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„warum wollen Sie zurücktreten?" fragte
der Reichskanzler Herrn von Lindequist.

„Ich kann unsere Nolonialpolitik nicht ver-
antworten."

„Das ist kein Grund! Da käme ick das
ganze Jahr hindurch nicht aus dem Zurück-
treten heraus!"

v. Llndequists Abschied

Leb' wohl, geliebte Unterhändlergruppe,

Und such' Dir einen andern Sekretär:

Für eine augenlose Wassersuppe
Geb' ich dem Franzmann kein Stück Torte her!
Tu' was Du willst! — Jetzt ist mir alles schnuppe.
Auch Dernburg sprach dereinst: „Ich mag

nicht mehr!" —
Wer mich nicht brauchte in der Zeit, der schweren,
Der kann mich heute doppelt leicht entbehren!

Ihr ärgert euch, daß ich nicht krummen Rückens
Und mäuschenstill mich aus dem Amt entfernt? —
Verzeiht dem Armen, der die Kunst des Bückens
Und Duckens leider Gottes nicht gelernt!

Ich war kein Freund des

Vorschußlorbeer-Pflückens
Und scheide gnadenlos und unbesternt.

Und hinter mir ertönt anstatt gezollter
Amtsanerkennung — donnerndes Gepolter!

Geht hin und löffelt euren Brei alleine
Vorm Reichstag aus —ihr habt ihn ja gebraut!
Und wenn ich noch so „nachgeordnet" scheine,
Ich eff’ nicht mit und protestiere laut.

Ihr seid erbost auf mich? Warum? — Ich meine,
Weil euch wohl selbst vor eurer Kochkunst graut!
Drum laßt für immer „Lebewohl" mich sagen:
Ein Lindcquist hat keinen — Straußenmagen!

Beda

Wahrheit über Alles!

Für die Dollmöllersche Pantomime „Das
Mirakel", die Reinhardt in London inszenieren
wird, werden Statisten gebraucht, die die vor
dem Dome Heilung suchenden Alten und Kranken
darstellen sollen. In Londoner Zeitungen wer-
den deshalb 100 Greise mit langem Bart und
100 Greise mit kahlen Köpfen gesucht.

Es werden nur solche Greise genommen, die
wirklich an einer sichtbaren Krätze, Elephantia-
sis u. dgl. leiden und die mindestens schon
drei Aerzte ohne Erfolg konsultiert haben.
— Der Andrang von Bewerbern ist ein kolossaler,
weil sie mit Recht darauf rechnen, daß in diesem
Stück, in dem alles echt ist, von der Regie auch
eine echte wirkliche Heilung ihrer Gebrechen
inszeniert werden wird.

Nun ist der Anfang gemacht, und die Wahr-
heit ist auf dem Marsche; sie läßt sich nicht
mehr aufhalten. Hamlet wird künftig nur von
einem wirklichen dänischen Prinzen, — der
Homunkulus in Fausts zweitem Teil von einem
wirklichen in der chemischen Retorte fabrizier
ten Menschlein und Gretchen im ersten Teil
von einem Fräulein gespielt werden, das bei
der ersten Begegnung mit Faust wirklich noch
eine echte Jungfrau ist und die in der Kerker-
szene wirklich zur Mörderin ihres unehelichen
Kindes geworden ist. Frido

Der neue plutarch

„Daß wir nur zu unstrm Gelde kommen,"
sagte ein Zählkellner in Breslau zum andern.
„Herr von Heydebrand hat stck und seinen
Anhang wieder 'mal die ,wahren Patrioten'
genannt, und die lassen bekanntlich immer
andere die Zeche zahlen!"

*

Münchner „Lricdhofsplauderei"

Frau llleier unterhält sich rnit Frau Huber
über den Gräberichmuck des östlichen und südlichen
Friedhofs. Im Eifer des Gespräches fällt Frau
Illeier ihrem vis-ä-vis ins Wort:

„Na, na, Frau Huber, im südlichen Friedhof
möcht' i amal net begraben wer'n."

Frau Huber: „Ja, warum denn?"

Frau Illeier: „Wissen's, da kenn' i halt
gar Niemand!"

*

keine wahlbeeinfiussung
Die armen Weber von Frankenroda und
Ebertshausen in Thüringen erhielten von dem
konservativen Abgeordneten ihres Bezirkes „zur
Linderung der Not" große Säcke mit Kartoffeln
zugestellt. Schleunigst verständigten die Wähler
den sozialistischen Abgeordneten, der nun seiner-
seits, um sich die Gunst nicht zu verscherzen,
eine große Tonne Heringe spendierte, denn „zu
den Kartoffeln gehörten Heringe". —

Hiermit kann die Wahlkampagne in Fran-
kenroda und Ebertshausen unmöglich beendet
sein. Da man Kartoffel und Heringe nicht mit
den Händen ißt, liefert die Zentrumspartei den
Wählern silberne Bestecke. Auch die Liberalen
lassen sich nicht lumpen und schenken die er-
forderlichen Tische, Stühle und Verdauungs-
sofas. Um die Wähler von dem häßlichen
Heringsgeruch zu befreie», stiften die Freisinnigen
komplette Badeeinrichtungen, während sich die
Antisemiten und die Christlich-Sozialen zusam-
mengetan haben, um die Zahnstocher zu liefern.
Die Wähler wissen sich vor so viel Güte kaum
zu fassen, und um keinem der edlen Spender
wehe zu tun, haben sie feierlich beschlossen, am
Wahltage der Wahlurne überhaupt fern zu
bleiben. Kai-lclieii

Volkswirtschaftslehre h. Bing
„Muatta, warum wird denn dös Fleisch allcr-
weil teurer?"

„Ja woastt, die Neichen ess'n z'Uiel!"

„Also vorwärts, Sohn der Sonnei" schrill
aufgeregt ein Nlinister den Aaiser vob
lLhina an. „Heraus mit der Verfassung!'!

„Dös wer'n ma glci hab'n!" sagte kalt
blutig der Monarch.

Die Mabrkeil über Speyer

Können wir nun unser» Lesern in abfohitj
authentischer, mit hoher erzbischöflicher Appro
bation versehener Form Mitteilen. Unser Be-
richterstatter A D. N. hat nämlich Folgendes,!
mit der Berechtigung es jederzeit zu veröffent
lichen, erfahren:

Nach der Ankunft v. Vollmars und Ehrharts
in der Krypta und nachdem die beiden sowie
der unbekannte Dritte und der Herr Abg. Jägern
im Betstuhl Platz genommen hatten, betrat Herr!
Domkapitular D. v. Zimmern die Stufen des,
Altares und hielt folgende Ansprache:

„Geliebte im Herrn Versammelte! Wir haben \
uns heute zu einer wichtigen und weihevollen
Handlung eingefunden, die ich angesichts des!
Gekreuzigten, der auf uns heruntersiehl, durchs
nichts Besseres einleiten zu dürfen glaube als
ein aus frommem christlichen Herzen gerufenes:
,Mit Gott!' Geliebter Herr Sozi und noch
geliebterer Herr Obersozi, Sie haben sich ent-
schlossen, mit uns die Brüderschaft zum heiligsten
Herzen des Zentrums zu gründen und der liebe
Gott wird diesen Ihren Entschluß segnen. Sind
Sie doch längst als Mittel der göttlichen Vor- j
sehung uns und unserer hl. Kirche innerlich ver-
bunden und Söhne desselben hl. Ignatius, dem
auch wir dienen, wenn wir diese Mittel als
durch den heutigen Zweck besonders geheiltget
betrachten. Sie betraten diese Stätte ja auch
Nicht mit leeren Händen! Sondern wie die
hl. Mutter Anna ein Dutzend Täubchen ge-
opfert im Tempel zu Jerusalem, so legen Sie
heute ein Dutzend Liberale auf den Altar nieder
mit der Bitte, den Segen des Herrn und die
Hälfte Mandate dafür zu erwerben.

Geliebte in Christo! Dies ist ein so schöner
und edler Zug Ihres christlichen Herzens, daß
wir darin Ihre wahre Rückkehr zur Kirche
deutlich erkennen und Ihnen Ablaß für Ihre
vergangenen und etwa noch folgenden Sünden
spenden. Sie tun damit ein gutes Werk im
Sinne des Apostels, denn sie tun Gutes denen,
die Sie hassen, und sie tun damit ein Altar und
Thron stützendes Werk, denn die Manen des
frommen Kaisers Rudolf von Habsburg, der
hier schlummert, stehen wohlgefällig segenspen-
dend hinter Ihnen. Besiegeln wir also diesen
schönen Bund brüderlicher Eintracht durch einen
Kuß (nicht so stürmisch, Herr v. Vollmar, bitte!)
und durch den katholischen Gruß: ,Für Wahr-
heit, Freiheit und Recht!'"

„In Ewigkeit Amen I" erwiderten die Gläu-
bigen. Dann umarmten und küßten sie sich,
tauschten ihre Mandate aus und verließen in
weihevoller Stimmung das Gotteshaus.

Dies ist die Wahrheit über Speyer. Alles
andere ist geflunkert oder direkt gelogen. Von
einer Profanierung der Kirche oder Entweihung
der Kaisergräber und wie diese Verleumdungen
liberaler Blätter sonst lauten, kann nach dem
Gesagten keine Rede sein.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Münchner "Friedhofsplauderei"
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
Arpad Schmidhammer: Illustrationen zum Text "Der neue Plutarch"
A. D. N.: Die Wahrheit über Speyer
Beda: V. Lindequists Abschied
Frido: Wahrheit über alles!
Henry Bing: Volkswirtschaftslehre
Karlchen: Nur keine Wahlbeeinflussung
 
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