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Sonnentod

(Be stieg in kühnem Worgenfeuer
(Von Osten auf der Dekd des Lichts,
Der Debatten kagernd (Ungeheuer
Lodernd zu schleudern in Las (Nichts.

Iah üker <Kerg und Mut tzinfahren
Liest er des Speeres lKkrtz und <8kan;,
Dchon wankten der Dämonen Scharen
Im purpurtrunkenen Maffentanz.

(Welch urgemaktig SkutenzucKen! — —
Da kroch der Dunstdrach um die (Weit.
(Unheimlich (Wälzen, Schleichen, (Nucken.
Sin (Ningen. (köcheln. (ilekekschlucken ...
Srstickt im Sumpf — der Sonnenheld.

Nark DencKekk

An Ulrike v. Kleist

Berlin, d. 5t Febr. 1801
„... Die NothwendigKeit, eine Rolle zu
spielen, und ein innerer Widerwillen dagegen
machen mir jede Gesellschaft lästig, und froh
Kann ich nur in meiner eignen Gesellschaft sein,
weil ich da ganz wahr sein darf. Das darf
man unter Menschen nicht sein, und Keiner ist
es — Ach, es giebt eine traurige Klarheit, m i
welcher die Natur viele Menschen, die an dem
Dinge nur die Oberfläche sehen, zu ihrem Glücke
verschont hat. Sie nennt mir zu jeder Miene
den Gedanken, zu jedem Worte den Sinn, zu
jeder Handlung den Grund — sie zeigt mir
Alles, was mich umgiebt und mich selbst in
seiner ganzen armseeligen Blöße und dem Herzen

ekelt zuletzt vor dieser Nacktheit-Dazu

kommt bei mir eine unerklärliche Verlegenheit,
die unüberwindlich ist, weil sie wahrscheinlich
eine ganz physische Ursache hat. Mit der größten
Mühe nur kann ich sie so verstecken, daß sie
nicht auffällt — o wie schmerzhaft ist es, in
dem Aeußcrn ganz stark und frei zu sein, in-
dessen man im Innern ganz schwach ist, wie ein
Kind, ganz gelähmt, als wären uns alle Glieder
gebunden, wenn man sich nie zeigen kann, wie
man wohl mögte, nie frei handeln kann, und
selbst das Große versäumen muß, weil man
vorausempfindet, daß man nicht Stand halten
wird, indem man von jedem äußern Eindrücke
abhängt und das albernste Mädchen oder der
elendeste Schuft von elegant uns durch die
matteste persiltlsge vernichten kann."

Heinrich von Rleist
(in einem Briefe an Ulrike von Kleist).

Ananke

Ob Du in Samt und Seide gewiegt
Oder auf härenem Tuch,

In Deiner Wiege liegt
Ein Segen und ein Fluch.

Der Fluch ist, daß Du je begannst
Zu leben auf dieser Welt;

Der Segen, daß Du sterben kannst,

Wann Dir's gefallt.

H. De ßora

A. Rausch

Der unbekannte Kleist

von Arthur Elocfscr

Bor hundert Jahren hat Heinrich von Kleist
sich erschossen. Sein Tod machte ihn bekannter
als sein Leben und sein ganzes Dichten. Es
gab einen moralischen Skandal, eine europäische
Sensation, die auch die großen Zeitungen des
Auslands aufregte. In einer Zeit, da Napo-
leon die Menschheit dezimierte und die Heka-
tombe des russischen Feldzugs vorbereitete, unter-
suchten sie sehr gründlich das Recht, über das
eigene Leben zu verfügen, und sogar Frau von
Stael widerrief angesichts dieses Doppelselbst-
mords ihre früheren radikalen Anschauungen.
Der ehemalige Offizier aus einem der ältesten
Geschlechter des preußischen Schwertadels war
nicht allein dahin gegangen, er nahm eine Ma-
dame mit, wie man damals sagte, eine durch
und durch kranke Person; er endete in schlech-
tester Gesellschaft. Die Familie war entehrt;
der preußische Name geschädigt; in einer per-
sönlichen Verfügung gebot der König die Be-
endigung der öffentlichen Diskussion.

Es kam Kleist auf die Inszenierung seiner
Tat nicht an, nicht einmal auf die nötigste
Feierlichkeit. Diese irdische Station verließ er
mit einer Eile und Gleichgültigkeit, die uns
heute noch beschämen müßte. Ungeheuer war
der Ehrgeiz des Mannes gewesen, der Goethe
den Kranz von der Stirn reißen wollte, und
dennoch ging er unbesorgt um seinen Namen,
um das Schicksal seiner meist noch unveröffent-
lichten Schriften, die der bloße Zufall teils er-
halten, teils vernichtet hat. Hat er an seinen
Ruhm nicht mehr geglaubt, der sich doch für
einen den Deutschen notwendigen Schriftsteller
hielt, oder war ihm der Ruhm verächtlich ge-
worden?

Wir wissen nur, daß er kein Testament, keine
Forderung an die Nachwelt, keine Entschädi-
gungsklage hinterließ. Einen recht zufälligen
Freund der letzten Tage verpflichtete er, die Ab-
schiedsbriefe zu besorgen, seinen Barbier zu be-
zahlen und die Bestattung der Leichen zu ver-
anlassen. Das ist damals in der Stille geschehen;
denn die Familie verstieß den Dichter noch
einmal nach seinem Tode, und die Freunde, die
erstens Christen sein wollten, glaubten diesem
höchst unbegreiflichen, im Leben wie im Tode

unbequemen Gefährten am besten durch Schwei-
gen zu diene».

Die karge Heimat, die kein Brot für ihn
hatte, nahm ihren gewaltigen Sohn und Sänger
ohne weitere Förmlichkeiten in ihren Scholi
zurück. Kleists Grab wäre fast in den märkb
schen Dünensand hineingeschwunden, wenn man i
es nicht vor fünfzig Jahren entdeckt und zu
seinem heutigen Ansehen gebracht hätte. Er war
nun berühmt geworden, sogar offiziell als ein
patriotischer Dichter; Hermann der Cherusker
und der Prinz von Homburg hatten irgend-
wie geisterhaft in den Freiheitskriegen niitge-
fochten. Nun ruht er hinter einem feinen Gitter
zwischen vier würdigen steinernen Säulen st
poetisch und vornehm, wie es nur ein deutscher
Dichter verlangen kann.

Abseits des Fußweges, der am kleinen Wann-
see entlang führt, hat sich das Grab hinter
Birken und Föhren versteckt. In zehn Minu-
ten kann man cs von der Station erreiche»,
aber wer die Stätte nicht absichtlich sucht, wird
sie unversehens nicht finden. Unversehens hätte
sie beinahe Prinz Friedrich Leopold, ein Vetter
des Kaisers, mit anderen Terrains verkauft,
die parzelliert werden sollten.

Man wollte die beiden Särge aus der Erde
nehmen und an einen anderen würdigen Platz
bringen, vielleicht auch die junge Eiche mit-
nehmen, die mit so sinniger Huldigung aus dem
Grabe hervorgewachsen ist. Ein Aufgebot der
öffentlichen Meinung mußte gerüstet werden,
um es gegen die Fahrlässigkeiten der Boden-
spekulation zu sichern.

Nun schläft der Dichter des Prinzen von >
Homburg, ganz wie es sich gehört, in Hohen- !
zollernschem Grund und Boden, und noch einmal
geschützt durch die Wachsamkeit der öffentlichen
Meinung, die immer die Toten besonders hegt. j
Sein Grab ist kein Wallfahrtsort geworden
wie das von Muffet und Heine; denn nur die
Sänger der Liebeslieder erreichen es, daß die
jungen Mädchen ihnen Blumen streuen und ihre
Visitenkarten zurücklassen. Aber die jungen
Germanisten pflegen es zu besuchen, und auch
die Gymnasiasten werden dazu angehalten, wenn
sie unter Aufsicht des Lehrers nach den Havel-
feen marschieren.

Der Herr Professor, und die Literaturge-
schichten macht es nicht anders, pflegt dann
milde bedauernd darauf hinzuweisen, daß Kleist
sich rein aus ungeduldigem Patriotismus er-
schossen hat, weil er die Schlacht bei Leipzig l
nicht abwarten konnte. Hätte er die Abschüt-
telung der Fremdherrschaft erlebt, er wäre ein
sehr glücklicher Mensch geworden, und das
vaterländische Drama, da er einmal auf dem
guten Wege war, hätte ihm noch manche Be-
reicherung verdankt. Hundert Jahre nach seinem
Tode erfreut sich Kleist des Vollbesitzes an offi-
ziellen Ehrungen. Als der Kaiser das Schau-
spielhaus aus der Schinkelschen Nüchternheit
durch eine überaus niedliche Erneuerung rettete,
erhöh er den Prinzen von Homburg durch eine
ausschweifend pomphafte Inszenierung zum
Weihefestspiel.

Im vorigen Jahre bekam Kleist sogar ein
Denkmal von seiner Vaterstadt Frankfurt an
der Oder geschenkt. Man baute einen Kasten
aus Marmor, meißelte ihm in die Flanken die
üblichen Dramenszenen, und oben auf der läng-
lichen Truhe lagerte sich der bekannte Zwitter,
der sich mit einer Leier zu schaffen macht.

Mit Kleist selbst ist für monumentale Zwecke
nichts anzufangen. Wir kennen nur das Me-
daillonbild, das er seiner Braut hinterließ, als
er ihr nach Paris durchging, von furchtbaren
Wehen geplagt, die der Geburt des Dichters
vorausgingen. Denn dieser Genius hat eine l
lange Pubertätszeit gebraucht, um die eigene
Bestimmung zu erkennen, um den wütenden ;
Dämon, der sich mit Bildung, Tugend, Philo-
sophie nicht beruhigen lassen wollte, bei dem
richtigen Namen zu rufen.
Register
A. Rausch: Zeichnung ohne Titel
Arthur Eloesser: Der unbekannte Kleist
Karl Henckell: Sonnentod
A. D. N.: Ananke
Heinrich v. Kleist: An Ulrike von Kleist
 
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