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Paul Rieth

frau Scbapiro kommt!

Ein Gchreckensbild vom Münchner Mktoberfest

gerbst in München

Nun wird die Lady und der Mister
Allmählich in den Straßen selten;

Das Wetter ist schon merklich trister,

Und man beginnt sich zu erkälten.

Ein Ende hat das süße Kosen
Am Herzen der Natur; und schnell

Kauft sich der Jüngling Unterhosen,

Die von Flanell.

Von der Bavaria bis zum Stachus
Ertönt ein göttliches Gedudel,

Denn die „Mysterien des Bacchus"

Ziehn uns in ihren tollen Strudel;

Da sitzen Tristan und Isolde
Und sind noch immer nicht getraut,

Er ißt sechs Weißwürst', und die Holde
Ripperl mit Kraut.

Auch singt mau allenthalben Lieder,

Nur der Friseur blickt ganz gelassen;

Zwar Schwabing füllt sich mählich wieder,
Jedoch mit Wesen, die ihn hassen.

Sieh', Manon nimmt aufs Haupt die Locken
Und äs8 Grieux an ihren Arm,

Der sich mit Tinte malt die Socken,

Daß Gott erbarm'.

Schön war's, am Rande von Gewässern
Die Wasserjungfrau zu betrachten;

Jetzt lernt man — nah' den frischen Fässern —
Das Wassermädel wieder achten.

Mit Wehmut denkt man der Vakanzen
Im Bergland oder an der See,

Dann geht man hin, sich festzupflanzen
Im Stammkaffee. sepi>i

Papier

Bekanntlich ist die Zeit längst vorbei, in
der man Papier nur zum Drucken, Schreiben
und Einpacken benutzte. Die neuere Technik
macht aus Papier Leibwäsche, Blumen, Geld,
Boote, Maschinenteile und Kleider.

Jetzt ist eine neue Verwertung des Papiers
entdeckt worden: Papier soll als Nahrungs-
mittel dienen. Wenigstens macht die Bethmann
Hollweg'sche Regierung den Versuch, die Bevöl-
kerung, die unter der Nahrungsmittelteuerung
leidet, durch Erlasse und Verfügungen satt zu
machen. Und die Versuche scheinen auch Erfolg
zu haben, denn es scheint, als ob die Bevölke-
rung die Erlasse und Verfügungen bald satt
haben wird. Max

Unfehlbare verlegenheir

Die Berichte der Presse über die Haltung,
die der Papst zu dem italienisch-türkischen Kon-
flikt einnimmt, widersprechen einander. Und
das ist kein Wunder, da der Papst selbst mit
sich noch nicht einig ist, wie er sich zu dem Kriege
stellen soll. Einerseits gehören seine Sympathien
natürlich dem Kreuz, das gegen den Halbmond
kämpft; andererseits aber sind die Italiener
verruchte Abtrünnige, die dem heiligen Vater
in den letzten vier Dezennien mehr Unbill zu-
gefügt haben als die Türken in den letzten vier
Jahrhunderten. Wendet der heilige Vater nun
seine Sympathien den Türken zu, so bereut er
dies am Tage darauf; und nicht anders geht
es ihm, wenn er seine Sympathien den Italienern
zuwendet. Auf jede Sympathie folgt ein Kater.

Da nahten ihm seine getreuesten Jünger, die
deutschen Zentrumsmannnen, mit einem Rat.
„Heiliger Vater, mache es wie wir," sagten sie.
„Es kommt vor, daß Fromme ein Seelen-
bündnis mit Unfrommen adschlicßen müssen, wie
schwer es ihnen auch fällt. Auch wir haben
mit den Roten paktieren müssen. Aber wir
ließen es nicht erst dazu kommen, daß uns die
Reue überfiel: wir leugneten ganz einfach ab,
was wir getan haben. Und dabei sind wir
noch nicht einmal unfehlbar! Mach' es also
wie wir!" Khedtve
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Paul Rieth: Frau Schapiro kommt!
Seppl: Herbst in München
Khedive: Unfehlbare Verlegenheit
Max: Papier
 
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