Somoff: Goldene Tage des Herbstes
M. Meißner: Das rote Teufelchen
Gisela Etzel: Herbst
Otto Rennefeld: Der Träumer
 
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