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Nr. 50

JUGEND

Das Erlebnis des Lebens

von Leo Singer
Geehrter Herr!

Nach den Regeln unseres amerikanischen
Duells habe ich mich heute zu erschießen. Sie
werden denken, ich hätte dies längst schon tun
können —. Sie sind sehr freundlich, ich weiß.
Aber schließlich brauche ich ja nicht so bei der
Hand zu sein und vor dem Termin nicht zu be-
zahlen. Und ich habe noch eine liebe lange
Stunde Zeit. Fast eine Stunde, mein Herr, die
ich an Sie verschenke, um für dieses unendlich
reizvolle Jahr zu danken; ach, ich danke Ihnen
sehr.

Sie werden deshalb denken, ich fei ein Narr.
Und bin vielleicht doch keiner. Ich war wohl
traurig im Anfang — was ich jetzt nicht bin.
Es waren nicht eben die hübschesten Augenblicke,
in welchen mir einfiel, in einem Jahr sei alles
aus. Die Zeit war genau bemessen auf Stunden,
die wie die dürren Stangen eines Lattenzauns
zusammenrückten und Raum und Ziele für mich
absteckten. Was Wunder, wollte ich nun schnell
noch „Herr über die Welt und Weiser sein",
Alexander und Diogenes zugleich l Brauchte ich
vielleicht zu avancieren oder für meine Zukunft
noch zu sorgen — ? Ich erlebte mein Leben
noch einmal, erlebte es auf eine ganz andere Art,
lebte es mit hundert Seelen, hundert Herzen,

hundert Augen. Als hätte ich bisher geträumt,
sprang ich dem Leben an den Mund und sog
den Duft aus seinen Melodien . .. Aber ich
schrieb keine Briefe mehr und verlangte nach
keinen Zeitungen. Und ich haßte Niemanden
mehr... wie wunderbar I

Und einnial gingen mir die Augen auf und
ich entdeckte plötzlich den Tag — einfach den
Tag, wie er sich in tausend zärtlichen Schimmer-
chen um alle Dinge schmiegt. Es war die Sen-
sation meines Jahres. Und ich wäre sonst be-
tagt einmal gestorben, ohne ihn je gesehen z»
haben. Ach, wie mit anderm Empfinden Hab'
ich der Sonne daun in ihr liebes gutes Antlitz
gesehen, eilte ich jeden Morgen an nrein Fenster,
ob sie auch heute wieder scheine! Und es war
so nötig, daß sie schien. Denn dieses Leben
hatte ja nur mehr einen Frühling, einen Som-
mer, einen Herbst und einen Winter. Und die-
sen einen Winter verschlenderte ich im Süden
und ließ mir die Barkarole singen, eingefaßt in
die Klangfarben der Mandolinen und dann fort-
getragen von einer großen Sehnsucht nach fer-
nen, unberührten Palmeninseln —.

Auf einer solchen Insel hörte es wohl auch
der Frühling; und in dem Glauben, man rufe
ihn schon, kam er werbend an die kleine Gitter-
pforte und sang und sang sein wundersames
Lied. Primeln und Erika musterte er in die
weiten hellen Wiesen, dann wilden Mohn. Und

1911

wie er fertig damit war, fiel noch eine versehnte
liebe Menschenblüte wie vom Himmel in all die
Pracht. Jeden Nachmittag suchten wir einander
ohne Verabredung in diesem aufgeschlossenen
Garten, und uns allein überlassen, flohen wir
uns doch wieder, wie getrennt von den umblüh-
ten Zäunen und wiegenden Zweigen. Bis zum
Abend irrten wir unter den tausend leuchtenden
Lanipions des Mohn . .. Ach, ich dachte dort
nicht an den Tod, an gar nichts.

Gestern schlang sie ihre heißen Kinderärmchen
plötzlich innig um meinen Hals und fragte ängst-
lich, ob ich ihr immer gut sein und sie so lieben
würde. So lieb war das! Verwirrt küßte ich
sie mitten auf den reinen kleinen Mund und
jubelte in die blanke Luft hinaus: So lange
ich lebe —!

Da warf sie einen strahlenden Blick aus
meine biegsame Jugend und wir waren sehr
glücklich —

Aber davon kann man nicht schreiben.

Ich danke Ihnen noch einmal, viele Mal,
viele Mal. Wie sollte ich Ihnen nicht danken?
Dieses Jahr war schön. Ich hätte unter natür-
lichen Umständen niemals ein solches erlebt und
habe Ihnen längst verziehen.

Adjeul Adjeu!

Ihr

Hans Heinz.

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Leo Singer: Das Erlebnis des Lebens
 
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