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rösten und braten. Sogar eine Bratgrube in
der Art der polynesischen Völker war vorhanden,
da es Gaudensnut ausprobiert hatte, daß ein
ausgeweidetes, jähriges Schwein, das mit glühen-
den Steinen gefüllt, in die Bratgrube gelegt
und mit heißen Steinen und Sand bedeckt
wird, einen Geschmack hat, der sich durch keine
Art europäischer Kochkunst erreichen läßt.

An die Küche schlossen sich gleich die Kupfer-
kammer, Porzellankammer, Glasstätte, die
Räume für Gewürze, Mehlwaren und andere
Ausbewahrungsgemächer an. Ueberreich waren
alle notwendigen Gerätschaften vertreten, allein
zweihundert kupferne Tiegel waren für die ver-
schiedenen Arten der Eizubereitung vorhanden.

Unter der Küche befanden sich die Kühl-
räume für die diffizilen Fleisch- und Obstwaren.
Ueber den Zugang zu diesem kühlen Keller
war eine Glaskammer gebaut, in der die kalten
Platten vorbereitet werden konnten. Hier waren
Vertiefungen in den Marmortischen, die mit
Eisstückchen ausgefüllt werden konnten.

Mit souveräner Herablassung begrüßte Mon-
sieur Antoine de la Fourchette-Rochesort die
Herrschasten, die sich zu ihm in sein Reich hinab-
begeben hatten. Für die Frau Konsul, die ihn
gelegentlich durch ihre Vorschläge indignierte,
hatte er nur einen finsteren Blick. Im übrigen
ließ er sich als echter Künstler durchaus nicht
von den Eindringlingen stören. Ruhig ging
er in seine Glaskammer zurück, in der er einen
achtpfündigen Sterlett, den er in Rheinwein
gekocht hatte, mit Eis unterlegte und dann auf
kunstvolle Art mit einem halbstarren Aspik, den
er aus Ochsenzunge, Rindermark und weißem
Burgunder gewonnen hatte, umgab.

Der zarte Geruch, der diesem Aspik ent-
strömte, zwang die Herrschaften, den Kopf in
den Nacken zu legen, die Augen zu schließen
und sich ganz der sanften Nasenreizung hin-
zugeben.

Indessen während seiner eigenen Arbeit di-
rigierte der Meister Fourchette zwei hübsche,
junge blonde Vierländer Mädchen in weiß-
blauen Waschblousen und weißen Häubchen, die
ihm andere Platten mit Austern Herrichten und
tiefe Kristallschalen mit grobkörnigem, grauem
Kaviar füllen mußten, indessen ein geweckter
kleiner Küchenjunge feine Schnitten mit ge-
räuchertem Ochsenfilet, Rehfleisch und Kapaunen-
brust belegte, und danach Toast mit dem Gelb
von Möweneiern bestrich.

Die Krone dieser Vorgerichte thronte bereits
abseits in Gestalt einer großen Schüssel aus
Meißner Porzellan, die mit Hummerscheren und
-schwänzen gefüllt war, über die Meister Four-
chette-Rochesort eine selbsterfundene grünliche
Sauce gegossen hatte, die aus den Eingeweiden
der Hummern gewonnen war.

Am Herde war ein Unterkoch beschäftigt,
sechs Wachteln auf einen Spieß zu stecken,
während ein Mädchen eine Pfanne mit Hühner-
sett ausstrich und sorgfältig siebenzig Hahnen-
kamme darin plazierte.

Uhlenhut konnte sein Behagen nicht länger
füll in seiner breiten Brust verschließen. Er
rühmte alles, was er sah, und schloß mit den
Worten, eine Hochzeitsgesellschaft von vierund-
zwanzig Personen könne sich an dem Mahle
satt essen.

,,Ia, ich liebe es, wenn alles reichlich ist,
erwiderte der Regierende einfach, „ich mag nicht,
sut, einer geniert. Vielleicht möchte em
«ast bei einem Gericht, das ihm fremd ist oder
besonders gefällt, verweilen. Mag er es sich
teilen, benn es ehrt mich. Beengung und
Zwang rst das Verwerflichste, was ich mir beim
vpeisen vorstellen kann, und unterbindet den
Genuß!"

Peter Marquardt, dessen Gedanken in-
zwischen wieder in seine Wochenstube geirrt
waren, konnte sich nicht enthalten, seufzend zu
befefei ]'^Ur ®rau Dorlebusch dürfte nicht da-

r "®as meinen Sie damit, Marquardt,"
I Me Gaudensnut ihn streng.

./Verzeihung," erwiderte der Gefragte, „meine
evanken waren wieder bei mir zu Haufe.

Wenn Sie die Ansprüche einer Hebamme
kennten! Ich kann Ihnen versichern, unsere
Frau Dorlebusch würde mit all diesen herrlichen
Gerichten allein fertig, binnen drei Stunden,
ohne sich den Mund erst abzuwischen I"

Dem Regierenden stieg die Röte ins Gesicht.
„Marquardt," sagte er, „das reden Sie sich ein!
Alles in allem find das etwa vierzig Pfund
Proviant I"

„Ich wette 2000 Schillinge, daß sie das
nicht zwingen könnte," rief Uhlenhut.

„Aber ich bitte die Herren, sich doch nicht
zu erregen, das war doch nur eine ksgon äe
parier/' warf die verwitwete Frau Konsul be-
ruhigend ein. Und das war das erste Wort,
was sie bisher geäußert hatte.

„Gnädige Frau, ich meine es buchstäblich,"
erwiderte Marquardt hitzig. „Unbesehen würde
ich, falls es der Gaudensnut gestattet, die
Wette annehmen!"

„Wenn Sie noch 2000 gegen mich wagen,
gestatte ich es," entschied der Regierende. „Dann
soll sie allein essen!"

„Du wirst doch nicht das Mahl aufs Spiel
setzen?" rief die Konsulin. „Um jeden Bissen
wäre es schade!"

„Liebe Schwester, die Wette ist geschlossen!"
erwiderte Gaudensnut mit männlicher Festigkeit.
Nach diesen abschließenden Worten begab er
sich in die oberen Räume, schickte nach seinem
Kutscher und befahl die Hebamme Frau Dorle-
busch eiligst in fein Haus zu fahren.

Unter den vier Menschen, die sich noch Mi-
nuten vorher behaglich unterhalten hatten,
herrschte lastende Stille. Sie waren alle in
dieser Wette wie in einer Sackgasse verrannt.
Selbst die Frau Konsul machte keinen Versuch
mehr, auf eine gütliche Aufhebung einzuwirken,
denn ihr Frauenstolz war durch die nachdrück-
liche Abweisung von Seiten ihres Bruders viel
zu empfindlich verletzt worden. „Mochten die
Hartköppe nur zusehen, was. jetzt aus den
schönen Speisen würde!" sagte sich Frau Stolzen-
becher und reckte ihre üppige Matronengestalt
auf und strich die siarken strohblonden Haare
zurück, während sie die wasserblauen Äugen
starr auf ihre Fußfpitzen gerichtet hielt.

Uhlenhut und Gaudensnut waren zwar ihres
Sieges sicher. Doch beide wurmte es gewaltig,
wenn sie bedachten, was einer Wette wieder
einmal geopfert werden sollte. Auch Marquardt
war es nicht wohl zu Mute. Aber weniger
der Wette wegen, als vielmehr aus Angst um
feine Frau, die am vierten Tage nach einer
fo schweren Geburt eventuell doch noch der er-
fahrenen Frau Dorlebusch bedurfte.

Indessen fuhr der Wagen des Senators
wieder vor. und einige Minuten später öffnete

Rieh. Rost

Moralisch
„Na, Seppl, letzter iS vorbei mit der Unkcufch-
heit, jetzt bin i im Jungfernbund, da derfft d' Woche»
bloS zwoamal zu mir einitcmma!"

sich die Tür, und herein wälzte sich der gewal-
tige Körper eines Wesens, das einem angeklei-
deten Hippopotamus glich. Alle andern Per-
sonen im Zimmer, die doch alle gute nieder-
siichsische Maße aufwiesen, erschienen neben
diesem Wesen als Püppchen. Das Formlose
dieser Figur war noch dadurch vermehrt, daß
sie von weiten, bauschigen Röcken unten um-
geben war, während sich um den Oberkörper
ein unendlich weites schwarzes Fransentuch
schlang.

Nachdem diese letztgenannte Hülle gefallen
war, ergab sich in der Tat ein Mensch weib-
lichen Geschlechtes. Ein kürbisgroßer feuer-
roter Kopf, umwoben von dicken rotblonden
Haarsträngen saß auf kurzem Halse in einen
ungeheuren Brustkasten eingeklemmt, der ohne
Taille sich verbreiternd in die gewaltigen Fleisch-
massen der unteren Körperhälfte verlief. Ein
weißblonder feinhaariger Haarflaum auf der
Oberlippe verlieh dem dicken Kopfe etwas, das
an einen gütmütigen Rekruten erinnerte.

Geschäftig band die Frau, ohne ein Wort
zu äußern eine bettlakengroße weiße Schürze
um, ergriff ein Täschchen, aus dem einige
Instrumente hervorblinkten, und lief mit einer
Schnelligkeit, die bei dem Behemotkörper er-
staunlich war, auf die verwitwete Frau Konsul
zu. Sie musterte die Verblüffte mit ihren stark
kurzsichtigen Augen durch ein Lorgnon. Nickte,
als bestätigte sie sich selbst etwas, und legte ihre
gewaltige rechte Hand auf den Leib der er-
staunten Dame. Ruhigen, tiefen Tones sagte
sie: „Geduld, gnädige Frau, Geduld! Es ist
gar nichts dabei! Sie können sich ganz auf
mich verlassen! Bleiben Sie nur ständig in
Bewegung!"

Darauf knixte sie tief vor dem überraschten
regierenden Senator, lächelte sehr breit und
sagte: „Hochmögender Herr! Auch in den besten
Kreisen kann es so überraschend kommen! Aber
wenn es so überraschend kommt, geht es auch
meistens schnell!"

Der Regierende versteinerte. Uhlenhut riß
seinen Mund auf, daß er in seinem breiten,
blonden Barte und den starken weißen Zähnen
aussah, wie ein Nußknacker in Bereitschaft.
Nur Peter Marquardt begriff, und während
er sich nervös an seinem schwarzen Schnurrbart
zupfte, und über die sorgfältig gekämmten Haare
strich, stotterte er fast zaghaft: „Frau Dorlebusch,
Sie irren sich!"

Da aber schwoll die Fleischmasse zum Berge
an. Die tiefste Altstimme der Erde herrschte
Peter Marquardten an: „Ich habe mich noch
nie geirrt! Ich habe es Ihnen gleich gesagt,
daß Ihre Frau Zwillinge haben würde! Und es
ist gut abgelaufen, wie ich's auch gesagt habe!"

Nun ergriff Gaudensnut das Wort: „Frau
Dorlebusch! Wir haben Sie nicht zur Hilfe
geladen! Wir wollten Sie nur gebeten haben,
ein Essen bei uns einzunehmen, da uns Peter
Marquardt von Ihrem vorzüglichen Appetite
erzählt hat! Unsere einzige Bedingung ist nur
die, daß Sie nach Kräften nichts über lassen!"

Frau Dorlebufch, die von ihrer Kundfchast
gebührend verwöhnt wurde, lächelte geschmeichelt,
denn sie sah durchaus nichts Außergewöhnliches
in einem solchen Vorschlag. Sie wandte sich
schwerfällig weltgewandt, wie sie nun einmal
war, an die Konsulin und sagte entschuldigend:
„Gnädigste, ich empfehle mich Ihnen, wenn cs
einmal fein sollte!" Dann wandte sie sich wieder
an den Senator: „Herr Senator, ich habe freilich
einen ganz hübschen Appetit! Freilich nicht so
stark wie mein Vater selig! Aber Sie brauchen
sich nicht zu sorgen! Ich werde Ihrer Tafel
alle Ehre angedeihen lassen, denn schon als
Kind bin ich gehalten worden, die lieben Gottcs-
gaben nicht zu verschmähen oder aus dem Teller
liegen zu lassen I"

Uhlenhut wurde es bedenklich zu Mute, als
er diese Frau, die er sonst nur von der Straße
her kannte, aus der Nähe betrachtete. „Zwei
Auflader könnte man aus ihr schneiden," sagte
er sich, „und ein kleiner Schiffsjunge spränge
auch noch dabei heraus!"
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Richard Rost: Moralisch
 
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