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Der Lenker: „Und ich? Grad sowenig!
(Hebt die Hand.) Ich schwöre es: nie, nie, nim-
mermehr II Ich muß Ihr Geschenk dankend
ablehnen, Herr. Ich will ein Spielmann
werden. Der liebe Gott läßt keinen braven
Deutschen untergehen."

Der Herr: „Nichtsda. Du bleibst selbst-
verständlich bei mir. Du wirst mir ein Zie-
gen-Gespann einfahren. (Warmer Männer-
Händedruck.) Das Fahrzeug aber wird zer-
stört!! Setze die Maschine in Gang und
binde das Steuer fest, auf daß das Scheusal
sich selbst in die Schlucht sprengen muß, die
hinter der Kurve gähnt!"

Der Lenker (begeistert): „Wundervoll,

Herr. Ein königlicher Mitmenschengedanke I"
(Rasch links ab.)

Der Herr (behorcht des Wanderers Atem.
Plötzlich): „Und ich weiß nicht einmal seinen
Namen! Allbarmherziger! (Flößt ihm von
dem Sekt ein.) Wandersmann, Mitmensch!
Komm zu Dir! (Da er sich regt) Ihre Adresse!
Für alle Fälle — die Adresse!

Der Wanderer (erwachend): „Sekt? Fran-
zösischer? Ah ja. . . Dank!"

Der Herr: „Die Adresse!!"

Der Wanderer: Steht in — meinem
Goethe . . . Mit mir ist's aus."

Der Herr (weinend): „Haben Sie Fa-
milie?"

Der Wanderer (jäh, mit des Herrn Hilfe sich
zum Sitzen aufrichtend): „Herrgott — die Familie!

— Ich habe — noch sieben Kinder — leider
alle — talentlos. . ."

Der Herr (notiert auf feine festsitzende Manchette):
„Sieben Kinder. Ich adoptiere sie natürlich."

Der Wanderer (vor Freude überwältigt): „Herr
. .. o welch ein — Glückstag I!"

(Von links hört man den Motor arbeiten, dann
Krachen, Poltern und einen donnernden Schlag.)

Der Lenker (salutierend): „Das Scheusal ist
gerichtet."

Der Wanderer (verklärt): „Daß ich — das

— noch erlebe I (Zum Lenker) Und der Edle —
will meine — sieben — talentlosen — adop-
tieren .. . O wie wird sich da — meine Frau —"

Der Heer: „Frau? Warum haben Sie das
nicht gleich gesagt? Ich übernehme auch die
arme Frau, mein Bruder."

Der Wanderer (sitzt ohne Stütze, starr vor
Staunen): „Ue — üb — überlegen Sie sich's. —
Erst anschauen — Herr!"

Der Heer: „Es ist überlegt. Weil es meine
selbstverständliche Pflicht ist, Ihre Witwe zu
heiraten."

Der Wanderer (schreit' auf): „Heiraten?!
Mitmensch — —" (Fällt zurück und ist tot.)

Gvviva!

Der möchte gern dich zu den Toten werfen,
Die längst in Sturm und Drang

verschollen sind;

Wie du auch wirkst und schaffst,

er stellt sich blind
Und übt an jungen Sünden alte Schärfen.

Ein andrer hat für dich zu schwache Nerven
Und zu den Rowdies reiht er dich geschwind;
Ein „hohler Schreier" schimmelst du

im Spind

Der literarhistorischen Konserven.

Was bist du für ein unverschämter Tropf,
Der sich erfrecht, aus seinem Grab zu strecken
Den höchst leibhaftigen, verstockten Kops?

Und läßt dich nicht mal vom Professor

schrecken?!

I wo! Das fördert just mir die Verdauung
Und stärkt die lebenskräftige Weltanschauung.

Karl tzenckell

Zur Blattjett °- Flechtner
„Herrschaft, da schteht a schena Sechsabsck und
grad jetzt geht ma das Zielwasser aus!"

Flüsse,

die durch viele Länder fließen

Also sprach mit schneidigem Nachdruck der
Preuße:

Flüsse, die durch viele Länder fließen, sind
mir immer verdächtig! Sehen Sie sich die
Weser an, die ist anständig, solide, preußisch!
Ein bißchen Sachsen-Meiningen, Braunschweig,
Bremen, ein bißchen Oldenburg, das tut nichts!
Man kann sich auf sie verlassen! Und wehe
ihr auch, wenn sie mucksen wollte!

Die Elbe hat schon einen Flecken im Kleide.
Ihre Herkunft aus Oesterreich, da mischt sich
leicht etwas Schlamperei hinein! Aber dafür
ist sie nachher lieb und nett und furchtbar brav I
Die Havel, die Spree, das ist ihr ganz be-
sonderes Verdienst. Die fließen vorbei an allen
Königs- und Prinzenschlössern, das wäscht alle
jugendlichen Verirrungen ab.

Ueber die Oder muß man den Kopf schütteln!
Erst hat sie Extravaganzen in der Jugend, aber
dann, mitten im Alter, wo sie verständig sein
sollte, ich bitte Sie, die Warthe! Was soll
man zu dieser Person sagen?! Treibt sich ihr
halbes Leben draußen herum, und verlangt
dann mir nichts, dir nichts, Aufnahme in Preußen I
Wissen Sie, die Oder geht aber auch in die
Ostsee l Der ist auch nicht zu trauen. Hier bei
uns da riecht sie ganz brav und bieder nach
Heringsdorf, Saßnitz und Heiligendamm, aber
oben, bei Stockholm oder Kopenhagen, wer
weiß, was sie da für Sachen macht!? Peters-
burg, na ja, da hat natürlich alle Kritik zu
verstummen, aber Kopenhagen bleibt immer ein
klein Paris! Wer weiß, was sie da macht!
Lassen Sie mich in Ruhe mit der Ostsee! Fährt
mau hier abends um 9 Uhr im Sommer mit
dem Schiff bei Swinemünde heraus, da ist alles
hübsch finster, Polizeistunde, niemand darf ohne
Laterne sich auf dem Wasser zeigen, aber kom-
men Sie nial höher 'rauf, nach Gotland, Stock-
holm oder gar Haparanda, da ist ja um 12 Uhr
nachts noch die ganze Ostsee taghell illuminiert
wo bleibt denn da die Ordnung?! Eine un-
zuverlässige Person, diese Ostsee!

Kein Wunder, daß die Weichsel sich dahin
gezogen fühlt! Dieses Kuddelmuddel, erst Oester-

reich, dann schleicht sie sich an uns heran,
dann wieder Oesterreich, dann Polen, einfach
scheußlich! Na, ich denke, in Thorn wird
ihr bei ihrem endgültigen Eintritt zu uns
der Parademarsch ordentlich geblasen!

Was aber soll man nun gar zum Rhein
sagen!? Der sogenannte gute, alte, deutsche
Vater Rhein! Dieses Filou! Die andern
bocken in der Jugend, aber sie sind dann
wenigstens anständig und solide und haben
ein anständiges Ende! Aber dieser Hund
echappiert uns ja! Nachdem er alle Wohl-
taten Preußens genossen hat, entwischt er
uns, dieser charakterlose Kerl. Ich habe ihm
nie getraut! Und die Familie! Da ist ein
Geschöpf die Mosel, ich schlage die Hände
über dem Kopfe zusammen! Die scharmut-
ziert ja mit unfern geliebten, westlichen Nach-
barn! Da gibt es ja an der Mosel eine be-
stimmte Stelle, da darf man ja überhaupt
gar nichts mehr sagen!! Was bei uns
schwarz ist, ist dort weiß! Sogar Majestäts-
beleidignngen werden dort nicht bestraft!

Sie stammt aus einer Republik und
kommt dann angesetzt, als ob nichts dabei
wäre: Uon jour, Bon jour, messieurs,
me voilä! Man sollte sie bevoilken! Sie
muß sofort unter strengste strombaupolizei-
liche Aufsicht gestellt werden, diese Mosel.

Da sind mir die Seine, die Loire, die
Garonne zehnmal lieber, das sind Stockfran-
zosen I Laßt sie! Die gehen uns nichts an!
Werden sie frech, kriegen sie Haue!! Aber
diese Mosel, ich glaube gar, sie will spionieren,
deshalb macht sie auch immer diese großen
Schleifen, damit sie sich nach rückwärts unter-
halten kann!

Und die Maaß, in der Rheinfamilie, die
macht das Kraut nun noch gar fett!! Die
kümmert sich ja überhaupt nicht um uns! Der
haben wir ja überhaupt nichts zu sagen!!

Nein, pfui Deisel! Lassen Sie mich mit
dem Rhein in Frieden! I I Es ist immer eine
faule Sache: Flüsse, die durch viele Länder
fließen!

Willi Hirt (Breslau)

Entrückend

Cüie Du das tUort „£nl)ückcnd“ sprichst:

„Entzückend!"

Eies ernst beginnt die erste Silbe: ,,£nt-‘‘,

Ein Ruftakt wie ein Licht, das grad entbrennt,
Noch nicht mit seiner höchsten 6lut

beglückend.-

Dann ;ückt das Wort zum Gipfel auf,

sich schmückend

Mit allem Reiz, den Deine 8timme kennt,

Um bald-bedauernd fall — — zum

raschen „end“

ffinab ;u linken, letzten Wohlklang pflückend.

So fügt sich eine Perle in den Ring,

Der sie umfassen soll: wie Deinen Lippen
Dies Wort lich anpaht! Rls ein Schmetterling

Ellt's durch der Lahne Cor-

ein Slügelwippen! --

0 könnt ich's immer, eh es noch verging,

Rls Ruh von Deinem weichen Munde nippen!

Karl Leopold Player

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Otto Flechtner: Zur Blattzeit
Willi Hirt: Flüsse, die durch viele Länder fließen
Karl Henckell: Evviva!
Karl Leopold Mayer: Entzückend
 
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