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Don A. v. Vestenhsf

Im Mai des Jahres 1895 begannen sich bei mir die Symptome
einer ebenso merkwürdigen wie unheimlichen Krankheit zu verdichten.

Ich war damals Kommandant eines Infanteriebataillons, das in
einem unserer zahlreichen Kriegshäfen stationiert war; daneben Präses
einer sogenannten Administrationskommission, Instruktor der Seeoffiziere
im Dienst zu Lande, Vorsitzender der Kriegsspielabteilung Nr. III, In-
spektor des Verteidigungrayons Nr. 6, Präses einer Kassakommission re.

Lauter ebenso verwickelte wie anstrengende Agenden. Sie werden
allerdings erleichtert durch zahlreiche Kompendien, die in das Jahr 1706
(Regierungsantrittes weiland I. M. der Kaiserin Maria Anna Annunziata)
zurückgreifen und in einer handlichen Ausgabe für 18 '/s Heller pro Band
von der k. k. Hof- und Staatsdruckerei zu beziehen sind. Die neueste
Auflage (1877) hat 43 Bände. Ich war in meinem Studium nur bis zum
Band 13 gelangt — (er enthält die Art der meritorischen Behandlung vor
dem Feinde entlaufenen Schlachtviehes mit Bezug auf die gesonderte Ver-
rechnung der von demselben enttragenen Häute und Klauen nach Muster A,
Beilage III des Reskriptes des k. k. Hofkriegsrates vom Jahre 1822,
Nr. 12128, Litt. 8, sowie des Gehörnes nach Muster C des Nachtrages
zu Obigem vom 1. Nov. 1859, Nr. 261).

Diesem Kompendium verdanke ich die Erfolge meiner wegen ihrer
Klarheit und Kürze stets gerühmten Elaborate.

Die ersten Störungen meiner Psyche traten bei einem Kassagang
auf. Ich hatte eben 42 Heller ausbezahlt — an die minderjährigen Söhne
des Feldwebels Anton Hinterstoißer des Traindepots Agram — als viertel-
jährige Interessenquote aus der Stiftung weiland Seiner Exzellenz, des
Feldzeugmeisters Franz Swoboda Ritters von Fahnentreu vom Jahre 1832
im Betrage von 35 Gulden Konventionsmünze. Da verblieb in der Kassa
ein Rest von 1 Gulden 32 Kreuzern Konventionsmünze — und die Rechnungs-
richtigkeit bezw. Umrechnung in die bestehende Währung festzustellen,
gelang mir trotz der Beihilfe des Rechnungsführers und meines Adjutanten
erst nach Beiziehung der Menageköchin.

Gebrochen wandelte ich nach Haufe und ließ den Doktor holen.

Der Regimentsarzt Or. Adolf Lakritzenstein kam freundlich zitternd,
denn er kannte mich schon und wußte, was ihm bevorstand.

Huldvoll forderte ich ihn auf, mir das Leiden zu nennen, das mich
in allernächster Zeit bestimmt niederwerfen würde; wobei ich ihm nicht
verschwieg, daß ich die kurze Spanne Zeit, die mir noch auf dieser Erde
zu weilen vergönnt wäre, zur Ordnung meiner Angelegenheiten brauchte
und deshalb vor allem auf einen längeren Urlaub aspiriere.

Zuerst pumpte er mir den Magen aus.-Nichts. Das hätte

ich ihm gleich sagen können, denn es war kurz vor dem Mittagessen.

Dann setzte er sich mittels eines kurzen Hörrohrs mit meinem Herzen
und meiner Lunge in Verbindung.-— Nichts.

Bescheiden klopfte er bei verschiedenen Gedärmen, Lebern, Milzen
an (der Blinddarm war damals noch nicht erfunden) — Niemand sagte
„Herein".

Aufblasen der Backen bei zugehaltenen Nasenlöchern war fruchtlos
— nirgendwo pfiff die Luft heraus. Er riß mir die Lider auf, nahm
die Augen heraus, putzte daran mit seinem Rockärmel — Nichts. Trostlos
ließ er sie wieder zurückschnellen.

Er versuchte die verschiedensten Hiebe auf meine Kniescheiben —
meine Beine schnellten in die Höhe, daß ich ihm beinahe die Zähne ein-
geschlagen hätte.

Er ließ mich auf den Dielcnritzen marschieren. Umsonst.

Verband mir die Augen — vergebens.

Er trieb mir zwei Sonden durch die Nasenlöcher in den Kopf, um
meinem Gehirn beizukommen — und fand nichts, trotzdem sich die eine
Sonde am Schädeldach krummgebogen hatte.

Zuletzt flüsterte er verschämt eine Frage.

„Niemals," antwortete ich.

Da zuckte er die Achseln, als ob er sich seine Ohren polieren wollte,
und begann, von meinem Vater zu sprechen: daß er als junger Iosefiner
ihn gekannt hätte u. s. w.

Das Andenken meines Papas war der Schlüssel zu meinem Herzen
— das wußte er — und so kam er mit einem blauen Auge davon, nachdem
er mir ein Krankheitszeugnis geschrieben hatte, worin er einen 14 tägigen
Urlaub wegen allgemeiner Erschöpfung beantragte; vorläufig in der
Station, da er meinen Zustand beobachten müsse. Ich möge ihm doch
bei der Konstatierung meines Leidens durch Selbstkontrolle an die Hand
gehen — an ihm sollte es gewiß nicht fehlen.

Dann ging der Gute.

Ja, Herrgott — ich bin ja doch kein Doktor. Die Diagnose ist
doch seine Sache.

Mißmutig ging ich zu den „Dne fratelli“ essen, denn die Messe war
längst vorbei.

Nachmittag kam der Regimentsbefehl: „Urlaub: Major v. V. —
14 Tage für Pola und Triest."

Ich übergab meinem Nachfolger alle meine Dienstbücher, Schlüssel,
Geheimschriften rc. mit dem stillen aber festen Vorsatz, sie niemehr zu über-
nehmen — sperrte die 43 Bände ä 18'/- Heller meines Kompendiums in
einen eisenbeschlagenen Koffer — den Schlüssel würde ich ins Meer werfen,
wo es zwischen den Brionis und Fasana am tiefsten ist. Dann zog ich
mich um.

Oer Abbruch des Augustinerstocks in Münchei1

Carl Reiser (Partenkirchen)
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