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Der Christtag hat den Wald verklärt.
Mein Tritt versinkt im weißen Schweigen,
An meine wachen Schläfen fährt
Ein Schauer aus verhangnen Zweigen.

Das ist der Tannen reiches Fest,

Der Fichten frischerwecktes Leben,

Wenn in ihr wundergrün Geäst
Die schönen weichen Flocken schweben.

Das starre Braun am Eichenast,

Das Bronzegold vom Buchenstamme,

Auch ihrer Träume Winterrast
Bestrahlt die kühlkristallne Flamme. —

Kein Laut. Längst starb im nahen Schlag
Der Axthieb und das Wort der Häuer;
Sie rüsten sich zum Weihnachtstag
Und löschen schweigend ihre Feuer.

Da hör ich aus den Fluren leise
Die Unterbrunner Glocken singen;

Ihr Dreiklang läßt mir hold die Weise
„An die entfernte Geliebte" klingen:

„Wo die Berge so blau
Aus dem nebligen Grau
Schauen herein,

Wo die Sonne verglüht,

Wo die Wolke umzieht
Möchte ich fein."

Es dämmert. Und das Lied verstummt
Wie ferner Gruß aus ewigem Munde,
Doch feine Dominante summt
Noch tief in meines Herzens Grunde.

Und plötzlich wird mir wunderbar;

Durch schneeverwehte Einsamkeiten
Fühl ich dich wieder süß und klar
An meiner Seite heimwärts schreiten.

Franz Langheinrich

Das Frühllngsfest

Von M. Roda Roda

SHer Sturm heulte, und der Regen stob. Es
war Dezember. Im Zimmerchen saßen die
zwei, der Mann und das Mädchen — dieser
Abend hatte sie zum erstenmal in ihrem Heim
vereint. Im Ofen räkelte sich ein blutarmes
Feuer. Auf dem Tisch stand noch die leere
Schüssel und ein schlankes Bouteillchen Wein,
geleert bis auf den letzten Tropfen.

Sie saßen eng aneinandergedrückt.

„Sieh Dich um! Jst's nicht schön bei uns,
Bruno?"

„Weil Du hier bist, Süße. Es soll noch
tausendmal schöner werden. Teppiche werden
auf dem Boden liegen, helle Spiegel an den
Wänden sein, Blumen in dicken Krnstall-
schalen . .

„Ach, wir brauchen das alles nicht," sagte
sie. — Er beugte ihren Kopf zurück und küßte
sie — ihr war, als fielen ihr Kirschenblüten
auf Haar und Nacken.

Alfred Zimmermannt

„Da am Fenster ist Dein Platz, Eva. Da
sitzt Du mit Deiner Stickerei. Und nebenan
am Schreibtisch ich."

„Ja. Und ich werde muckmäusestill sein,
Du merkst gar nicht, daß ich da bin."

„Wenn Du auch muckmäusestill bist — ich
höre doch mitten in der Stille Deine Nadel
durch das Leinen picken — pink! pink! —
wie der Specht an die Bäume klopft."

„Ich will," sagte das Mädel, „mein Leinen
nicht spannen, damit das Picken Dich nicht
stört."

„Närrchen! Das ist ja gerade das Schönste,
Dich nebenan zu wissen. Der kleine Specht
wird anders zur Ruhe kommen. Bald werden
Deine lieben Finger nicht mehr fremder Leute
Linnen sticken. Denn, weißt Du, wenn ich . . .
wenn's gelingt.. Ah, wie ich Dich liebe, kleiner
Specht!"

Sie schwiegen ein Weilchen und genossen
das Glück, einander nahe zu sein.

„Eva, wenn der Frühling kommt, gehen wir
in den Wald!"

„Oh, in den Wald!" Und sie heftete die
Blicke auf das Fenster. „In den Wald!" In
ihren Augen erglomm die Sehnsucht.

„Da feiern wir das Fest unsrer Liebe. Ein
Frühlingsfest. Wir suchen Blumen, Du windest
Dir Kränze ins Haar. Wir zählen, wie oft
der Kuckuck schreit, und du wirst Margeriten
zupfen: Liebt er mich? Glücklich wollen wir
sein wie griechische Götter."

Der Sturm heulte, und der Regen stob.

Bruno schrieb stundenlang. Der Specht saß
nebenan am Fenster und pochte das tägliche
Leben zusammen.

Der Specht fragte manchmal: „Willst Du
nicht zu Deinen Freunden?"

„Nein, ich habe Dich."

Und wenn sie nicht ein noch aus wußten
vor Seligkeit, da sagte sie, als ob sie versuchen
wollte, wieviel Glückseligkeit der Mensch er-
trage: „Denk' an unser Frühlingsfest!"

Dann lachten beide — wie Kinder, die von
Weihnachten reden.

Sie lebten in kaiserlicher Herrlichkeit lange,
lange Zeit. Einen ganzen Monat.

Eines Abends kamen zwei von Brunos
Freunden.

„Na, endlich, Bruno! Donnerwetter. Mensch,
wo steckst Du? Sieben Wochen in sieben Be-
zirken haben wir Dich gesucht."

Zuerst war Bruno ein wenig kühl und Eva
verlegen. Ein klein wenig verlegen.

Aber man fand sich zurecht. Eva gefiel sich
als Hausfrau — und Bruno fing an zu fragen.
Was es neues gäbe in ihrem Kreis? Erfragte
wie einer, der lange Zeit im Hörselberg ver-
träumt hat.

Sie tranken Tee und Bier, die kleinen
Stuben wurden voll Rauch. Eine der blühen-
den Levkojen auf Evas Fensterbrett verwelkte.

„Nun sind sie uns auf der Spur/' sagte
Eva, als die Freunde gegangen waren, „nun
ist's aus mit unsrer Stille."

„Was fällt Dir ein, kleiner Specht? Laß
sie doch kommen und sehen, wie die Verliebten
nisten."

So blieb's lange, lange Zeit — einen ganzen
Monat. Dann wurden die Abende schweigsam

— er horchte fernen Stimmen nach.

„Im Frühling — nicht wahr, Bruno -
gehen wir miteinander in den Wald und zählen
wie oft der Kuckuck schreit."

„Ja. Das haben wir ja so oft besprochen."
Und besann sich unter dem Blick ihrer Augen
und sagte: „Wir suchen Waldmeister und brauen
eine Bowle. Es wird sehr schön, unser Früh-
lingsfest."

Nach einer drückenden Pause fragte sie:

„Willst Du nicht zu Deinen Freunden gehen?
Einmal wieder?"

Er blickte fünf Sekunden vor sich hin. In
diesen fünf Herzschlägen kämpfte er einen harten
Strauß. Und unterlag.

„Hm . . . Schatz, es ist nicht gut, die Fühlung
zu verlieren. Auf eine halbe Stunde."

Er küßte sie und ging; und blieb zwei
Stunden.

„Wenn Du ein wenig zu Deinen Freunden
willst.. . ?" sagte sie ein andermal.

„Gewiß, man sollte sie nicht allzu sehr ver-
nachlässigen." Um zwei Uhr morgens kam er
heim.

Sie lag wach im Bett, war noch gar nicht
eingeschlafen. Der Sturm heulte ums Haus —
ein Sturm von jener sanguinischen Art, deren
Zorn nicht schreckt.

„Der Frühling soll nur kommen."

sagte sie. „Weißt Du noch — unser Fest?"
Ihr Jubel war der Bejahung gewiß.

Er war lang weggeblieben. Nun drückte
er sich an ihr Herz mit einem süßen Schuld-
bewußtsein, das die Verzeihung vorweg nimmt.

„Du mußt einsehen," sagte er, „daß Liebe
allein das Leben des Mannes nicht ausfüllt.
Da gibt es so vieles: Beruf, Künstlerstreben,
Freunde."

„Ich sehe es ein," antwortete sie und schluckte
ein paar Tränen.

Aber sie tröstete sich wieder. Sie glaubte
an seine Liebe. Alltage gibt es immer. Dann
kommt doch wieder eine Feierstunde dazwischen,
die beseligt und mit ihrem Sonnenschein das
Grau des Lebenswegs beleuchtet.

Eva wartete auf den Frühling. Spähend
sah sie in die Vorgärten. Ja, an der Ecke
blühte schon der Apfelbaum. Der Wind trug
ihr einen Dufthauch von ihm zu.

Pink — pink — fuhr die Nadel durch das
Leinen, unermüdlich.

„Wie der Specht im Walde," fiel ihr ein.

Da klappte eben die Flurtür hinter Bruno
zu und zerriß mit hartem Schlag ihre Gedanken..

Nun war er gegangen. Wann wird er
wiederkommen? Am Abend? Spät in der
Nacht?

Im Dämmern war's, da trat sie hinter ihn

— er saß am Schreibtisch — schlang ihm die
Arme um den Hals und küßte ihn dicht hinters
Ohr.

„Sieh... es ist längst Frühling. Wollen
wir nicht... in den Wald gehen?"

„Einen Ausflug? Ach nein."

„Ich meine, wir . . . unser Frühlingsfest...
Weißt Du noch?"

Gott — ja. Wein' doch nicht immer gleich,
Eva! Wir können ja ganz gut in den Wald."

„Morgen?"

„Morgen nicht, da ist im Ruderklub was los."

„Also übermorgen?"

„Uebermorgen? Vielleicht, wenn nichts da-
zwischen kommt."

Es kam aber was dazwischen.
Index
Alfred Zimmermann: Bethlehem
Franz Langheinrich: Waldweihnacht
M. Roda Roda: Das Frühlingsfest
 
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