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Heimkehr

Eine dunkle Traurigkeit
Geht durch all mein Sein und Sinnen,
Leid und Freude, Freud' und Leid
Fühl ich sacht in mir zerrinnen.

Was die Parze einstmals spann.

Fallt, ein Schleier, auf mich nieder, —
Ach, das Leben, es zerrann,

Und die Liebe kehrt nicht wieder. —

Wie ein seltsam Schattenspiel
Schau ich rings die Altrertrauten,

Wo blieb uns'rer Sehnsucht Ziel.

Wo die Schlösser, die wir bauten?

Leer die Hände, trauern wir
Frierend an der Heimat Erde,

Kehren schweigsam heim zu dir,

Mutter Erde! — —

Georg Lomcr

Ihr wollt e5 so!

von Emma Haushofer-Merk

Die zwei Kontoristinnen waren Freundinnen,
das heißt, sie waren zu gleicher Zeit in der
Handelsschule gewesen, wohnten in derselben
Straße und hatten beide kein Geld. Das kittet
immerhin ein wenig zusammen. Sonst hatten
sie wenig Gemeinsames, weder im Aussehn noch
im Charakter. Eigentlich war Hildegard die
hübschere, nur wußte sie nicht viel aus sich zu
machen; eine große Blondine mit einem blühen-
den Gesicht, dem der Schnitt der Nase und des
Mundes einen stolzen Ausdruck gab, obwohl
sie im Grunde ein schüchternes gutmütiges Ding
war mit einem leisen Hang zur Sentimentalität.

Die kleinere Kitty mit ihrem krausen Rot-
haar und ihrem niedlichen Katzenköpfchen sah
mit ihren billigen Fähnchen immer fesch aus
und verstand es, sich so herzurichten, daß die
Vorübergehenden sie anguckten und dachten:
ein netter Käfer! Sie warf ihnen auch kokette
Blicke zu und hatte in ihren Bewegungen, in
ihrem Lächeln so etwas, was den Männern
den Kopf verdreht.

Als sie zwanzig Jahre alt war, fand sie es
zu langweilig, nur Tag für Tag in das Büro
zu gehn, Zahlen in das Kassabuch zu schreiben
und aus dem Heimwege mit Hildegard sehn-
süchtig in den blauen Abendhimmel hineinzu-
träumen.

Sie lief der Freundin nach eiligem „Grüß
Gott" davon, denn an der Straßenecke wartete
ein junger Mensch auf sie, der sie auf Umwegen
heimbegleitete.

Anfänglich tat sie geheimnisvoll und verriet
nichts von ihren zärtlichen Rendezvous. Aber
als das Verhältnis vertraulicher wurde, brauchte
sie Hildegards Hilfe, um ihre Eltern anzu-
schwindeln.

„Du, gel, wenn Du gefragt wirst, ob ich
bei Dir war, ob wir miteinander ins Theater
gegangen sind, dann sag nur immer ja. Auch
wenn es nicht wahr ist I Ich red' mich zu Haus
immer auf Dich aus, wenn ich später heimkomm'",
sagte sie, sich schmeichelnd an die Gefährtin
hängend, die mit entsetzten Augen frug: „Wa-
rum? Wo gehst Du denn hin?"

Kitty lachte.

„Das kannst Du Dir doch denken! Zu
meinem Schatz halt!"

„Das traust Du Dir! Und ich soll Dir
lügen helfen!'"

„Dafür bist Du meine Freundin! Wenn
Du einmal verliebt bist, dann revanchier ich
mich!"

„Nie, niemals! Mir wär Höllenangst!" rief
Hildegard.

„Geh, man muß nichts verreden!"

Nun erzählte Kitty manchmal lachend von
ihrem Franzel, und die große Blonde hörte ihr
zu, erschauernd vor Neugier und Gruseln, vor
Neid und Entsetzen zugleich.

Ein Jahr später war von Franzel nicht
mehr die Rede; nun hieß er Karl und war ein
junger Baron. „So ein feiner Herr!" schwärmte
Kitty und zeigte voll Stolz einen funkelnden
Ring, den er ihr geschenkt hatte. Sie bemühte
sich nun, ganz reines Deutsch zu sprechen und
zog hochmütig das Näschen in die Höhe, um
sich ihrem aristokratischen „Freund" anzupassen.
Sie war immer in bester Laune und wenn sie
Hildegard traf, dann raunte sie ihr zu: „Bist
Du dumm! Was hast Du denn von Deiner
Bravheit? Wenn Du eine alte Jungfer bist,
dann kräht kein Hahn mehr nach Dir!"

Und eines Tages lief sie der Freundin nach
und tuschelte ihr aufgeregt in die Ohren: „Du,
am Sonntag mußt Du mit auf eine Landpartie!
Mein Baron will ein Pik-nik im Wald arran-
gieren. Ein paar Freunde kommen. Es soll
noch ein nettes Mädel dabei sein!"

Hildegard wehrte sich ernst. „Die Eltern!"
Und sie hätte nichts zum Anziehn! Und „über-
haupt, es schicke sich doch nicht" —

Aber Kitty lachte sie aus und drängte und
ließ kein Bedenken gelten. Der Gedanke an
eine Landpartie hatte an sich schon etwas sehr
Verlockendes! Bei aller Bravheit, ein bißchen
Vergnügen will doch schließlich jede haben. Die
Sonntagsspaziergänge mit Vater und Mutter
waren ja gräßlich langweilig!

Ach so Schönes, so Lustiges hatte sie noch
nicht erlebt: Mer Studenten und zwei hübsche
Fräuleins, ein Maitag, und eine Bowle unter
leuchtendem Buchengrün! Vogelgesang, Blumen,
Musik — und bewundernde Augen, die ihr sagten,
daß sie schön sei und begehrenswert!

Natürlich verliebte sie sich. In den Ernst-
haftesten der jungen Bande, der gar nicht keck
war, der sie mit sanften, treuen Augen an-
anschmachtete. Kitty als weiblicher Mephisto-
pheles hatte einen Riesenspaß daran, dieses
Liebesflämmchen zu schüren.

An Feiertagen holte sie Hildegard früh mor-
gens ab, erzählte deren Eltern mit einer heuch-
lerischen Leidensmiene, der Arzt habe ihr Land-
luft empfohlen und sie bitte herzlich, daß die
Freundin mit ihr den ganzen Tag draußen
bleiben dürfe, damit sie sich nicht so mutter-
seelenallein fühle. Dann zogen sie los. Nur
die zwei Paare. Kitty voll Uebermut und mit
erfahrener Sicherheit mit ihrem Baron und
Hildegard, in elegischer Stimmung, mit all dem
Wunderglauben einer ersten Verliebtheit, Arm
in Arm mit dem hübschen Studenten.

Er flüsterte ihr ins Ohr, daß er ihr immer
treu sein würde. Keine sei so schön und lieb
wie sie und wenn er jetzt auch noch nicht ans
Heiraten denken könne, sie solle ihm nur ver-
trauen. Es würde alles gut werden.

Die alten hübschen Redensarten, auf die
so manche schon hereingefallen ist, auch ihr
klangen sie so überzeugend. Die Maiensonne,
die Blumen, der ganze reizvolle Apparat
der Natur half mit, das Herz des Stadt-
kindes zu betören, das sonst Tag für Tag
in einem öden Geschäftsraum saß. Das Rest-
chen Vernunft, das noch warnte, lachte die
leichtsinnige Freundin fort.

So war sie denn — — sehr lieb mit
dem jungen Mann, der so treue Augen und
ein so sanftes Gesicht hatte und lebte in
einem seligen Sommerrausch bis zum August.

Dann kamen die Ferien. Die Flitter-
wochen des heimlichen Glücks waren zu
Ende. Ein mal schrieb er ihr noch. Aus
ihren Brief kam dann keine Antwort mehr
und sie hörte nie wieder von ihm.

Ihr war es so ernst gewesen mit ihrer
Liebe, sie hatte so rückhaltlos geglaubt!
Nun quälte sie außer dem Sehnsuchtsschmerz
und der Verzweiflung über das Ende ihres
jungen Glücks auch noch das niederschmetternde
Gefühl: Wie dumm warst du doch!

Ganz zermürbt war sie von Reue, Zorn,
Beschämung.

„Herrsch! Stellst Du Dich an!" lachte die
leichtsinnige Kitty sie aus. „Das ist der Müh'
wert, wegen einem Studenten! Da möcht' ich
auch weinen I Mein Baron ist auch fort I Aber
an jedem Finger krieg ich einen andern, wenn
ich will! Freilich, wenn Du ein solches Armen-
sündergesicht schneidest, dann mag Dich keiner
mehr!"

Hildegard packte die Empörung. „Ich will
auch nicht von Hand zu Hand gehen, wie Du!
Du — Du Kupplerin!"

Sie hatte ihr den Schimpf zurufen müssen,
sie wäre daran erstickt.

Es gab noch einige böse Worte zwischen
ihnen, und mit der Freundschaft war es aus.
Sie sahen sich gar nicht mehr, nur zufällig hörte
Hildegard nach einiger Zeit, Kitty sei fort nach
München, habe da eine gute Stelle gefunden.

Sie selbst kehrte nun wieder ganz zu dem
korrekten und soliden Lebenswandel zurück, der
eigentlich ihrem ruhigen und ängstlichen Naturell
entsprach, interessierte sich nur für ihren Beruf
und nahm allmählich, dank ihrem Fleiß und
ihrer Gewissenhaftigkeit, einen Vertrauensposten
in ihrem Geschäft ein, so daß sie mehr die
Direktrice als die Buchhalterin war und nicht
bloß bei dem Prinzipal, auch bei dem Personal
rechtes Ansehn genoß.

Etwa drei Jahre nach ihrem einen kurzen
Liebeserlebnis kam ein junger Mann in das
Kontor, von dem es hieß, daß er der Sohn eines
wohlhabenden Kaufmanns sei und sich hier nur
den Betrieb ansehen sollte, ehe er in das väter-
liche Geschäft in München eintrat. Er hatte
eine angenehme Erscheinung und ein ernstes
zurückhaltendes Wesen, das Hildegard sehr
sympathisch war, um so mehr als er mit ihr
in einem höchst respektvollen und liebenswür-
digen Tone verkehrte. Sie bemerkte bald, daß
er sie nicht bloß als tüchtige kaufmännische Kraft
schätzte, daß sie ihm auch persönlich gefiel.

Nicht im blühenden Maienwald, nicht bei
einer lustigen Bowle, sondern über dem Kassa-
buch, in einem kalten Magazin und einem
nüchternen Büro knüpften sich die Beziehungen
zwischen ihnen, die nicht in einem flüchtigen
Liehesabenteuer, sondern in einer soliden Heirat
ausklingen sollten. Hildegard war fest ent-
schlossen, dem hübschen Viktor Werner nicht
die geringste Gunst zu gewähren, ehe sie nicht
den Verlobungsring am Finger trug. Sie er-
sehnte mit klug beherrschter Ungeduld seinen
Antrag, und doch schauderte ihr vor diesem
Augenblick, und in mancher schlaflosen Nacht-
stunde überlegte sie, was sie ihm sagen würde.
Denn, weil sie mit ganzer Seele hoffte, ihm
eine gute brave Frau zu werden, darum wollte
sie die Ehe nicht mit einer Lüge beginnen.
Es sollte alles klar zwischen ihnen sein. Der

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Emma Haushofer-Merk: Ihr wollt es so!
Ferdinand Staeger: Vignette
Georg Lomer: Heimkehr
 
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