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^ Erntegruß

Rauscht ihr noch, ihr alten Wälder,
Hoch vom Rennstieg euren grünen Sang?
Wiegt ihr noch durch goldne Felder,
Graue Dome, euren Feierklang?

Und du, wundcrkühle Sagenquellc,
Liebe Saale, spiegelst du noch Helle
Berg und Burg und reifen Rebenhang?

Ja, es taucht aus trauten Fluren
Und es glänzt mir her vom klaren Fluß,
Vaterhaus und Wanderspuren,
Schlägerklang und rascher Turnergruß.
Hörselberg. aufspringt die wilde Pforte:
Locken wehn im Wind und

Mädchenworte,
Und die Lippe blüht vom ersten Kuß. —

Jahre, die dahingezogen,

Eure Pulse fühl ich warm und klar,
Und des Lebens bunter Bogen
Ueberschwingt, was jung und selig war.
Dolle Ernte wogt zu meinen Füßen.
Und ihr rauscht, den Abend mir zu grüßen,
Heimatwälder, auf mein weißes Haar.

Franz Langhcinrich

München

Dich zieren Heiterkeit und Kraft

und Treue,

Und Türme viel voll dunkler

Glocken singen.

In breite Gassen flutet Himmelsbläue
Und Laub aus Gärten, drin die

Brunnen springen.

Und Föhne nah'n dir oft, dich zu beglücken
Mit jähen Lenzen, eh' noch Winter endet,
Mit falschen Frühlingen, die heiß entzücken
Wie Küsse, welche die Geliebte spendet.

Und Feste weißt du, schimmernd übergossen
Von Glut und Licht, von Liebe

hold beglänzt,

Drin Iugendlust den heiteren Genossen
Zur Nacht den süßen Taumelkelch kredenzt.

Und wieder ward dir Schaffenslust

und Stille,

Dir ward ein Sinn, den Schönheit

froh begeistert,

Der dankbar für der Erde heitre Fülle
Das froh Empfund'ne im Gebilde meistert.

Wilhelm Michel

Schwarz - weiß-Gedanken

von Max Bewer (Laubegast)

Nicht nur die Politik ist eine Kunst, wie
Bismarck sagte, sondern auch der — Glaube.
Ein Tier glaubt nichts, wie jeder Plebejer
und Philister. Je feiner die seelische Struktur
des Menschen ist, desto zarter und gläubiger
empfindet er das Wunder des Lebens. Aus

Aus Gräfentonna

K. Lürtzing (Erfurt;

den Bruchstücken des gestirnten Himmels, die
wir sehen, aus dem keimenden Saatkorn,
aus dem brechenden Auge eines Sterbenden
harmonisch sich zu einem Weltbild ordnende
Empfindungen zu gewinnen, ist nicht leicht.
Und wie viel tausend andere Eindrücke stürmen
in dem erschütternden Drama dieses Lebens
auf uns ein? Schon die paar Oktaven auf
dem Klavier fordern zu einer Melodie kunst-
volle Hände. Wie viel mehr weiße und dunkle
Tasten hat das bis in unendliche Himmels-
fcrnen und Gewissenstiefen leidvoll und freud-
voll tönende Instrument des Lebens? Auf
ihm einen brausenden Choral des Glaubens
zu spielen oder nur einen strammen Welt-
anschauungsmarsch voll Lebenskraft und Da-
seinslust, das erfordert — Kunst. Dieser
Gedanke, denn auch der lilienbetrachtende
Christus war ein Künstler, wird mehr
Menschen zum Glaubensbedüisnis zurück-
führen, als manche Predigt. Denn dem Ruf
zur Kunst folgt der Mensch und zumal der
deutsche Mensch so freudig, wie der einge-
sperrte Schmetterling aus dem Domdunkel
dem Wink zum Licht und dem Aufstieg ins
Weltall I . . .

Wir sind alle aus Erden verschüttete Berg-
leute, die in Einsamkeit verloren sind, wenn
wir nicht fortgesetzt Klopfzeichen geben. So
lasse dein Herz nicht aufhören, dem Guten
und Schönen cntgegenzuschlagen. Dann wirst
du in freudiger Ergriffenheit plötzlich irgend-
wo in einer fernen Brust das Klopfen des
Verständnisses, der Freundschaft, ja der Liebe
hören! . . .

Ewig erneut

lind wie Du so die Flügel dehnst j
Zn Ahnung und Erinnerung
lind Dich so neu und heimlich sehnst
So wirst Du ewig wieder jung. i

Dich faßt die alte Seligkeit,

Die still ans dunkle Herze klopft,

Als wenn ein Baum, erst tief verfchne!
So fremd erwacht, und blinkt, und tropf

Und wieder schauert Ast und Reis
Und schwillt vom alten süßen Saft, 1
Und wieder legt ein frischer Kreis
Sich um den hundertjährigen Schaft!

Erika Rhcinsch

vomfreiheit

Bon H. De Kora

Die Herren saßen um den großen ntnij*
Tisch des Speisezimmers und rauchten E
Kaffeezigarre. -

„ . . . Die meisten von uns," fuhr j1
Doktor fort, „wissen gar nicht mehr, wiev'
Arbeit es gekostet hat! Geistige, und Jj
Beine! Schreiben und Laufen! Erst wo"
Niemand so recht heran. Da warfen
dies Wort in die Masse, wie eine Ha"
voll Hefe in einen Teig. Und nun bego'
er zu gähren und zu gehen . .."

„Und so wurde 'n Kuchen draus. Aber"'
Heizen mußte man ihm tüchtig." Manhart lach
„Ja," nickte der Professor, „es war wirk!"
eine Tat! Das Verdienst daran, daß wir Jj
Dom heute frei sehen, für ewige Zeiten, gebm
Ihnen ganz allein, lieber Doktor!"

„Und meinen Mitstrebendcn. Besonders
Manhart dahinten! Seine brillanten Klei"'
Skizzen über „München aus der Vogelscha"
seine wertvollen Ausblicke auf die Kultur "
werdenden und gewordenen Großstadt hao"
uns ganze Heere gewonnen." .

„Es war nicht so verdienstlich," schmuE
der Gelobte und dehnte sich behaglich in d"
breiten Klubsessel, „ich habe vieles davon
— Liebe geschrieben. .."

„Aus Liebe zur Sache?"

„Aus Liebe zum Schönen! Sowohl gcg"'
über der Sache als gegenüber einer Perso"
der Sache den Vortritt I Ich hatte eines D«
erfahren, daß ein paar alte Häuser an der Dos
feite niedergelegt werden sollten, um irgend ein"'
Wirtshaus oder Warenhaus Platz zu mack"
Das interessierte mich. Ich stellte mir's denn"
vor, wie der alte braune Koloß da Hera"
wachsen würde aus dem Boden und hervor du"
die Häuserlücke, gleich einem dicken EichbaNs
der von Gestrüppe befreit wird. In der Ds
Als die Häusermaucrn bis auf den Grund "
gebrochen waren, bot sich ein Anblick, wir
nicht leicht zu vergessen ist. Gegen den HiE
grund des Platzes stand da etwas so Scho""
Seltsames, daß es sich wie künstlerische Os!"
barung ansah I Dieser Dom, nun auf eins"'
vom Kopf bis zum Fuß frei, mit dem fer"
Schnitt seines Profils, den großen edlen Lin"
der sich verjüngenden Türme und seiner wu»o>
vollen Färbung stand aus einmal da, wie "
Riese, der irgendwoher hereingewandelt ist Us
sich nun nicht mehr vom Fleck traut aus Am
vor dem Gewimmel zu seinen Füßen.
verlegen und verwundert stand er da, A
sürchtete er beim nächsten Glockenschritt °
Menschen totzutreten, die rings um ihn krön?
Es war köstlich zu sehen. Und es war?
gleich so ungewöhnlich, daß man wie einK>,
durch diese offene Tür einen heimlich erspdbb
Ehristbaum zu erblicken glaubte, bangend,

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Register
Max Bewer: Schwarz-weiß-Gedanken
Karl Lürtzing: Aus Gräfentonna
A. De Nora: Domfreiheit
Erika Spann-Rheinsch: Ewig erneut
Franz Langheinrich: Erntegruß
Wilhelm Michel: München
 
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