Ungereimtes
Der klerikale Magistrat von Wien hat
Felix Mottl, der sich ein Grab auf
dein Wiener Zentralfriedhof wünschte,
diese Ruhestätte verweigert, weil Mottl
geschieden war und eine zweite
Ehe eingegangen hatte. Solche Un-
gereimtheit kann nur in ungereimten
Versen gefeiert werden.
Zn der Verblüffung banger Stummheit
Steh ich vor solcher Riesen-Tat
reaktionärer Weltanschauung.
Doch tröste Dich, entschlafner Mottl —
Groß bleibst Du trotz der Wiener
klerikalen Magistrats-- rate!
Habt Acht auf ffeuer und auf Licht.'
Die Zeit ist heiß — an jedem Ort
Sind Bäume, Gras und Kraut verdorrt
Und wehe, wenn ein Funke glüht
Und in den Zündstoff niedersprüht —
Gleich rasen Flammen übers Land
Und stecken Wald und Feld in Brand!
Die Zeit ist heiß und Wetter brau'u
Schwarz, schwül und schwer ob
unfern Gau'n.
Die Feinde lauern, kampfgeneigt.
Ob Deutschland keine Blöße zeigt;
Ein Funke nur in dem Moment —
Und ganz Europa qualmt und brennt!
Im Großberliner Wahlverein
Da stellt sich ein Herr Däumig ein.
Der schimpst und hetzt und proklamiert
Den Generalstreik ungeniert
Und wagt's mit Revolution
Der Massen unentwegt zu droh'n,
Als Mittel gegen Kriegsgefahr —
Denn Deutschland, das ist sonnenklar
Ist Schuld an Allem wiederumI
■uitot «*♦**«-
ifer5oV/®
flßanöverpostliarte
P. Segieth
Gtadrsommer
Ach, ich sitze
Bei der größten Hundstaghitze
Mitten in der dumpfen Stadt;
Meine Poren
Triefen, meine Glieder schmoren,
Und der Geist ist sterbensinatt.
Meine stolzen,
Stattlichen Gedanken schmolzen,
Allzu lichterloh besonnt.
O, wie bitter,
Daß noch immer kein Gewitter
Drohen will am Horizont!
Thermometer,
Unbarmherziger Verräter,
Klimmst du höher ohne Ruh?
Barometer,
Grauenhafter Missetäter,
Ist es denkbar, steigst auch du?
In die Nase
Dringen unbequeme Gase
Von dem glühenden Asphalt;
Mißgerüche
Wie aus einer Hexenküche
Stürmen sie mit Allgewalt.
Von Insekten,
Die mich in der Nacht entdeckten,
Bin ich ganz und gar zerfetzt,
Und ich kratze
Trostlos mich an jedem Platze . . .
Ach, wer schlafen könnte jetzt!
War diese Rede noch so dumm,
Die Ohren spitzt der Freund Lbauvin
Und denkt: „Nu aber ä Berlin!
Wir haben drüben — o Genuß!
Den Sozi ja als Sozius!"
llnd wenn der Herr Chauvin auch irrt
Und wenn's im Ernst auch anders wird
Und nie der deutsche Arbeitsmann
Der Feinde Helfer werden kann —
Gezündelt hat der Mann doch frech
In Groß-Berlin mit seinem Blech.
Was ihm gebührt — ich sag' es nicht —
Habt Acht auf Feuer und auf Licht!
( „Jugend“
Schiller und das Krankenhaus
In dem rheinischen Städtchen St. Tönis
wollte der dramatische Lesezirkel eine Wohl-
tätigkeitsvorstellung zu Gunsten des Kranken-
haus» eubaucs veranstalten und „Kabale und
Liebe" zur Aufführung bringen. Der Bürger-
meister, der anfangs das Komitee seiner tätigen
Sympathie versichert hatte, erklärte plötzlich den
Veranstaltern, daß der Pfarrer eine Auffüh-
rung von „Kabale und Liebe" nicht wünsche,
da das Stück unsittlich sei, und daß er des-
halb den Erlös des Abends nicht für das
Krankenhaus verwenden dürfe. —
Gegen den Willen des Herrn Pfarrers gibt
es natürlich keine Berufungsinstanz: der Bürger-
meister hat vor diesem „Vorgesetzten" zu kuschen.
Damit aber die armen Kranken nicht unter
dem Vorfall leiden, sollte das Komitee sich ent-
schließen, das Schillersche Werk einfach in einer
dem Pfarrer genehmen Form aufzusühren. Durch
ein paar Textretouchcn wäre das leicht zu er-
reichen:
Ferdinand, das Mitglied eines katholischen
Iünglingsvereines, faßt eine keusche Zuneigung
zu Luise, der Tochter des Kirchenmusikdirektors
Miller. Der jüdische Freimaurer, Sekretär
Wurmleben, der mit einer heidnischen Negerin
namens Milford im Konkubinat lebt, sucht die
Heirat des jungen Paares zu hintertreibcn. Er
diktiert Luise, die perfekte Stenographin und
Schreibmaschinistin ist, einen Absagebrief an
Ferdinand. Ferdinand will aus Verzweiflung
vergiftetes Bier trinken, da tritt sein Vater,
der Landrat, ein und erinnert ihn daran, daß
er Abstinent ist. Das junge Paar heiratet sich,
Wurmlcben erzählt eine Geschichte, wie man
Präsident wird und kommt deshalb wegen Ver-
brechens wider die Sittlichkeit ins Gefängnis,
die Milford bekehrt sich zum Christentum und
wird Spezialdichterin für die vom Herrn Pfarrer
zu St. Tönis veranstalteten Wohltätigkeitsvor-
stellungen.
In dieser Form wird der Pfarrer sicher
nichts gegen die Aufführung des Stückes, aus
dessen Titel natürlich das schändliche Wort
„Liebe" entfernt werden muß, einzuwenden
haben. Der Besuch könnte noch wesentlich ge-
hoben werden, wenn man jedem Zuschauer
einen Freiplatz im neuen St. Töuiser Kranken-
haus versprechen würde. Karichen
Doch den Schlummer
Scheucht hinweg ein dicker Brummer,
Der durch meine Stube schwirrt;
Ihn zu fangen,
Welch vergebliches Verlangen!
Weiter brummt er unbeirrt.
Als mein Retter
Wann erscheinst du, Regenwetter?
Komm und gieß dich gründlich satt!
Ich erwische
Stets dich in der Sommerfrische,
Aber niemals in der Stadt.
Ludwig Fulda
Ein Museum der Zivilisationen,
in dem die Kultur der einzelnen Völker dar-
gestellt werden soll, wird in Paris errichtet
werden. Ritterlich, wie die Herren Nachbarn
schon sind, wollten sie sogar die deutschen Bar-
baren dabei berücksichtigen und auch der deutschen
Kultur einen Saal widmen. Trotz eingehender
Forschungen ließ sich aber keine nennenswerte
deutsche Kulturtat ausfindig machen, außer der
Erfindung des Sauerkrautes, und man
wollte wenigstens durch Aufstellung eines Topfes
mit sterilisiertem Sauerkraut dem deutschen
Geiste Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Das hat aber einen Protest deutscher
Aestheten hervorgerufen, die gegen eine der-
artige Ueberschätzung der germanischen Intel-
ligenz zornige Verwahrung einlegeu. So wenig
wie die Kunst Richard Wagners, die wir doch
bekanntlich nur den Franzosen verdanken, ist
nach ihnen das Sauerkraut ein Produkt der
deutschen Kultur — selbst sein Name ist ge-
stohlen. Er ist einfach eine Verballhor-
nung des klangvollen französischen Wortes
choucrout!
So werden wir im Museum der Zivilisa-
tionen unvertreten bleiben! — ps
Der klerikale Magistrat von Wien hat
Felix Mottl, der sich ein Grab auf
dein Wiener Zentralfriedhof wünschte,
diese Ruhestätte verweigert, weil Mottl
geschieden war und eine zweite
Ehe eingegangen hatte. Solche Un-
gereimtheit kann nur in ungereimten
Versen gefeiert werden.
Zn der Verblüffung banger Stummheit
Steh ich vor solcher Riesen-Tat
reaktionärer Weltanschauung.
Doch tröste Dich, entschlafner Mottl —
Groß bleibst Du trotz der Wiener
klerikalen Magistrats-- rate!
Habt Acht auf ffeuer und auf Licht.'
Die Zeit ist heiß — an jedem Ort
Sind Bäume, Gras und Kraut verdorrt
Und wehe, wenn ein Funke glüht
Und in den Zündstoff niedersprüht —
Gleich rasen Flammen übers Land
Und stecken Wald und Feld in Brand!
Die Zeit ist heiß und Wetter brau'u
Schwarz, schwül und schwer ob
unfern Gau'n.
Die Feinde lauern, kampfgeneigt.
Ob Deutschland keine Blöße zeigt;
Ein Funke nur in dem Moment —
Und ganz Europa qualmt und brennt!
Im Großberliner Wahlverein
Da stellt sich ein Herr Däumig ein.
Der schimpst und hetzt und proklamiert
Den Generalstreik ungeniert
Und wagt's mit Revolution
Der Massen unentwegt zu droh'n,
Als Mittel gegen Kriegsgefahr —
Denn Deutschland, das ist sonnenklar
Ist Schuld an Allem wiederumI
■uitot «*♦**«-
ifer5oV/®
flßanöverpostliarte
P. Segieth
Gtadrsommer
Ach, ich sitze
Bei der größten Hundstaghitze
Mitten in der dumpfen Stadt;
Meine Poren
Triefen, meine Glieder schmoren,
Und der Geist ist sterbensinatt.
Meine stolzen,
Stattlichen Gedanken schmolzen,
Allzu lichterloh besonnt.
O, wie bitter,
Daß noch immer kein Gewitter
Drohen will am Horizont!
Thermometer,
Unbarmherziger Verräter,
Klimmst du höher ohne Ruh?
Barometer,
Grauenhafter Missetäter,
Ist es denkbar, steigst auch du?
In die Nase
Dringen unbequeme Gase
Von dem glühenden Asphalt;
Mißgerüche
Wie aus einer Hexenküche
Stürmen sie mit Allgewalt.
Von Insekten,
Die mich in der Nacht entdeckten,
Bin ich ganz und gar zerfetzt,
Und ich kratze
Trostlos mich an jedem Platze . . .
Ach, wer schlafen könnte jetzt!
War diese Rede noch so dumm,
Die Ohren spitzt der Freund Lbauvin
Und denkt: „Nu aber ä Berlin!
Wir haben drüben — o Genuß!
Den Sozi ja als Sozius!"
llnd wenn der Herr Chauvin auch irrt
Und wenn's im Ernst auch anders wird
Und nie der deutsche Arbeitsmann
Der Feinde Helfer werden kann —
Gezündelt hat der Mann doch frech
In Groß-Berlin mit seinem Blech.
Was ihm gebührt — ich sag' es nicht —
Habt Acht auf Feuer und auf Licht!
( „Jugend“
Schiller und das Krankenhaus
In dem rheinischen Städtchen St. Tönis
wollte der dramatische Lesezirkel eine Wohl-
tätigkeitsvorstellung zu Gunsten des Kranken-
haus» eubaucs veranstalten und „Kabale und
Liebe" zur Aufführung bringen. Der Bürger-
meister, der anfangs das Komitee seiner tätigen
Sympathie versichert hatte, erklärte plötzlich den
Veranstaltern, daß der Pfarrer eine Auffüh-
rung von „Kabale und Liebe" nicht wünsche,
da das Stück unsittlich sei, und daß er des-
halb den Erlös des Abends nicht für das
Krankenhaus verwenden dürfe. —
Gegen den Willen des Herrn Pfarrers gibt
es natürlich keine Berufungsinstanz: der Bürger-
meister hat vor diesem „Vorgesetzten" zu kuschen.
Damit aber die armen Kranken nicht unter
dem Vorfall leiden, sollte das Komitee sich ent-
schließen, das Schillersche Werk einfach in einer
dem Pfarrer genehmen Form aufzusühren. Durch
ein paar Textretouchcn wäre das leicht zu er-
reichen:
Ferdinand, das Mitglied eines katholischen
Iünglingsvereines, faßt eine keusche Zuneigung
zu Luise, der Tochter des Kirchenmusikdirektors
Miller. Der jüdische Freimaurer, Sekretär
Wurmleben, der mit einer heidnischen Negerin
namens Milford im Konkubinat lebt, sucht die
Heirat des jungen Paares zu hintertreibcn. Er
diktiert Luise, die perfekte Stenographin und
Schreibmaschinistin ist, einen Absagebrief an
Ferdinand. Ferdinand will aus Verzweiflung
vergiftetes Bier trinken, da tritt sein Vater,
der Landrat, ein und erinnert ihn daran, daß
er Abstinent ist. Das junge Paar heiratet sich,
Wurmlcben erzählt eine Geschichte, wie man
Präsident wird und kommt deshalb wegen Ver-
brechens wider die Sittlichkeit ins Gefängnis,
die Milford bekehrt sich zum Christentum und
wird Spezialdichterin für die vom Herrn Pfarrer
zu St. Tönis veranstalteten Wohltätigkeitsvor-
stellungen.
In dieser Form wird der Pfarrer sicher
nichts gegen die Aufführung des Stückes, aus
dessen Titel natürlich das schändliche Wort
„Liebe" entfernt werden muß, einzuwenden
haben. Der Besuch könnte noch wesentlich ge-
hoben werden, wenn man jedem Zuschauer
einen Freiplatz im neuen St. Töuiser Kranken-
haus versprechen würde. Karichen
Doch den Schlummer
Scheucht hinweg ein dicker Brummer,
Der durch meine Stube schwirrt;
Ihn zu fangen,
Welch vergebliches Verlangen!
Weiter brummt er unbeirrt.
Als mein Retter
Wann erscheinst du, Regenwetter?
Komm und gieß dich gründlich satt!
Ich erwische
Stets dich in der Sommerfrische,
Aber niemals in der Stadt.
Ludwig Fulda
Ein Museum der Zivilisationen,
in dem die Kultur der einzelnen Völker dar-
gestellt werden soll, wird in Paris errichtet
werden. Ritterlich, wie die Herren Nachbarn
schon sind, wollten sie sogar die deutschen Bar-
baren dabei berücksichtigen und auch der deutschen
Kultur einen Saal widmen. Trotz eingehender
Forschungen ließ sich aber keine nennenswerte
deutsche Kulturtat ausfindig machen, außer der
Erfindung des Sauerkrautes, und man
wollte wenigstens durch Aufstellung eines Topfes
mit sterilisiertem Sauerkraut dem deutschen
Geiste Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Das hat aber einen Protest deutscher
Aestheten hervorgerufen, die gegen eine der-
artige Ueberschätzung der germanischen Intel-
ligenz zornige Verwahrung einlegeu. So wenig
wie die Kunst Richard Wagners, die wir doch
bekanntlich nur den Franzosen verdanken, ist
nach ihnen das Sauerkraut ein Produkt der
deutschen Kultur — selbst sein Name ist ge-
stohlen. Er ist einfach eine Verballhor-
nung des klangvollen französischen Wortes
choucrout!
So werden wir im Museum der Zivilisa-
tionen unvertreten bleiben! — ps