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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 16.1911, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27
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https://doi.org/10.11588/diglit.4279#0008

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Meyeral

Auf starken Säulenfüßen
Ins Wetterloch hinaus
Ragt über die tiefen Wiesen
Ein Erker an meinem Haus.

Mer kleine Fenster schauen
Ins Tal beim Lampenschein;

Verschneit am Tage blauen
Die Hochvogesen herein.

Wie ihre granit'nen Zinnen
So rauh und grau der Turm,

Die Rosen, die ihn umspinnen,

Zerzaust der Novembersturm.

Ich sehe durch die Fenster
Ihr Laub im Wind verweh'n
Und höre die Luftgespenster
Die Wetterfahne dreh'n.

Es braust im Mattengrunde
Geheimnisvoll der Bach,

Hält mich in später Stunde
Mit seinen Geschichten wach.

Ich höre Blöcke rollen
Talabwärts in der Flut,

Und wie sie mit Knirschen und Grollen
Sich stoßen in stummer Wut.

So will ich still belauschen,

Auf festen Grund gestellt,

Die Ströme und ihr Rauschen
Dort draußen im Schoß der Welt.

Hans Rarl Abel

Das stumme spiel der Hofgesellschaft

Von Paul Schccrbart

In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts
lebte im Schloß zu Nymphenburg bei München
der Prinz Wolfgang. Der Prinz lebte da ganz
allein — und fing natürlich Grillen. Die Eltern
waren auf Reisen. In der Münchner Residenz
lebten nur die vielen Lakaien, Stallmeister,
Wagenhüter, Portiers und Kammerfrauen und
die KUchenmägde. Und in Nymphcnburg war's
nicht viel anders. Nur ließen sich hier die
Lakaien und die andern Hofbcamten nicht viel
sehen, denn der Prinz Wolfgang — wollte nicht
gestört werden. Er sah das Dienstpersonal
lieber gehen als kommen — sowohl im Park
wie im Schloß. Und die Wünsche des Prinzen
waren überall in Nymphenburg die allerstreng-
sten Befehle.

Der Prinz wollte plötzlich — Maler werden.

Darum spielte gleich ein alter Maler —
mit Namen Dahlmann — eine Hauptrolle in
ver Umgebung des Prinzen.

Dahlmann sollte der Lehrmeister sein.

Er nahm sein Amt gleich sehr ernst und er-
klärte dem Prinzen in langer wohlgesetzter Rede,
daß der Zeichenunterricht bei der Malerei am
Anfänge die Hauptsache sei.

Da kam er aber schön bei deni Prinzen an,
ver sagte mit der langen weißen Kalkpfeife im
Munde seinem Lehrmeister auf einer Parkbank
neben einer jagdlustigen Diana das Folgende:

„Ich war doch in Holland. Ich sah da
doch, wie der Maler gleich frisch drauf los malte

Wir lächeln und schweigen,

Wir schweigen und weinen,

Wir tragen das Glück
Wie einen Schmerz.

Fühlst du, o fühlst du
Um unsere Schultern die Flügen,

Um unsere Stirnen das Leuchten,

In unseren Worten den tiefen Klang?
Das ist das Glück.

Lächle, du Süße, und schweige,
Schweige und weine.

Trage dein Glück
Wie einen Schmerz.

Wilhelm Michel

— ohne Zeichnung. So will ich's auch machen.
Nicht Zeichner will ich werden. Das Zeichnen
lerne ich nie. Gleich mit Farben will ich Vor-
gehen. Nur mit Farben kann ich Maler werden.
Und bevorzugen will ich blau, gelb und rot.
Keinen Widerspruch, Herr Dahlmann! Fangen
wir gleich an."

Nun wurde feierlichst ein Atelier im Schlosse
hergerichtet und auch eine große allmächtige
Leinewand — sorgfältig im Rahmen aufge-
spannt — auf die Staffelei gestellt.

Herr Dahlmann und ein paar Pagen rieben
die Farben und präparierten die Pinsel, und
dann wollte Prinz Wolfgang eine wundervolle
Seelandschaft malen.

„Sehr weiß," sagte er, „soll die Seeland-
schaft aussehen. Wolken sollen auch da sein —
weiße Wolken. Fangen wir mit der oberen
Hälfte des Bildes an."

„Ja," versetzte Herr Dahlmann devot, „soll
ich anfangen? Oder — wollen Durchlaucht
selber anfangen? Alles soll geschehen — ganz
so wie Durchlaucht zu befehlen geruhen. Hier
liegen die Pinsel in einer Reihe. Wenn Durch-
laucht zu nehmen belieben möchten. Das Pläsier
ist sehr delikat, kapriziös und unterhaltsam."

Durchlaucht begann.

Aber seine Hand gehorchte ihm nicht, die
Wolken wurden abscheuliche Klumpen, und er
hielt bald inne und stürmte allein hinaus —
in den Park.

Nun ging das Tage und Wochen und Monate
so. Der Prinz ließ sich nichts sagen. Und
ihm gelang das Malen nicht. Die Seeufer
wurden immer wüster. Und dem Maler gefiel
seine Malerei selber nicht. Alles wurde immer
wieder weggekratzt. Dahlmann saß immer

ganz ruhig daneben, rauchte seine lange Kalk-
pfeife und wagte nicht, ein Wort zu sagen.

„Er wird sich schon selber zu helfen wissen!"
dachte der alte Herr. Und mit diesem Ge-
danken rauchte er eine Kalkpfeise nach der
anderen. Der Kalk wurde schon recht braun.

Als der Herbst kam, sah Prinz Wolfgang
recht schlecht aus. Die Gemütsbewegungen
griffen ihn an. Er sah ein, daß das Malen
eine recht schwere Sache war.

Und der Prinz wurde ernstlich krank, husietc
oft, stand sehr spät auf und schlich, schwer ach
einen Krückstock gelehnt, mühsam durch de»
weiten Park. Und seine Puderperrücke sah
trotz der Sorgfalt des Kammerdieners immer
sehr unordentlich aus, denn der Prinz Wolf-
gang liebte es, auf jeder Parkbank sich die
Haare zu raufen und dabei sehr ungestüm aus
die alten Götter Griechenlands zu schimpfen,
die seine Hand behext Hütten.

Herr Dahlmann schrieb an den Münchner
Leibarzt und bat ihn, als Maler nach Nymphen-
burg zu kommen und da nach dem Rechten zu
sehen. Und dabei schilderte der alte Herr das
Unglück im Schlosse in den allergrellsten Farben,
wobei er nicht unterließ zu bemerken, daß sich
alles ändern würde, wenn Durchlaucht die ver-
maledeiten, obstruktionslustigen Sapperment-
Farben Blau, Gelb und Rot aus dem Spiel
lassen möchten.

Der Leibarzt — mit Namen Kröcker —
legte die Goldkugel seines Spazierstockes erst
an den linken Nasenflügel und dann an den
rechten Nasenflügel — und lachte dann plötzlich
lustig auf und sagte heiter in den großen
Spiegel schauend:

„Dieser Aufgabe sind wir gewachsen."

Er fuhr nach Nymphenburg in Galakutsche,
stellte sich als holländischer Maler vor, der
Malheur gehabt an der rechten Hand und jetzt
gekommen sei, Prinz Wolfgang einen guten
Rat zu erteilen.

Aus stiller Parkbank sagte er dann: „Durch-
laucht ! Es geht auch ohne Malerei. Ich hab's
erfahren. Man muß nur täglich ein gutes Glas
Wein oder ein paar Krüge von dem guten
Münchner Hofbräu trinken."

Da ward der Durchlaucht ganz kläglich zu
Mute, und sie sagte weinerlich: „Mir aber fehlt
doch nichts an der rechten Hand. Warum kann
ich denn das Malen nicht lernen?"

„Das ist," versetzte Kröcker, „eben das Ge-
heimnis der rechten Hand. Ohne die rechte
Hand kann man gar nicht malen — man müßte
denn die linke ausbilden — oder die Füße —
was sehr schwer ist. Hier ist etwas immer
verhext."

„Auch meine Meinung!" rief Durchlaucht
lebhaft.

„Ja," fuhr nun Kröcker fort, „da handelt
sich's nur darum, den Ursachen der Verhexung
nachzuspüren. Wie kommen Durchlaucht aus
die pittoreske Idee, justament ein großer Maler
zu werden? Wenn Durchlaucht hievon be-
richten möchten, wird mir ein Leichtes sein,
hinter die Schliche der verflixten Handbehexung
zu kommen. Ich bin oft zu Rate gezogen,
wenn man parlierte und dehattierte über die
Malheurs der sogenannten menschlichen Hand

— beim Tier genannt Pfote."

Kröcker nahm eine Prise aus goldener Bril-
lantendose, reichte sie auch dem Prinzen. Der
aber dankte und sagte weich: „Ach, sehen Sie,
Mynheer, Sie wissen doch, daß die Eindrücke
der Jugend die stärksten Eindrücke sind. Jetzt
bin ich bereits über sechsundzwanzig Jahre alt.
Ich werde täglich älter. Ich gehe dem Tode
entgegen. Abcr — der stärkste Eindruck war

— ich zählte damals kaum acht Jahre — als
mir unsre Hofamme ein Märchen aus Tausend
und einer Nacht erzählte. Ick weiß nickt mehr

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Index
Hans Karl Abel: Metzeral
Cäcilie Schmidt-Goy: Vignette
Wilhelm Michel: Liebe
Paul Scheerbart: Das stumme Spiel der Hofgesellschaft
 
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