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Nach vier Tagen bat sie noch einmal.

Nach drei Tagen wieder. Sie mußte, mußte
ihr Frühlingsfest haben. Dann wird sich alles
wenden.

Bruno sagte endlich: „Gut, also morgen."

Die Nacht schlief sie nicht.

Sie fuhren mit der Straßenbahn. DieMenschen
rissen sie auseinander. Bruno stand auf der Platt-
form, sie saß eingekeilt im Wagen.

„Ist es nicht ekelhaft?" fragte Bruno, als
sie ausgestiegen waren.

In einer kleinen Wirtschaft aßen sie zu
Mittag.

Dann waren sie allein auf einer kleinen
Lichtung. Bruno legte sich auf den Rasen.

„Wir hätten eine Decke mitnehmen sollen,"
sagte er mürrisch. „Ich werde Grasflecke in
meine Hosen Kriegen."

„Wir wollen horchen, ob der Kuckuck ruft.
Weißt Du noch, Bruno?"

„Ja."

,"Liebst Du mich noch?"

„Natürlich."

„Warum freust Du Dich dann nicht? Heute
— heute ist doch unser Fest."

„Ich weiß, ich weiß," sagte er und wehrte
die Mücken ab. „Verdammte Dinger! Sie

stechen wie toll."

„Gib mir einen Kuß, Bruno."

Er küßte sie und ließ sich wieder ins Gras
fallen. Sie stand auf und suchte Blumen.
Glockenblumen gab's nicht, auch Margeriten
nicht, die man zupfen konnte. Immerhin, auch
aus Maßliebchen ließ sich ein Kränzchen winden.
Sie fand ein Marienkäferchen und schrie vor
Wonne. Sie lief den Eidechschen nach und
wollte sie fangen. Sie setzte sich ihr Kränzlein
ins Haar, trällerte ein Liedchen, wiegte sich in
den Hüften und klatschte in die Hände. Drehte
sich um sich selbst, daß die Röcke sich bauschten.
Alles, um sich und ihm den Frühling vorzu-
täuschen.

Plötzlich hielt sie still und musterte Bruno.
Er sah sie an mit mitleidslosem Blick.

„Bruno, warum liebst Du mich nicht mehr?"

Er stand auf. Sie reichten einander die
Hände.

„Bruno, verlaß mich nicht! Bleib bei mir!"

„Ich kann nicht, Eva."

Und er ging.

Sie sah ihm mit heißen Augen nach.

Langsam und immer rascher verschwand er
im Wald.

Stille Nacht — heilige Nacht

(Zu den beiden Bildern von Paul Rieth)

Der Chn'ftbaum steht Heuer im roten Salon —
Er mißt drei Meter und achtzig —

Im Tiergartenviertel, in dieser Saison
Vergleicht ihm wohl keiner an Pracht sich.

D'ran brennen — des Johann famose Idee! —
Sechs Dutzend elektrische Lichter
Und stilvoll bedeckt ihn Asbestflocken-Schnee,
Ganz feuersicherer, dichter.

Und feierlich dreht sich — ein Uhrwerk bezweckt
Den Zauber mit Federn und Krampen! —
Der Baum um sich selber — welch hübscher Effekt,
Die kreisenden Flitter und Lampen!

Am heiligen Abend, da sparen wir auch
Das Geld nicht in schäbigem Geize,

Wir Christen — der uralte christliche Brauch
Hat seine poetischen Reize!

Der rote Salon — der Märchenglanz
Des Cbristbaums in goldigem Lichte —

Der Damen rauschende Eleganz —-
Pikfein ist die ganze Geschichte!

Und erst die Geschenke — es ist ein Staat!
Wie schön und wie fein und wie nobel:

Zuerst für die Frau Geheime Rat
Muff, Pelzhut und Stola von Zobel

Für zwölstausend Mark, — einen Demantstern
Für sieben, einen pompösen.

Für drei ein Gesellschaftskleid von Redfern
Und einen Hut mit Pleureusen.

Und Fräulein Male, die Tochter, bekam,

Den längst sie ersehnte in Hulden,

Zunächst — einen teueren Bräutigam
Mit wahrhaft fürstlichen Schulden,

Mit Gardetressen und Rittergut
Und Nennstall und Krone und Wappen,

Mit Rössern und Ahnen vom blauesten Blut —
Ein Halbgott auf seinem Rappen!

Und weiter bekam sie ein Perlkollier
Und dicke Boutons — einen Posten
Von zwanzig Mille so ä peu pres
Wird das den Geheimrat schon kosten.

In seligem Glücke blickt Amelie,

Die Augen von Rührung gefeuchtet,

Auf Botho's Bild und das Sammetetui,

Aus dem es funkelt und leuchtet.

Die Drei sind gestimmt, wie zum Gebet —

Ergriffen hören sie zu so

Dem Operntenor, der am Flügel steht —

Man nennt ihn den zweiten Caruso!

Er singt — diese Stimme ist eine Pracht,

Der Vortrag ein idealer! —

Er singt das „Stille Nacht, heilige Nacht" —
Dafür kriegt er fünfhundert Taler.

Er singt ein Piano vom süßesten Schmelz —
Das Bild und der Christbaumschimmer —

Der Schmuck—und der Bräutigam—und derPelz—
Es geht ein Engel durchs Z.mmer!

Victor Schneiber

Vom Lied verzittert der letzte Ton —

Der Cbriftbaum dreht sich im Kreise —

Die Tochter träumt von ihrem Baron —

Und die Eltern schnarchen leise-

* * *

Die blaue Nacht — wie wunderschön!

Im Froste glitzern drauß' die Dächer —
Spätabend ist — und das Gedröhn
Der Gaffen rauscht nur schwach und schwächer

Und hier und dort im Fenster sieht
Man einen Strauß von Licht erglimmen
Und fernherüber, wenn's geschieht,

Klingt Jubel wie von Kinderstimmen.

Und Friede senkt mit sanftem Bann
Sich freundlich nieder auf die Erde,

Daß Jeder Christnacht feiern kann,

Der Liebe hegt an seinem Herde.

Der Weihnacht guter Engel tritt
In alle Türen, nach der Reihe
Und bringt ein Glück, ein Glückchen mit
Und eine Stunde stiller Weihe.

Er kann der Freude goldnen Schein
Der Allerärmsten Armut borgen,

Mag's dann ein Glück in Tränen sein,

Ein Lächeln unter Not und Sorgen! —

Hoch unterm Dach, da haust ein Paar
Verliebter Leute, töricht junger,

Zusammen kam's vor einem Jahr —
Trauzeugen waren Kunst und Hunger!

Sie waren sich im Tiefsten gut
Und hatten nichts, ihr Nest zu bauen,

Als ungebrochnen Lebensmut
Und felsenfestes Glücksvertrauen.

Sie nahmen sich und hielten sich —

Ein kecker Streich, ein jugenddreifter! —
Ihr Nest war mehr als kümmerlich.

Und Schmalhans blieb der Küchenmeister!

Im Sommer war die Kammer heiß
Vom Blechdach, daß die Decke schwelte;
Im Winter fror im Krug zu Eis
Das Wasser, wenn's an Kohlen fehlte.

Und doch: in diesem Spatzennest
Im fünften Stockwerk, hart am Speicher,
Da ward der Liebe Fest um Fest —

Die Reichsten haben's auch nicht reicher!

Sie glaubt an ihn, an Glück und Ehr',
Sieht seiner Kunst die Zukunft offen
Und bleiben Tisch und Teller leer,

Sie werden satt von ihrem Hoffen! —

Und Weihnacht heut' — kein Tannenbaum
Am Tisch auch nicht die kärgste Gabe,

Ein Lämpchen bloß erhellt den Raum —
An ihren Brüsten schläft ihr Knabe.

Der Mann hat schweigend aus dem Spind
Die alte Fiedel jetzt genommen
Und spielt der Mutter und dem Kind
Das alte Weihnachtslied der Frommen:

„O stille Nacht — o heil'ge Nacht!"

So singen schmeichelnd süß die Saiten —
Der Säugling atmet tief und sacht,

Die Mutter träumt von goldnen Zeiten —
Register
F. v. O.: Stille Nacht - heilige Nacht
Viktor Schneiber: Vignette
 
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